"Reisen ist möglich, fast überall hin"
Sicherheit spielt bei der Auswahl des Reiseziels eine immer größere Rolle. Mittlerweile gebe es aber auch eine übertriebene Risiko-Wahrnehmung, sagt der Touristik-Experte Klaus Betz.
Klaus Betz vom vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung hält auch Reisen in Risikoländer für machbar. "Es ist so, dass ich eigentlich fast überall in der Welt reisen kann. Ich muss mir nur überlegen mit wem und in welchen Strukturen," sagte Betz am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Mittlerweile gebe es aufgrund der permanenten Konfrontation mit Schreckensbildern in den Medien aber "manchmal auch ein übertriebenes Risiko-Wahrnehmungsproblem".
Nicht naiv reisen
Wer allerdings naiv reise, etwa in den Irak, gehe ein hohes Risiko ein. "Das Gleiche ist, wenn ich unbedingt in den Gazastreifen gehe oder glaube, gehen zu müssen." Auch angesichts von Bombenattentaten islamistischer Gruppen seien bestimmte Gebiete der Sinai-Halbinsel zu meiden. Allerdings könnten Urlauber durchaus auch auf dem Sinai am Roten Meer Urlaub machen: "Wenn ich an der ägyptischen Küste bin, ist das schon wieder eine völlig andere Situation", sagte Betz, der im Rahmen der Internationalen Tourismus-Börse ITB in Berlin auch mehrere Diskussionsforen moderiert.
Risiko-Management ersetzt nicht die Eigenverantwortung
Viele Reiseveranstalter verfügten über ein eigenes Risiko-Management, das dazu beitrage, das Reisen sicher zu machen. Generell könne bei Reisen in problematischere Gebiete aber der Bürger nicht aus der Verantwortung entlassen werden. "Es gibt auch eine Selbstverantwortung, die kann einem niemand abnehmen", sagte Beetz. Es gebe genügend Informationen, unter anderem auch vom Auswärtigen Amt, zu dem "was ich tun und was ich lassen sollte", so der Reisejournalist und Sprecher des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung e. V., dessen Anliegen es ist, Tourismus gerade auch in ärmeren Ländern so zu gestalten, dass Impulse für eine sozialverträgliche Entwicklung entstehen: "Damit Gast und Gäste zueinander kommen und jeder für den anderen sozusagen Fürsorge übernimmt."
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Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Heute wird es wieder besonders voll auf der ITB, auf der Weltleitmesse des Tourismus, wie sich die ITB selbst gerne nennt. In den Berliner Messehallen werden sich Tausende auf die Suche machen nach Ideen und Anregungen für die schönste Zeit des Jahres. Und letzten Endes ist es auch eine Typfrage, ob man lieber nach Skandinavien, nach Argentinien oder Marokko fährt, oder nach Mexiko, Guatemala und Pakistan. Eine Typfrage deshalb, weil mit Reisen auch ein gewisses Risiko verbunden ist. Und Skandinavien ist augenscheinlich weniger gefährlich als Pakistan. Welcher Reisende welches Risiko eingeht, damit hat sich Klaus Betz beschäftigt, Sprecher des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung, und als Reisejournalist unter anderem für die "Zeit" unterwegs, jetzt zu Gast in "Studio 9". Guten Morgen!
Klaus Betz: Schönen guten Morgen!
Welty: Was erleben Sie zurzeit auf der ITB, wenn sich Menschen für das eine und gegen das andere Reiseziel entscheiden? Wie wichtig ist der Punkt Sicherheit im Urlaub?
Betz: Ja, auf der individuellen Ebene ist das sicherlich für jede einzelne Person oder für jede einzelne Familie ein wichtiger Aspekt. Aber sehr häufig wird natürlich auch unter dem Gesichtspunkt entschieden, wenn es mir dieses Jahr zu unsicher erscheint, dann gehe ich vielleicht im nächsten Jahr. Aber generell ist zu sagen, dass natürlich Risiko ein Normalbestand unseres Alltags ist. Ich meine, ich habe auch das Risiko in Deutschland, ob ich jetzt Autobahn fahre, auf der Autobahn unterwegs bin oder im Zug unterwegs bin. Entscheidend ist natürlich immer, wie ich mich informiere und wie ich Risiken wahrnehme. Wir haben manches Mal ein übertriebenes Risikowahrnehmungsproblem, wir sind beeinflusst von vielen Dingen. Ich habe vor Kurzem einen Vortrag gehört eines Professors für Risikoforschung, der hat zum Beispiel dargelegt, dass die Deutschen nach dem Unfall in Fukushima in Japan mehr Jodtabletten gekauft haben als die Japaner. Was sagt uns das über die Befindlichkeit?
Welty: Hat sich denn das Bewusstsein, wo Sie gerade die Wahrnehmung ansprechen, hat sich das Bewusstsein für Sicherheit verändert, seitdem nahezu täglich beispielsweise über den Terrorismus durch den Islamischen Staat berichtet wird?
Betz: Das mit Sicherheit, denn wir stehen natürlich unter Beeinflussung von solchen Meldungen. Heute haben wir das Problem, dass wir – bedingt auch durch die Medien, bedingt durch das Internet – immer ständig wissen, was überall auf der Welt geschieht. Also, uns kommt es so vor, als ob ständig dauernd alles passiert, während wir natürlich vor 30 Jahren im Vergleich zu heute ahnungslos waren und deshalb auch dieses Risikogefühl oder die Risikowahrnehmung nicht so intensiv hatten. Aber es ist nach wie vor so, dass ich eigentlich fast überall auf der Welt reisen kann, ich muss mir nur vorher überlegen, mit wem und in welchen Strukturen. Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung beispielsweise setzt sich seit vielen Jahren für eine sozialverantwortliche Tourismusentwicklung ein, damit eben Gast und Gäste zusammenkommen können und jeder für den anderen sozusagen Fürsorge übernimmt. Es ist natürlich schon so, wenn ich jetzt heute völlig naiv irgendwo hinreise, sagen wir mal, in den – was ja nahezu unmöglich ist – Irak, dann gehe ich ein hohes Risiko ein. Das Gleiche ist, wenn ich unbedingt in den Gazastreifen gehen muss oder glaube, gehen zu müssen. Das liegt natürlich außerhalb eines verantwortlichen Handelns. Und in gewisser Weise hat man auch eine Selbstverantwortung, die kann einem niemand abnehmen, ich kann auch nicht aus falsch verstandenem Abenteurertum irgendwo hinreisen. Und schließlich hat ja auch das Auswärtige Amt, für mich ist das immer eine kleine Richtschnur, nicht die allein ausschlaggebende, das Auswärtige Amt hat ja auch über jedes Land entsprechende Grundinformationen und beschreibt manchmal etwas übertrieben, manchmal etwas weniger übertrieben mögliche Risiken. Und danach kann ich mich ausrichten. Und ich muss sagen: Heute haben viele Reiseveranstalter ein Risikomanagement aufgebaut, das auch dazu beiträgt, das Reisen sicher zu machen.
Welty: Lassen Sie uns mal bei diesem Beispiel, was Sie genannt haben, bei dem Nahen Osten bleiben! Da wird ja im Süden der Sinai-Halbinsel gebadet, während es im Norden immer wieder zu Bombenattentaten kommt, zu Bombenattentaten islamistischer Gruppen auch. Soll man überhaupt dann in eine solche Gegend fahren oder sollte man sich nicht auch als politisches Zeichen dagegen verwehren und sich dem verweigern?
Betz: Da kommen gleich mehrere Aspekte. Erstens sage ich immer, zu Zeiten des Jugoslawien-Krieges sind wir munter und fröhlich über Jugoslawien hinweg nach Griechenland in den Urlaub geflogen, da haben wir uns auch nicht gefragt, was ist jetzt das. Das Zweite ist natürlich, dass man immer diese moralische Frage stellt, die ist vollkommen berechtigt, aber ich muss mir wirklich heute überlegen, in welche Region gehe ich wann ... Wenn ich jetzt, sagen wir mal, Sinai, bestimmte Stellen würde ich nicht besuchen, aber wenn ich auf der anderen Seite des Roten Meeres bin, an der ägyptischen Küste, ist das wieder eine völlig andere Situation. Die Welt ist leider etwas kompliziert geworden und wir haben auch viel verloren, muss ich sagen. Wenn man sich überlegt, in den 70er-Jahren war es völlig normal, mit einem umgebauten Doppeldeckerbus von London nach Delhi zu fahren, auf dem Landweg, durch all die Länder, die heute ein Problem sind. Ich bin selbst 87 in Pakistan gewesen, wurde von den Leuten am Bazar begrüßt und versorgt und mit Tee, das war eine wunderbare Zeit. Aber wir haben natürlich auch vieles verloren, was durch politische Entwicklungen zustande gekommen ist. Und dem müssen wir auch Rechnung tragen.
Welty: Was halten Sie von denjenigen, die sagen, ich bleibe ja sowieso nur im Hotel, ich konzentriere mich aufs Baden oder Tauchen?
Betz: Nachvollziehen kann ich das, wenn jemand das ganze Jahr über hart gearbeitet hat ...
Welty: Und einfach ein bisschen Sonne will.
Betz: Ja. Aber dann kann er natürlich auch in Europa bleiben und irgendwo in Spanien oder in der Türkei oder einer Mittelmeerinsel seinen Badeurlaub machen oder möglicherweise, wenn der Sommer schön ist, eben auch an Nord- und Ostsee.
Welty: Wir haben eben über Eigenverantwortung gesprochen. Aber auch, wer vorsichtig ist, der kann ja Opfer eines Verbrechens werden, zum Beispiel entführt werden. Und da schaltet sich dann die Botschaft ein, der Krisenstab des Auswärtigen Amtes beginnt zu arbeiten, alles Kosten, die am Ende der Steuerzahler trägt. Wie viel Abenteuerlust muss die Gesellschaft bezahlen?
Betz: Also, das ist eine schwierige Diskussion. Die Frage ist, wie naiv ist jemand in ein Land gereist, in dem mögliche Entführungen stattfinden können? Ich glaube, heutzutage gibt es genügend Information um zu wissen, was ich tun oder was ich unterlassen sollte. Und ich glaube, das Auswärtige Amt zahlt nicht einfach so. Ich glaube, da ist derjenige, der das verursacht, auch später mit dabei. Sonst ist natürlich genau der Punkt, wie soll ich sagen, dass ist wie eine Versicherung, egal, wo ich hinreise, das Auswärtige Amt holt mich raus. Das kann es nicht sein. Man kann den Bürger nicht aus seiner Verantwortung entlassen.
Welty: Sagt der Tourismusexperte und Reisejournalist Klaus Betz, der sich jetzt wieder in den ITB-Trubel stürzt! Ich danke für den Besuch hier im Studio!
Betz: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.