US-Flüchtlingspolitik

Tod durch Verdursten

Ein Helfer der NGO "Border Angels" setzt in Kalifornien Kreuze an Gräber von unbekannten Menschen, die bei der Flucht von Mexiko in die USA in der Wüste ums Leben gekommen sind.
Ein Helfer der NGO "Border Angels" setzt in Kalifornien Kreuze an Gräber von unbekannten Menschen, die bei der Flucht von Mexiko in die USA in der Wüste ums Leben gekommen sind. © AFP / Foto: Mark Ralston
Von Axel Rahmlow |
US-Präsident Barack Obama hat ein Dekret unterschrieben, das fünf Millionen Ausländer ohne Papiere vor der Ausweisung schützt. Trotzdem verdursten weiterhin Menschen im mexikanisch-texanischen Grenzland.
"It's Coleman!"
Der Funkspruch erreicht Sgt. Cameron Coleman auf einer Schotterpiste, die sich bis zum Horizont wie ein gerader Strich durch das texanische Niemandsland zieht. Der Jeep des Polizisten wirbelt eine dichte Staubwolke hinter sich auf. Ansonsten, soweit das Auge reicht: Dorniges Gestrüpp und Sand.
Ein Rancher hat einen Toten gefunden. Ein junger Lateinamerikaner, der illegal über die mexikanische Grenze gekommen ist, die etwa 100 Kilometer südlich von hier liegt. Verdurstet in der Hitze. Coleman soll für die Polizei die Bergung dokumentieren. Sein rundliches Gesicht zeigt keine Regung.
"Allein in diesem Jahr haben wir hier im Landkreis Brooks schon 40 Verdurstete gefunden. Nirgendwo in den USA sterben mehr illegale Einwanderer. 1000de schleppen sich jedes Jahr nach Norden. Die Gegend ist ein Schleusentor für sie."
Egal ob sie aus Mexiko, aus Honduras oder etwa aus El Salvador kommen. Sie müssen durch die Büsche, weil auf allen Hauptstraßen nach Norden Checkpoints des Grenzschutzes stehen. Die Schmuggler erzählen den Menschen, dass es zwei Stunden zu Fuß bis nach Houston sind. In Wirklichkeit sind es sieben, mit dem Auto.
Von jetzt an geht es nur noch mit Allradantrieb. Colemans kleine Augen verraten, dass er seit 15 Stunden im Dienst ist. Und das freiwillig. Eigentlich wohnt und arbeitet der Polizist direkt an der Grenze. Aber in Brooks County kümmern sich sonst nur noch fünf Polizisten um die mehr als 2500 Quadratkilometer große Gemeinde. Eine Fläche so groß wie das Saarland.
"Es geht darum, etwas Ehrenvolles zu tun. Ich will auch den Menschen helfen, die hier ihr Leben riskieren, um in die USA zu kommen. Meine persönliche Meinung ist, dass sie nicht kommen dürfen. Und unser politisches System versagt, weil wir illegale Einwanderung nicht verhindern. Aber das sind Menschen, und sie verdienen es nicht hier draußen zu sterben."
Drei dunkle Punkte zwischen den zehntausenden Dornenbüschen werden langsam größer. Drei andere Jeeps. Ein Beamter vom Grenzschutz, ein Bestatter und Eduardo Canales von der Menschenrechtsorganisation "South Texas Human Rights Center".
Tot seit 24 Stunden
Die Gruppe muss die letzten Meter laufen. In den Jeeps gibt es Klimaanlagen, draußen sind es 35 Grad. Es ist windig, nirgendwo Schatten. Hinter einem Busch liegt ein junger Mann. Der tätowierte Oberkörper ist ausgemergelt, die Augen starr. Überall sind schon Käfer.
Coleman schätzt, dass der junge Mann keine 24 Stunden tot ist. Er macht Fotos für die Akten. Dann bringt die Gruppe den Leichnam zurück zu den Jeeps. Papiere haben sie keine gefunden. Aber es wird ein anonymes Grab geben und einen offiziellen Eintrag bei der Polizei.
Dafür hat Eduardo Canales lange gekämpft. Er hat sich vom Ruhestand verabschiedet und in Brooks County ein Zentrum für Menschenrechte aufgebaut. Er hat in seiner Heimat Druck gemacht, dass die Flüchtlinge, die in der Hitze verdursten, dokumentiert werden. Damit die Hinterbliebenen eine Chance haben, sie zu finden. Im Gegensatz zu Sgt. Coleman, der jetzt wirklich nach Hause fährt, hat Canales noch einiges vor heute.
Auf der Ladefläche seines Trucks liegt eine etwa ein Meter hohe blaue Plastiktonne, in großen weißen Buchstaben steht "Aqua" darauf. Nach 20 Minuten Fahrt hält er an einem kilometerlangen Drahtzaun, der sich durch die Einöde zieht. Er holt die leere Tonne aus dem Truck, dann füllt er sie bis oben hin mit 3-Liter-Wasserflaschen, die ihm ein lokaler Supermarkt gespendet hat.
Canales hämmert er Metallstange in den Boden. Darauf passt eine zweite, längere Stange, an deren Ende eine Flagge hängt.
"Das ist das rote Kreuz. Das erkennen alle, die hier vorbeikommen. Es ist international bekannt als Hilfszeichen. Die Tonnen, über denen die Flagge weht, werden schneller leer. Also stelle ich sie jetzt nach und nach überall auf."
Canales macht sich auf den Weg zurück in die Kleinstadt Falfurrias. Am Nachmittag will er sich mit einem anderen Rancher treffen, einer der seine Zäune noch immer unter Strom stellt, damit kein Flüchtling sein Land betritt. Auf dem Weg fährt er an einigen seiner Tonnen vorbei. Die meisten sind leer. Er füllt sie wieder auf.
Es wird nicht von selbst passieren, sagt er. Und: Wir müssen den Menschen doch helfen.
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