Die Handlungsspielräume der Europäer
Der Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Iran zeigt: Washington nimmt keine Rücksicht mehr auf die Interessen seiner Verbündeten. Jetzt müssen die Europäer zu einer gemeinsamen Haltung finden – und das ist ein Problem, meint Peter Kapern.
"Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen!" (Angela Merkel)
"Europa muss eine eigene Souveränität aufbauen!" (Emmanuel Macron)
"Europa muss eine eigene Souveränität aufbauen!" (Emmanuel Macron)
Beide Zitate stammen aus den Reden, die sie gerade erst bei der Karlspreis-Verleihung gehalten haben. Feiertagsreden. Mehr nicht. Jetzt herrscht wieder Alltag, die harte Realität. US-Präsident Donald Trump zerschießt den völkerrechtlich abgesicherten Vertrag, der den Iran vom Bau der Atombombe abhalten soll. Und der das bisher auch getan hat. Zweifelsfrei und nachweislich. Und der im Gegenzug dem Iran einen Wirtschafstaufschwung in Aussicht gestellt hat. Genau diese Gegenleistung steht nun infrage.
Unternehmen, die künftig noch mit Teheran Handel treiben, trifft der Bannstrahl der US-Sanktionen. Ganz gleich, in welchem Land sie beheimatet sind. Das ist Geopolitik nach den Grundsätzen des Faustrechts. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit. Es wird nicht lange dauern, bis europäische Konzerne wissen lassen, dass ihnen der große US-Markt wichtiger ist als die schmalen Umsätze des Iran-Handels. Einen Schutzschirm über ihre Unternehmen wird die EU nämlich nicht aufspannen können. Das hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier unverblümt klargemacht.
Weitere Abkommen müssen folgen
Wie sollte das auch gehen? Kein Mitgliedstaat der EU kann privatwirtschaftliche Einbußen im US-Handel kompensieren, kein Mitgliedstaat der EU kann einem Konzern die Fortsetzung des Iran-Handels befehlen und damit dessen Existenz gefährden.
Und doch haben die Europäer Handlungsspielräume. Nicht alle europäischen Unternehmen sind sowohl in den USA als auch im Nahen Osten aktiv. Jene, die sich auf den Iran konzentrieren und ihre Geschäfte in Euro statt in US-Dollar abwickeln, können ermutigt werden, das weiterhin zu tun. Die EU kann dem Iran zudem über ihre Förderbank Kredite anbieten. Dafür muss Teheran zusichern, sich wie bisher an den Atomdeal zu binden.
Mehr noch: Die EU muss dem Iran klarmachen, dass weitere Abkommen folgen müssen. Über die Einschränkung des iranischen Raketenprogramms und über die Beschränkung des iranischen Machtanspruchs im gesamten Nahen Osten. Ob der Iran da mitzieht? Das wird sich zeigen, völlig ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht.
EU muss Ruf als internationaler Akteur wahren
Denn das Regime in Teheran kennt jetzt die wahrscheinliche Alternative. Sie heißt Krieg. Diesen Krieg zu verhindern – das allein ist Grund genug für die EU, um den Bestand des Atomdeals zu kämpfen. Darüber hinaus muss die EU aber auch ihren Ruf als internationaler Akteur wahren. Wehrt sie sich jetzt nicht nach Leibeskräften gegen das Diktat aus Washington, wird bei jedem internationalen Vertrag, den sie künftig noch abschließen will, gefragt werden: Habt ihr auch die Erlaubnis in Washington eingeholt?
Und schließlich muss sich die EU als Verteidiger des Multilateralismus beweisen, als jene Macht, die das Weltgeschehen durch Verträge und Regeln gestalten will. Und nicht durch Macht, Willkür und Vertragsbruch wie Donald Trump. Eine gigantische Herausforderung, vor der Europa da steht. Eine zu große? Vielleicht. Aber wie hat es Herbert Achternbusch gesagt: Du hast keine Chance, aber nutze sie!