US-Polizeigewalt

Der lockere Colt der amerikanischen Cops

Ein Polizist der California Highway Patrol gibt einem Verkehrssünder im Auto einen Strafzettel.
Nicht immer so friedlich: Ein Polizist der California Highway Patrol bei der Verkehrskontrolle. © picture alliance / dpa / Biggins
Moderation: Isabella Kolar |
Der Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown, der in den USA von einem weißen Polizisten erschossen wurde, bewegte Menschen aus aller Welt. Es ist nicht der einzige Fall von Alltagsrassismus unter US-Cops, sagt der ARD-Korrespondent Wolfgang Stuflesser.
Isabella Kolar: Sie hören Deutschlandradio Kultur, "Die Weltzeit". Nur eine kleine Chronologie des letzten Jahres in den USA: 17. Juli, New York City – der 43-jährige Eric Garner, schwarz, unbewaffnet, stirbt, als ein Polizist ihn in den Würgegriff nimmt. 9. August, Ferguson, Missouri – der 18-jährige Michael Brown, schwarz, unbewaffnet, wird von einem Polizisten erschossen. 20. November, New York City – der 28-jährige Akai Gurley, schwarz, unbewaffnet, wird von einem Polizisten erschossen. 22. November, Cleveland, Ohio – der 12-jährige Tamir Rice, schwarz, bewaffnet mit einer Spielzeugpistole, wird von einem Polizisten erschossen.
Wolfgang Stuflesser, unser Korrespondent in Los Angeles – das ist nicht das Amerika, für das Abraham Lincoln gekämpft hat, oder?
Wolfgang Stuflesser: Das ist sicherlich nicht die Gleichheit von Schwarz und Weiß, die aus diesen Schlagzeilen quasi heraus spricht. Er hätte sich vermutlich auch gewundert, Abraham Lincoln, das anderthalb Jahrhunderte, nachdem er die Sklaverei zumindest dem Gesetz nach abgeschafft hat, eben die Kluft zwischen den Rassen offenbar immer noch so groß ist in den USA. Die Theorie des Melting Pot, des Schmelztiegels, in dem alle Ethnien der USA sich am besten zu einer neuen amerikanischen Identität vereinen, die scheint jedenfalls so nicht zu funktionieren. Wir haben zwar keine offizielle offene Rassentrennung mehr, keine offiziell weißen oder schwarzen Schulen oder Krankenhäuser. Aber historisch bedingt und auch gewachsen, gibt es natürlich immer noch Gegenden in den USA, die zu einer großen Mehrheit von Afroamerikanern bewohnt sind, und solche, die fast ausschließlich von Weißen bewohnt werden. Und dann gibt es eben diese erschreckende Zahl, dass 40 Prozent aller Inhaftierten in den US-Gefängnissen schwarz sind, dabei machen sie eben nur 13 Prozent der Bevölkerung aus.
Kolar: Ende November und Anfang Dezember beschließt die jeweils zuständige Grand Jury, das von der Staatsanwaltschaft einberufene Geschworenengremium, in den Fällen Garner und Brown keine Anklage gegen die Polizisten zu erheben. Seitdem war Amerika in Aufruhr, tausende Schwarze, Weiße, Latinos gingen auf die Straße. Wie ist die Situation im Moment?
Die USA - ein zerrissenes Land
Stuflesser: Es ist schon ruhiger geworden, aber es ist nach meinem Eindruck eine angespannte Ruhe. Es gibt in Ferguson und auch in anderen Städten immer mal wieder weiter Demonstrationen. In Ferguson zum Beispiel gerade vorige Woche von Unterstützern der Polizei, also sozusagen von der Gegenseite derer, die für Michael Brown auf die Straße gegangen sind. Und das zeigt natürlich ein weiteres Mal, wie zerrissen dieses Land ist. Es ist nicht etwa so, dass da jetzt eine überwiegende Mehrheit das Problem von Rassismus oder rassistischen Tendenzen zumindest in der Polizei erkannt hätte und nun angeht. Im Gegenteil – nach einer Umfrage vom Dezember sind 51 Prozent der weißen Amerikaner mit dieser Grand-Jury-Entscheidung zufrieden, aber mehr als 80 Prozent der Schwarzen sind natürlich nicht einverstanden damit. Da geht ein klarer Riss durch die Bevölkerung, und das übrigens nicht nur an der Kante Schwarz gegen Weiß, sondern auch quer durch die Ethnien. Also, was fehlt, ist der Konsens und auch der Wille, etwas zu ändern. Und den scheint dieses Land, wie auch bei anderen großen Themen, immer seltener zu finden.
Kolar: Ob bei der Bildung, bei der Gesundheit, den Aufstiegschancen – in der Ära von Präsident Obama sind die Schwarzen überall zurückgefallen. Auch bei der Sicherheit? Warum werden vor allem unbewaffnete Schwarze erschossen?
Stuflesser: Ja, das lässt sich sogar beziffern. Das Risiko, als junger männlicher Schwarzer von der Polizei erschossen zu werden, ist nach einer Berechnung von Pro Publica 21-mal höher als bei einem Weißen. Und Schwarze landen halt auch häufiger im Gefängnis. Aber das heißt natürlich nicht, dass Schwarze eher kriminell werden, weil sie schwarz sind. Die meisten Soziologen sehen die Ursache viel tiefer. Schwarze sind eher arm – ein Viertel der Schwarzen in den USA lebt unterhalb der Armutsgrenze, bei den Weißen sind es nur knapp 13 Prozent. Und natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand straffällig wird, in armen Schichten größer. Also platt gesagt: Wenn ich als Kind in eine weiße Millionärsfamilie geboren werde, habe ich vielleicht auch weniger Anreiz, was zu klauen, als wenn meine Eltern schwarz sind und sich das Essen nicht leisten können. Es gibt Untersuchungen wie zum Beispiel, wie Personalchefs, die Bewerber mit Vornamen, die häufiger bei Schwarzen vorkommen, automatisch eher beiseite legen. Das ist so der alltägliche Rassismus, der dann zu dieser schlimmen Logik führt, nämlich: Schwarz ist gleich eher arm, ist gleich eher kriminell. Und daran konnte auch Barack Obama bis jetzt nichts wesentlich ändern.
"Schwarze landen häufiger im Gefängnis"
Kolar: Alltäglicher Rassismus, sagen Sie. Laut Zahlen des "Economist" sind im Jahr 2013 458 Menschen in den USA von Polizisten erschossen worden, und das, obwohl die allgemeine Mordrate zurückgeht. Etwa ein Drittel der Getöteten waren Schwarze. US-Cops als Rassisten?
Stuflesser: Ja, das ist der andere Aspekt. Offenbar gibt es eben auch bei der Polizei ein besondere Misstrauen gegenüber Schwarzen oder auch eine Angst vor ihnen. Und das jenseits der realen Zahlen, denn zum Beispiel der Anteil an Leuten, die Drogen nehmen – Drogen sind ja ein häufiges Delikt, was bei der Polizei eine Rolle spielt –, der ist bei Schwarz und Weiß ungefähr gleich groß, der Anteil der Drogennutzer. Aber bei denen, die dafür verhaftet und eingesperrt werden, ist der Anteil der Schwarzen deutlich höher. Es gibt mehrere Studien, die zum Beispiel auch belegen, dass Schwarze und andere Minderheiten bei Polizeikontrollen, also im Auto, auf der Straße, deutlich häufiger angehalten werden. Ein Forscher hat das mal so formuliert: Die Polizei findet die Drogen da, wo sie sie sucht.
Kolar: Mal abgesehen vom Rassismus: Auf amerikanischen Streifenwagen steht "To serve and to protect", also "Dienen und Schützen". Aber Cops in den USA erscheinen oft als schlecht gelaunt und aggressiv und agieren nicht als Freund und Helfer, sondern eher wie im wilden Westen. Stimmt der Eindruck, dass Amerikas Polizisten gern einen lockeren Finger am Abzug haben, nach dem Motto "Erst schießen, dann fragen"?
Stuflesser: Ich glaube nicht, dass Polizisten hier systematisch Jagd auf Schwarze machen, klar. Aber in ihrem Job machen sich halt unterbewusste Vorurteile, die vielleicht auch viele andere in den USA haben, womöglich auch in Deutschland übrigens, viel deutlicher bemerkbar. Man muss aber natürlich auch sehen, dass die amerikanische Polizei chronisch unterfinanziert ist, dass Polizisten schlecht bezahlt werden, dass sie viele Überstunden machen und dann mit einer auch nicht immer hervorragenden Ausbildung einfach losgeschickt werden auf Streife in ganz schwierige Gebiete. Es gibt auch hier in Los Angeles Gegenden, da fährt einen abends kein Taxifahrer mehr hin – aber die Polizisten auf Streife, die müssen da rein. Und dann ist natürlich die Frage: Wie rational können die noch entscheiden, wenn sie einem vermeintlich gefährlichen Schwarzen begegnen. Ich sehe da also eher eine systematische Überforderung auch als einen Grund für das, was da in Ferguson und anderswo passiert ist.
"Systematische Überforderung" der Polizei
Kolar: Wenn Sie von Vorurteilen sprechen – gibt es eine Reaktion der amerikanischen Polizei auf den schlechten Ruf, der ihr jetzt auch aufgrund der jüngsten Vorkommnisse vorauseilt?
Stuflesser: Es gibt zum Beispiel das Bestreben, mehr schwarze und mehr Latino-Polizisten, also Policemen of Color heißt das dann, einzustellen. Die Frage ist, ob das dann wirklich, dieser alltägliche unterbewusste Rassismus, ob das dann eingedämmt würde dadurch. Aber erst mal ist es offenbar auch gar nicht so einfach, geeignete schwarze Kandidaten für den Polizeidienst zu finden. Und dann müssen wir halt mal sehen, ob das am Ende was bringt, ob nicht der Druck, von dem wir ja auch schon gesprochen haben, auch der Druck der Kollegen sogar noch zunimmt nach dem Motto: Wehe, wenn sich ein schwarzer Polizist als zu Schwarzen-freundlich herausstellt. Das wäre ja genauso Rassismus, nur eben umgekehrt.
Kolar: Präsident Obama hat ja vorgeschlagen, dass Polizisten künftig Videokameras tragen sollen, um jeden Einsatz aufzuzeichnen. Ist das realistisch, hat das Chancen?
Stuflesser: Also, dass das Tragen einer solchen Kamera vorgeschrieben wird, das ist durchaus realistisch. Viele Städte und Gemeinden haben inzwischen auch entsprechende Vorschriften erlassen und haben zumindest die Kameras angeschafft und dafür auch Millionen ausgegeben. Das heißt jetzt aber nicht, dass das wirklich hilft. Und als in Berkeley, Missouri, also ganz in der Nähe von Ferguson, kurz vor Weihnachten, wieder ein Schwarzer erschossen wurde, da wurde dann später bekannt, dass der Polizist an diesem Tag durchaus eine solche Körperkamera hätte tragen sollen, dass er aber offenbar vergessen hat, sie anzulegen. Und dann bringt natürlich die beste Kamera nichts.
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