Die amerikanische Linke - totgesagt, aber ziemlich lebendig
Für politische Haltungen links der Mitte schien in Amerika kaum noch Platz zu sein. Aber die Linke lebt, wie das überraschend gute Abschneiden von Bernie Sanders gezeigt hat - und das ist mehr als ein Achtungserfolg gegenüber der als unangreifbar eingeschätzten Hillary Clinton.
Manchester, New Hampshire, Februar 2016. Im Kongresszentrum gehen Präsidentschaftsbewerber und Medienvertreter ein und aus, nebenan in der Verizon Arena verkündet Donald Trump, dass er Amerika wieder groß machen wird. Gegenüber im Veterans Memorial Park haben Aktivisten der "New Hampshire Rebellion" ein großes weißes Zelt aufgebaut. Manche tragen Uniformen aus der Zeit der Gründerväter.
Dan Weeks führt die Rebellen aus dem Neuengland-Staat an. Sie marschieren durch die USA und machen auf die Verflechtung von Geld und Politik aufmerksam:
"Das ist mehr als nur eine linke Bewegung. Es handelt sich um eine Demokratie-Bewegung, die den Einfluss des großen Geldes auf unsere Politik beenden will. Dieser Zusammenhang hat unser Regierungssystem korrumpiert. Wir haben hohe Ideale als Nation, aber wir haben uns von ihnen entfernt, weil unser Wahlsystem vom Geld der Milliardäre abhängt. Sie dominieren in den Medien. Die Stimme der einfachen Leute wird ausgeschlossen."
Ein buntes Volk hört zu. Manche bezeichnen sich als Sozialisten, manche wollen Drogen legalisieren, einige die Todesstrafe abschaffen, andere fordern entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel oder ein Ende des Rassismus, alle wollen eine Demokratie, in der die Stimme des Einzelnen gehört wird, in der sich die Politik um die Belange aller Menschen kümmert.
"Bernie ist so inspirierend"
Das Zelt ist nur ein Seitenschauplatz. Das eigentliche Spektakel: Die Vorwahlen in dem Neuengland-Staat. Bei den Demokraten gewinnt ein Mann, der bislang belächelt wurde. Bernie Sanders, unabhängiger Senator aus dem benachbarten Vermont. Schon in Iowa war er Hillary Clinton nur knapp unterlegen. Bis vor kurzem noch hatten alle Umfragen ein klares Ergebnis gehabt. Sanders hat keine Chance. Aber der 74-Jährige mit weißen Strubbelhaaren hat vor allem die jungen Leute in New Hampshire begeistert und sich so gegen Hillary Clinton durchgesetzt:
"Bernie ist so inspirierend. Dieses T-Shirt ist für mich ein wichtiges Symbol dafür, Teil der Bewegung zu sein."
Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen, der einen großen Teil seiner Familie im Holocaust verloren hat, bezeichnet sich als demokratischen Sozialisten. Seine Botschaft:
"Es ist nicht fair, wenn das oberste Zehntel von einem Prozent der Leute heute so viel besitzt wie die 90 Prozent unten."
Am Wahlabend verkündet er:
"Was letzte Woche in Iowa begann, was die Wähler heute in New Hampshire bestätigt haben, ist nicht weniger als der Anfang einer politischen Revolution."
Revolution. Ein Wort, das in den Vereinigten Staaten nur in einem einzigen Zusammenhang einen guten Klang hat. Dann, wenn es um die Unabhängigkeitserklärung von 1776 und den folgenden Unabhängigkeitskrieg geht.
Linke Positionen haben es schwer in Amerika. Links der Mitte bot und bietet Amerika Interessensgruppen, die für mehr Gerechtigkeit, ein soziales Miteinander, Abrüstung, Schutz für Minderheiten und die Umwelt kämpfen.
Bernie Sanders' Nische ist Vermont. Ein kleiner Bundesstaat in Neuengland. Burlington ist mit etwa 40.000 Einwohnern die größte Stadt. Kanada ist nur ein paar Kilometer entfernt, der mächtige Lake Champlain markiert die Grenze zum Bundesstaat New York. In Vermont gibt es kleine Farmen, übriggebliebene Hippies, politische Querdenker.
Bernie Sanders wuchs in Brooklyn auf, studierte in Chicago und schloss sich der Antikriegsbewegung Liberty Union an. In den 1970er Jahren bewarb sich der Mann mit dem breiten New Yorker Akzent immer wieder um politische Ämter in Vermont, wurde 1981 Bürgermeister von Burlington, dann Kongressabgeordneter und schließlich Senator.
Bernie Sanders verzichtet auf Großspenden
Sanders-Biograph Harry Jaffe arbeitete als Journalist in Vermont. Die politische Karriere des linken Politikers war für Jaffe nur deshalb möglich, weil sich Sanders um die Belange der Menschen kümmerte, entlegene Bauernhöfe besuchte, um von den Problemen der Landwirte zu hören, den Sorgen der Lehrer, den Nöten der Menschen mit kleinem Einkommen. Sanders wurde zur Marke. Der Kern: Seine Glaubwürdigkeit.
"Er war nicht der Kongressabgeordnete Sanders, er war nicht Bürgermeister Sanders. Er war Bernie. Er war Bernie in Burlington, Bernie in St. Johnsbury, Bernie in Braddlebourough, Bernie in Manchester. Und jeder liebte Bernie."
Bernie Central, das ist seit Mitte 2015 die Wahlkampfzentrale der Präsidentschaftskampagne des Senators. Pizzakartons, Wasserflaschen, junge Menschen an Telefonen, die in ganz Amerika um Spenden bitten.
Anders als bei anderen Kandidaten geben die US-Bürger 10, 20 Dollar. Der Senator verzichtet bewusst auf Großspenden. Das macht Eindruck:
"Bernie Sanders ist der erste Politiker, dem ich etwas mehr Aufmerksamkeit über die Feststellung hinaus schenke, ein Spielzeug der Konzerne zu sein."
Die Konzerne sollen höhere Steuern bezahlen, eine gesetzliche Krankenversicherung soll allen Amerikanern Gesundheitsversorgung bieten, die horrenden Gebühren für die Universitäten sollen zum Teil oder ganz wegfallen. Dieses Programm spricht junge Amerikaner an. Aber auch bei den Älteren findet Sanders Anklang. Besonders, weil er den Abschied Amerikas von der Rolle als Weltpolizist fordert. Cathy Richardson ist sogar nach Vermont gezogen, weil sie von der Haltung des Senators begeistert war:
"Er spricht mich an. Und wir sind im selben Alter. Er ist integer. Was mich wirklich gepackt hat, war sein Votum gegen den Krieg im Irak. So empfand ich damals auch. Wir lebten in New Jersey. Einer der vielen, vielen Gründe für uns, nach Vermont zu ziehen, war mein Wunsch, in einem Staat zu leben, dessen Senator die Courage hat, so etwas zu tun."
Miro Weinberger ist Demokrat und ein Nachfolger von Sanders als Bürgermeister von Burlington. Er verfolgt die Präsidentschaftskampagne seines Vorgängers mit großem Interesse.
Donald Trump verspottet Sanders' Programm
Gerade in einem Wahlkampf der extremen Positionen fühlen sich viele Bürger von den Vorstellungen des Senators angesprochen. Donald Trump schürt die Ängste vor dem Islam, den Mittelamerikanern, den Andersdenkenden und verspricht, Amerika wieder groß zu machen. Trump verspottet das Programm von Sanders:
"Er möchte unser Land herschenken, Leute. Das werden wir nicht zulassen. Ich weiß nicht, wohin das mit Bernie führt. Wir wünschen ihm viel Glück. Wir machen Amerika wieder groß, aber wir machen es auf die althergebrachte Art und Weise. Wir werden China und Japan schlagen. Wir werden Mexiko im Handel schlagen. Wir werden alle diese Länder schlagen."
Vincent Intondi ist Historiker in der Hauptstadt Washington. Er ist sicher: Der gesellschaftliche Wandel Amerikas ist im Gange. Während Donald Trump und seine republikanischen Mitbewerber konservative Programme von gestern propagieren, ist das Land längst viel liberaler geworden:
"Bei den sozialen Themen, beim Kampf um die Wirtschaft, beim Klimawandel, bei Fragen der Rasse und des Geschlechts werden wir in diesem Land eine nachhaltige Bewegung nach links erleben. In den 60er Jahren gab es Staaten, in denen es illegal war, zwischen schwarz und weiß zu heiraten. In zehn Jahren werde ich meinen Studenten über eine Zeit berichten, in der es nicht legal war, einen Vertreter des gleichen Geschlechts zu heiraten. Sie werden dann sagen: Das ist verrückt! Also bewegen wir uns in diese Richtung."
Die Wissenschaftlerin Emily Ekins arbeitet für den konservativen Think Tank Cato Institute in Washington. Sie studiert vor Allem die politischen Vorlieben junger Amerikaner. Sanders ist kein Sozialist, sagt Ekins, eher ein Sozialdemokrat skandinavischen Zuschnitts. Und die Berührungsängste der sogenannten "Millenials" gegenüber sozialdemokratischen, sogar sozialistischen Inhalten sind verschwunden:
"Die Definition von Sozialismus hat sich verändert. Das ist sehr wichtig. Während des Kalten Krieges neigten die Amerikaner dazu, den Sozialismus mit der Sowjetunion in Verbindung zu bringen. Die Sowjetunion wurde als sehr gefährlich angesehen, als Bedrohung. So war es einfach, den Sozialismus abzulehnen. Die Ideologie wurde nicht nur mit Rationierung, Schlange stehen, schlechter Wirtschaftslage und schlechten Produkten in Verbindung gebracht, sondern auch mit Unterdrückung, Arbeitslagern, mit Maßnahmen gegen die Kirche und ihre Würdenträger. Es war also für viele Menschen sehr einfach, über die Sowjetunion, also auch den Sozialismus aufgebracht zu sein.
Nun ist der Kalte Krieg zu Ende. Die jungen "Millenials" erinnern sich nicht an den Kalten Krieg. Für sie ist dieser Zusammenhang zwischen der Sowjetunion und dem Sozialismus nicht vorhanden. Wenn sie an Sozialismus denken, haben sie eine sanftere, freundlichere Variante im Sinn. So wie in Skandinavien. Dort gibt es keinen Sozialismus, aber viele täuschen sich da. Also denken sie: Schau her, sie haben sozialistische Regeln, aber sie haben auch Frieden. Keine Arbeitslager, keine politische Unterdrückung. Sie können frei sein ... in Dänemark!"
"Es geht um einen Wandel in Amerika"
Bernie Sanders hat bei den Vorwahlen einige Erfolge erzielen können, Mehrheiten in Bundesstaaten gewonnen, das ganze Land überrascht. Im Frühjahr zeichnete sich ab, dass die Euphorie der jungen Amerikaner für eine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei wohl nicht reichen wird.
Hillary Clinton baute geschickt Elemente seiner Vorstellungen in ihre Wahlkampfreden ein, bezeichnete sich als eine progressive Politikerin, die in der Lage ist, Dinge in die Hand zu nehmen.
Sanders hielt trotzdem Kurs, auch als seine Chancen auf die Nominierung immer weiter schwanden:
"In diesem Wahlkampf geht es nicht nur um die Wahl eines Präsidenten. Zugegeben, das ist ziemlich wichtig ... .aber es gibt etwas noch Wichtigeres. Es geht um einen Wandel in Amerika."
Eine Veränderung, die zum Ärger konservativer Amerikaner schon stattfindet. Vincent Intondi:
"Die alte, weiße Garde in diesem Land weiß: Sie wird im Jahr 2030 die Minderheit in diesem Land darstellen. Sie sehen die erste Lateinamerikanerin im obersten Gericht. Sie sehen den ersten schwarzen Präsidenten, drei wunderschöne Frauen im Weißen Haus, elf Millionen Immigranten ohne Papiere, die wählen wollen, eine junge Generation, die weniger rassistisch ist und der alten Ideologie nicht folgt.
Sie rasten aus! Sie haben Obama in der Hoffnung mit Schmutz beworfen, dass irgendetwas hängenbleibt. Sie wissen, dass sie die Macht für unbestimmte Zeit verloren haben. Das ist die Schlacht, die zurzeit gefochten wird."
Die Außen und Sicherheitspolitik spielt nach Auffassung Intondis eine geringe Rolle für die jungen Amerikaner. Wie der Kalte Krieg erscheint auch die atomare Bedrohung als wenig konkret. Amerikas Rolle als Supermacht erscheint ihnen weniger wichtig als eine gerechte Wirtschaft.
Demokraten und Republikaner haben sich nach rechts bewegt
Die Konservativen fürchten Donald Trump, die Demokraten Bernie Sanders. Während sich der Immobilienunternehmer aus New York zunehmend gegen das Parteiestablishment durchsetzt, sorgen sich die Demokraten um den Erfolg von Sanders. Beide Parteien haben sich nach rechts bewegt, so der Befund von Vincent Intondi. Die rechte Tea Party, die evangelikalen Christen und jetzt Donald Trump haben die moderaten Konservativen das Fürchten gelehrt. Die Demokraten sind seit der Präsidentschaft Bill Clintons in die politische Mitte gerückt, haben Krieg geführt, keine Steuern erhöht, soziale Fürsorge zusammengestrichen.
Progressive Amerikaner verstummten in ihrer Kritik, als Präsident Obama 2009 ins Weiße Haus kam. Er war ja einer von ihnen. Der erste schwarze Präsident, der hart vom politischen Gegner angegriffen wurde. Linke Positionen nahm auch dieser Präsident selten ein. Dieser Zusammenhang ist nach Überzeugung von Harry Jaffe besonders für den Aufstieg Bernie Sanders' verantwortlich. Für den Herbst wünschte er sich eine nie dagewesene Wahl:
"Sanders hat eine Stimme gefunden, die viele Amerikaner erreicht. Es wäre ein weltumspannendes Ereignis mit stündlicher Aktualisierung, käme es zu einer Wahl zwischen Bernie Sanders und Donald Trump. Was ich an einer solchen Auseinandersetzung unwiderstehlich fände, wäre die Tatsache, dass beide Populisten sind. Mit dem Unterschied, dass Sanders ein ehrlicher Populist ist."
Bernie Sanders ist es gelungen, viele Gruppen mit ihren Anliegen zu begeistern. Studenten, Anhänger der Occupy-Bewegung, "Black Lives Matter"- Aktivisten, Umweltschützer, Pazifisten. Begeisterung und Zahlen sind gleichermaßen eindrucksvoll. Sanders, der stets von "wir" und selten von "ich" spricht, hofft auf eine große Bewegung.
Die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne linke Gruppen nach seinem Wahlkampf wieder ihrer Wege gehen, erscheint hoch. Trotzdem wird Amerika aufgrund der Demografie sein Gesicht verändern. Das Zeitalter der weißen, konservativen Protestanten geht zu Ende. Die jüngere Generation ist weniger ideologisch gebunden. Auch ohne einheitliche linke politische Bewegung spricht viel dafür, dass bei Themen von Selbstbestimmung über Umweltpolitik bis hin zur Immigration mittelfristig weniger konservativ angegangen werden.