Urnengang

Auftakt zur Europawahl

Von Annette Riedel |
Rund 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 EU-Ländern sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Niederlande und Großbritannien machen heute den Anfang. Ab welchem Alter man wählen darf und welche Prozenthürden die Parteien überwinden müssen, variiert erheblich.
Durch einen Sprachentunnel gelangt man in Brüssel in das Parlamentarium, in das Museum über Geschichte und Gegenwart der weltweit einzigen direkt gewählten überstaatlichen Institution, einer Institution mit 24 Amtssprachen.
Rund 400 Millionen Wahlberechtigte sind EU-weit zur Wahl von 751 Abgeordneten aus 28 EU-Ländern aufgerufen, gemäß genau so vieler unterschiedlicher Wahlgesetze. An vier unterschiedlichen Wahltagen. Den Anfang machen heute die Niederlande und Großbritannien. Morgen wählt Irland, vier Länder wählen am Samstag, eines, Tschechien, wählt an zwei Tagen – morgen und übermorgen – und am Sonntag schließlich wählen Deutschland und die Mehrzahl der EU-Länder.
"Wahlgesetze sind halt sehr eng geknüpft an die politischen Traditionen der Mitgliedsstaaten. Und da achtet die EU auch diese Traditionen."
... sagt Jens Pottharst, Presseattachée des Informationsbüros vom Europäischen Parlament in Deutschland.
Unterschiedliche Voraussetzungen
So variiert auch das Mindestalter, was Kandidaten haben müssen – in Deutschland ist es, wie in den meisten EU-Ländern 18 Jahre, in einigen 21, in Rumänien 23, in Griechenland und Italien 25. Unterschiedlich hoch ist zudem die gesetzliche Wahlhürde, die eine der insgesamt rund160 Parteien überspringen muss, um einen Sitz im Europaparlament zu erringen – in den meisten EU-Ländern gibt es gar keine, auch in Deutschland nicht mehr, in anderen Ländern liegt sie zwischen 3 Prozent und 5 Prozent. Jedem Land stehen gemäß seiner Bevölkerungsgröße Sitze zu – mindestens jedoch sechs und höchstens 96. Die bekommt Deutschland.
"Das ist immer eine große Frage – ja, Malta, wenn man das umrechnet, dann haben ja die Malteser viel mehr Abgeordneten als die Deutschen. Das heißt, je größer ein Land ist, desto weniger, relativ betrachtet, Abgeordnete hat es."
Ohne diese Begrenzung nach oben müssten rechnerisch zweieinhalb bis 3000 Abgeordnete im Parlament sitzen, so Jens Pottharst. Die Mindestanzahl gibt es mit Blick auf die kleinsten Mitgliedsländer wie Malta oder Luxemburg.
Ein Mann geht am 21.05.2014 in Wiesbaden (Hessen) über ein Aktionsbanner mit der Aufschrift "I vote EU".
Ein Aufruf zur Europawahl in Wiesbaden© picture alliance / dpa / Arne Dedert
Die 8. Europawahlen - vieles ist anders
Es sind die 8. Europawahlen. Aber es sind die Ersten, nachdem am 1. Dezember 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist. Deshalb und zudem wegen der hinter uns liegenden Krisenjahre ist diesmal vieles anders, sagt der Generalsekretär des EU-Parlaments, der Deutsche Klaus Welle:
"Politisch hat sich der Kontext völlig verändert. Die Bürger haben in den letzten fünf Jahren gemerkt, wie sehr Europa Einfluss hat, auf ihre ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse. Der Lissabon-Vertrag gibt dem europäischen Parlament sehr viel mehr Recht – das sind wichtige Unterschiede. Und es gibt zum 1.Mal bei allen wesentlichen Parteien Spitzenkandidaten, die sich vor der Wahl, auch öffentlich, auch im Fernsehen, in den Medien der Diskussion stellen."
Zum Beispiel in der vergangenen Woche, hier in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Parlaments, übertragen vom Rundfunk in fast allen 28 EU-Ländern.
Vorschlagsrecht der Staats- und Regierungschefs
Zwar haben die Staats- und Regierungschefs das Vorschlagsrecht, sind sie nicht vom Lissabon-Vertrag gezwungen, den Wahlsieger zum EU-Kommissionspräsidenten zu küren. Selbst dann nicht, wenn einer oder eine der fünf Spitzenkandidaten - der Konservative Juncker, der Sozialdemokrat Schulz, die Grüne Keller, der Linke Tsipras, der Liberale Verhofstadt - eine Parlamentsmehrheit organisieren könnten. Die Regierungen müssen aber das Wahlergebnis berücksichtigen.
Einmütig haben alle Spitzenkandidaten wiederholt betont: Nur einer von ihnen Fünfen, von denen aufgrund der Mehrheitsverhältnisse allerdings wohl nur die beiden Kandidaten der größten Fraktionen reale Aussichten hat, EU-Kommissionspräsident zu werden, also Juncker von den Volksparteien oder Schulz von den Sozialisten und Sozialdemokraten haben.
Schulz: "Sollten die Regierungen es wagen, jemand Anderen zu nominieren, bekommt der im Europäischen Parlament keine Mehrheit."
Mit einiger Sorge sieht man im Europäischen Parlament einerseits auf die möglicherweise wachsende Anzahl von Europaskeptikern und Abgeordneten vom rechts-außen Parteienspektrum in der neuen Legislaturperiode. Man sorgt sich zudem um die Wahlbeteiligung. Hugo Brady vom Brüsseler Think Tank Center for European Reform hält es für gefährlich, falls sie unter die 43 Prozent von 2009 sinken würde:
"Das Europäische Parlament kämpft in gewisser Weise um sein Leben. Wenn die Wahlbeteiligung nicht erheblich besser ist als zuletzt oder noch unter 40 Prozent fällt, obwohl europäische Themen mehr denn je im Fokus stehen, dann fürchte ich um die Zukunft des Parlaments."
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