US-Kinogänger haben eine "eingeschränkte Optik"

Moderation: Liane von Billerbeck · 27.02.2007
Filme über die DDR werden nach Einschätzung von Jonathan Safran Foer beim amerikanischen Publikum nicht den Stellenwert einnehmen, den bislang Filme über den Holocaust hatten. Zur jüdischen Geschichte gebe es in Amerika starke Bezüge, die zweite deutsche Diktatur hingegen sei für die US-Kinobesucher zu fern, sagte Safran Foer.
Liane von Billerbeck: Herr Safran Foer, für "Das Leben der Anderen", den Stasifilm von Florian Henckel von Donnersmarck, gab es den Oscar. Kennen Sie den Film, und wie fanden Sie ihn?

Jonathan Safran Foer: Na ja, zufällig habe ich tatsächlich diesen Film vor zwei Abenden gesehen. Er hat mir gut gefallen. Vor allem die Regieleistung fand ich gut. Vieles war so aufgenommen, als wäre es eine Art Fotografie und hätte für sich stehen können. Zum Ende hin, na ja, da fand ich, dass der Film doch etwas vorhersagbar wurde und vielleicht allzu eingängig, aber insgesamt hat er mir gut gefallen.

Von Billerbeck: Täuscht der Eindruck, dass Filme über die zweite deutsche Diktatur, speziell über die DDR-Staatssicherheit bei amerikanischen Zuschauern den Platz einnehmen könnten, den bisher Filme über den Holocaust hatten?

Safran Foer: Ich glaube nicht, dass dem so sein wird. Das ist einfach zu weit vom Schuss sozusagen. Die meisten amerikanischen Kinogänger haben doch eine sehr eingeschränkte Optik. Was aber den Holocaust und die Filme darüber angeht, so ist eben eine direkte Beziehung da, weil sehr viele von den Menschen, die ins Kino gehen in Amerika, Juden sind, und weil so vieles von dem, was an Filmen und überhaupt im Bereich Kultur produziert wird, von Juden gemacht wird. Also ich glaube, das ist durchaus etwas Einzigartiges, aber was da die zwei deutsche Diktatur angeht, so liegt das einfach zu fern von uns.

Von Billerbeck: Es gab ja schon mal einen deutschen Film, besser gesagt, die Verfilmung eines Buches, der einen Oscar bekommen hat, das war "Die Blechtrommel" von Günther Grass in der Verfilmung von Volker Schlöndorff, und der Held Ihres zweiten Buches "Extrem laut und unglaublich nah" der heißt auch Oskar, genau wie der Held von Günther Grass. Wie wichtig war dieses Buch "Die Blechtrommel" für Sie?

Safran Foer: Für mich war das ein sehr wichtiges Buch, denn es hat auch dazu beigetragen, dass ich diese Entscheidung traf, Schriftsteller zu werden. Niemand wird ja als ein Schriftsteller geboren. Irgendwann trifft man diese Entscheidung, entweder auf Grund von Erfahrungen oder auf Grund von Büchern, die man gelesen hat. Da gibt es sehr viele Schriftsteller, die auf Grund von "Hundert Jahren Einsamkeit" Schriftsteller geworden sind, und für mich war es eben "Die Blechtrommel" von Günther Grass.

Von Billerbeck: Spielte das auch eine Rolle, dass es ein deutsches Buch war?

Safran Foer: Die Frage mutet ja schon so an, als wollten Sie mich fragen, hätte Ihnen Moby Dick genau so gut gefallen, wenn es nicht ein Buch über einen Wal wäre.

Von Billerbeck: Sie sind jetzt als Fellow drei Monate an der American Academy in Berlin. Sie waren schon mehrfach hier, haben unter anderem auch für die Lindenoper eine Libretto geschrieben. Wie erleben Sie Berlin jetzt 2007?

Safran Foer: Vor wenigen Tagen sind wir eben durch Berlin-Mitte gegangen, und mir fiel auf, wie jung die Leute dort sind. Das geschieht wirklich ganz selten, dass ich selbst das Gefühl habe, der Älteste unter allen Anwesenden zu sein. Und was noch dazu kommt, ist eben ein gewissermaßen schmutziges Aussehen, aber eine Schmutzigkeit, die sich nicht verschämt, versteckt, sondern die stolz ist auf das, was sie ist. Schöne Städte gibt es ja viele, Rom, Barcelona, Amsterdam, Paris, Schönheiten zuhauf. Aber ich habe keine Stadt gesehen, die ihren Schmutz mit derartiger Würde zur Schau trägt, wie das eben Berlin tut.

Von Billerbeck: Das Stipendium an der American Academy ist ja ein Arbeitsstipendium. Woran schreiben Sie denn hier?

Safran Foer: Für mich ist ja das Schreiben selbst nicht das eigentlich Schwierige. Es ist eher mir klar zu werden, worüber ich schreiben will oder was ich schreiben soll. Zehn Stunden Schriftstellerarbeit bedeuten für mich neun Stunden bewegungslos da sitzen. Meine Finger bewegen sich nicht, meine Augen bewegen sich nicht, mein Körper bewegt sich nicht. Die eine Stunde, die dann zusätzlich kommt, die gibt mir dann dieses Glücksgefühl, ja, ich bin ein Schriftsteller, und gerade ehe ich zu diesem Interview kam, muss ich sagen, habe ich neun Stunden bewegungslos da gesessen, um zu überlegen, was ich schreiben soll.

Von Billerbeck: Ich habe gelesen, dass Sie die Haggada übersetzen, also einen sehr wichtigen jüdischen Text. Was bedeutet das für Sie?

Safran Foer: Es ist eigentlich jetzt keine neue Übersetzung. Ich redigiere sozusagen eine neue Version der Haggada. Es ist ein wundervolles Buch, das mich sehr anspricht und das ich schön finde, nicht auf Grund von religiösen Erwägungen, denn ich bin ja ein säkularer Mensch, sondern weil es kulturell und ästhetisch so bedeutsam ist. Aber ich zähle das eigentlich nicht zum Kernbestand meiner Arbeit. Ich bin im Wesentlichen ein Romanschriftsteller. Diese Arbeit an der Haggada, so wichtig sie auch ist, ist nicht meine Kernarbeit. Das ist eigentlich nicht mein eigenes Selbst, wie es eben das Romanschreiben ist.

Von Billerbeck: Es gibt in Deutschland derzeit eine große Debatte um das Thema Familie. Die wird leider meist sehr technisch und trocken geführt, und es geht vor allem ums Geld. Sie hat das Thema Familie ja auch beschäftigt. Sie haben sich mit der Geschichte Ihrer Familie ganz konkret befasst. Meine Frage: "Mussten" Sie über Ihre jüdische Familie schreiben, um sich quasi als junger Mann mit Mitte 20 Ihrer Herkunft zu vergewissern?

Safran Foer: Ich schreibe nicht, um irgendein Ergebnis zu erzielen, irgendetwas vorzuweisen. Man kann das auch mit einem Gewichtheber vergleichen, der auch diesen Sport ausübt, nicht um irgendwelche Leute auf der Straße zusammenzuschlagen, sondern um einen Körper auszubilden, um irgendwie zeigen zu können, wie stark er ist. Ich als Schriftsteller wiederum verfolge keinen Zweck mit meiner Tätigkeit. Es ist nicht irgendwelche Absicht, die ich damit verknüpfe, sondern ich tue das um seiner selbst willen.

Von Billerbeck: Als Sie für Ihr erstes Buch in die Ukraine gefahren sind, um die Frau zu finden, die Ihren Großvater vor den Nazis gerettet hat, haben Sie sich da überhaupt vorbereitet? Also ich las irgendwann in einem Interview, dass in Ihrer Familie nie über den Holocaust gesprochen wird, wie Sie mal gesagt haben. Wie macht man das dann, wie bereitet man sich auf so eine Reise vor?

Safran Foer: Ich habe mich überhaupt nicht vorbereitet, und das ist wohl auch einer der Gründe dafür, dass diese Reise ein solcher Fehlschlag wurde. Ich habe auch meine Großmutter nicht gefragt, denn sie hätte sicherlich gesagt, gehe nicht, und ich hätte es schwierig gefunden zu gehen, obwohl sie das mir untersagt hätte. Was ich hatte, war eigentlich nur ein Foto und dann eben meinen Übersetzer. Ich bin aus dem Zug ausgestiegen und dann sind wir in die flache Landschaft hinausgezogen und wir haben das Foto hochgehalten und gesagt, kennen Sie diesen Menschen? Mehr war dabei nicht, und das war recht hoffnungslos. Es war fast so, als würde man jetzt irgendwo in Berlin-Mitte herumlaufen und ein 60 Jahre altes Foto zeigen und fragen, kennen Sie diesen Menschen? Mit dem Unterschied, dass in Berlin immer noch das Gewühl und das Treiben der Großstadt zu finden ist. Es gibt immer noch Erinnerungsspuren, während es dort in der Ukraine einfach nur die Pampa war, also es war keine Spur der Vergangenheit mehr zu finden.

Von Billerbeck: Die meisten großen Familienromane der Weltliteratur beziehen sich auf Geschichten, die eigentlich Untergangsgeschichten sind, Abstiegsgeschichten. Glückliche Familien sind selten in dieser Literatur. Sie sind selber verheiratet mit einer Schriftstellerin und außerdem Vater eines einjährigen Sohnes. Das klingt ja sehr nach glücklicher Familie. Wenn Glück nicht langweilig ist, wie Sie das mal in einem Interview gesagt haben, werden wir dann von Jonathan Safran Foer demnächst einen Roman über eine glückliche Familie zu lesen bekommen?

Safran Foer: Tja, das ist ja eine ganz nette Idee. Das erinnert mich auch an Tolstoi, der ja mal gesagt hat, alle glücklichen Familien sind gleich, nur die unglücklichen Familien haben ihr unverwechselbares Schicksal. Das stimmt aber so nicht. Der Zustand des Glücks ist mit genauso viel Klugheit, Einsicht, mit so viel Schattierungen verbunden wie eben der des Unglückes. Ich glaube durchaus, dass Glück genauso darstellungswürdig ist und dass es auch häufiger dargestellt werden sollte von Künstlern, eben so wie das Leben nun mal ist. Es ist ja nicht nur Unglück. Andererseits ist es natürlich richtig, jede richtige Geschichte fängt eigentlich mit einem unglücklichen Ereignis an, sonst käme die Geschichte gar nicht in Gang. Es wird also so sein, in jedem Buch, das ich schreiben werde, wird es ein widriges Ereignis geben, durch das der Konflikt in Gang kommt.

Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprachen wir mit dem amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer. Ich danke Ihnen.
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