Vom Vorteil, ein Außenseiter zu sein
Der österreichisch-amerikanische Autor John Wray pendelt zwischen Brooklyn und Kärnten, und auch seine Romane sind in unterschiedlichen Welten angesiedelt: in den U-Bahn-Schächten New Yorks, auf dem Mississippi oder in einem österreichischen Dorf.
John Wray gilt in den USA als einer der besten Romanciers seiner Generation – und als literarischer Draufgänger. Wrays Romanen haben es in sich: vom schizophrenen Jugendlichen, der in den U-Bahn-Schächten New Yorks lebt über einen Wanderprediger bis zum Kriegsveteranen in einem österreichischen Dorf.
Jetzt erscheint sein neues Buch Das Geheimnis der verlorenen Zeit, ein Familienroman und eine wilde, sich über mehrere Generationen erstreckende Geschichte mit Genies und Kriminellen, mit Zeitreisen und Sekten.
Wray wurde 1971 als Sohn einer österreichischen Mutter und eines US-amerikanischen Vaters geboren in den USA geboren und wuchs dort in einer sprachlich bunten Mischung auf:
"Mein Vater hat eigentlich nie Deutsch gelernt, meine Mutter hat sehr gut Englisch schon gekonnt, noch dazu ist meine österreichische Oma immer bei uns gewesen. Und meine Oma hat kein Wort Englisch können, bis zu ihrem Lebensende hat sie kein Wort Englisch können. Mein Vater und meine Oma haben sich überhaupt nicht verständigen können – aber genau deshalb haben sie sich sehr gut verstanden."
Scientology lieferte die Vorlage
Als Kind wurde er wegen seiner österreichischen Familie von den anderen Kindern verspottet. Aber es sei ein Vorteil, als Außenseiter aufzuwachsen, man habe "einen schärferen Blick, wenn man abseits steht".
Heute pendelt John Wray zwischen Kärnten, wo das Haus seiner Großeltern steht, und New York. "Die meisten New Yorker stammen nicht aus New York, deshalb fühle ich mich dort sehr daheim."
Als Vorbild für die Sekte in seinem neuen Roman Das Geheimnis der verlorenen Zeit habe Scientology gedient, eine Sekte, von der John Wray fasziniert ist,
"weil sie so unglaublich seltsam ist, und weil sie auch verhältnismäßig neu ist. Wenn man sich Scientology genau anschaut, macht sie einen grotesken Eindruck. Aber irgendwann denkt man sich: Eigentlich sind fast alle Religionen genauso grotesk, nur sind wir sie halt gewöhnt."
"Ich kämpfe täglich mit einem Widerwillen"
Sieben Jahre hat John Wray an Das Geheimnis der verlorenen Zeit gearbeitet, auch, weil er seine Kenntnisse in Physik verbessern wollte. Je länger er sich mit Zeitreisen beschäftigte, desto attraktiver fand er diese Vorstellung. Wenn man die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen – und sich sicher wäre, dass dann auch alles besser laufen würde – dann würde er "viel, viel früher mit dem Gitarrenspielen anfangen, und auch mit Schlagzeug", um besser spielen zu können. John Wray spielt in Bands Schlagzeug und Gitarre – und er singt: "Ich bin ein wirklich exzellenter Karaoke-Sänger!"
In seinem Keller hat Wray einen Übungsraum eingerichtet, in dem er einmal pro Woche mit Freunden Musik macht. Manchmal würde er gerne den ganzen Tag nur Schlagzeug und Gitarre-Spielen, spazieren gehen oder selber Bücher lesen, statt welche zu schreiben, aber so käme man ja als Autor nicht weiter:
"Ich kämpfe täglich mit einem Widerwillen. Die erste Hälfte des Tages verbringe ich sehr oft damit, irgendwelche Ausreden zu erfinden, um meine Distanz zum Schreibtisch zu wahren, und irgendwann letztendlich wird’s doch zu blöd und ich werde wirklich böse mit mir selber und sage 'Jetzt musst du dich gefälligst hinsetzen und anfangen' - und dann geht’s eigentlich ziemlich leicht."