Ursula Kirchenmayer: "Der Boden unter unseren Füßen"
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Leben in der Drei-Zimmer-Altbau-Hölle
05:22 Minuten
Ursula Kirchenmayer
Der Boden unter unseren Füßendtv, München 2023400 Seiten
23,00 Euro
Im Debüt von Ursula Kirchenmayer findet ein junges Paar vor der Geburt ihres Kindes eine neue Wohnung in Berlin. Das Idyll endet schnell, eine psychisch kranke Nachbarin terrorisiert sie. Interessantes Setting - doch den Figuren fehlt die Tiefe.
Es hatte doch alles so gut angefangen: Nils und Laura lernen sich auf einer Dating-Plattform kennen, und trotz aller vorherigen Misserfolge erweist sich ihr Date als Volltreffer. Dann geht alles plötzlich ganz schnell, als Laura erfährt, dass sie schwanger ist. Nach ersten Überlegungen und Zweifeln ist beiden klar, dass sie das Kind behalten möchten. Sie fangen an, eine Wohnung zu suchen.
Durch ein vermeintlich glückliches Tauschgeschäft finden sie eine gemeinsame Bleibe, zwar etwas außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings, dafür Altbau und fast 100 m2 groß. Doch schon beim Einzug merken sie, dass sie beobachtet werden.
Die Nachbarin blinzelt nicht
Draußen vor ihrer Wohnung im ersten Stock steht eine Frau, die sie ohne zu blinzeln anschaut. Es ist ihre Nachbarin Peggy. Beim Starren wird es nicht bleiben. Nachts schreit Peggy, wirft ihnen vor, ihre Tochter gefangen zu halten, auch versucht sie sich gewaltsam Einlass in ihre Wohnung zu verschaffen. Für das junge Paar, mittlerweile Eltern des kleinen Luca, beginnt ein Albtraum.
Hilfesuchend wenden sie sich an andere Nachbarn, die zwar mehr wissen, aber untätig zu schauen: „Vor ein paar Monaten ist sie auch mit dem Messer durch den Flur gerannt und hat danach die Reifen von dem Auto zerstochen, das immer im Hinterhof parkt. Aber am meisten hat sie’s auf eure Wohnung abgesehen. Deswegen sind eure Vormieter ja ausgezogen.“
Zu wenig Spannung und Tempo
Was sich wie der Plot für einen Berliner Psychothriller über Menschen in der Großstadt anhört, an denen der urbane Wandel nicht spurlos vorbeizieht, ist bei Ursula Kirchenmayer ein langatmiger Roman. Auch Rückblenden innerhalb der Geschichte verschaffen dem Text nicht mehr Spannung und Tempo.
Laura und Nils haben wenig erzählerische Tiefe, kreisen hauptsächlich um sich selbst. Seitenlang haben sie Angst und leiden. Nur kann der Druck nicht allzu groß sein, denn sie ziehen auch nicht aus, angeblich, weil ihnen dafür das Geld fehlt. Dabei kommen beide aus finanziell sicheren und emotional stabilen Elternhäusern, die sie unterstützen könnten, wenn sie doch nur fragten.
Eine stigmatisierte Figur
Und dann ist da noch Peggy, der man mehr gewünscht hätte als die Funktion der stigmatisierten Nachbarin.
Die arbeitslose, verwahrloste Figur böte eine komplexe Vorlage, an der sich wichtige gesellschaftliche Fragen anschließen könnten nach sozialer Teilhabe, nach Verdrängung, Fürsorge und dem Umgang mit psychisch kranken Menschen.
Aber all das kommt kaum vor. Peggy wird zwar mit einer dramatischen Hintergrundgeschichte versehen, die allerdings in nur wenigen Sätzen abgehandelt wird. Warum die Polizei oder die psychiatrischen Einrichtungen wenig ausrichten, wird geschildert, aber nicht in einen sozialkritischen Kontext gesetzt.
Das ist schade, denn die Grundidee und das Setting dieses Debütromans sind interessant als horrorartige Erzählung über das (Zusammen-)Leben junger Menschen in der Großstadt. Doch diese Idee geht in „Der Boden unter unseren Füßen“ nicht wirklich auf.