Tanja Dückers, geboren 1968, Studium der Germanistik, Nordamerikanistik und Kunstgeschichte, lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Berlin. Sie hat 18 Bücher veröffentlicht, darunter Romane, Erzählungen, Gedicht- und Essaybände. Sie lehrt regelmäßig als Gastprofessorin in den USA. Als Journalistin äußert sie sich zu soziopolitischen und ökologischen Fragestellungen.
Ein Präsident Joe Biden wäre nur das kleinere Übel
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Mehr Wallstreet als Mainstreet: Wer sich von Joe Biden als Präsident einen wirklichen politischen Wandel erwartet, wird wohl enttäuscht werden, meint die Publizistin Tanja Dückers. Auch werde die Spaltung der Gesellschaft unter Biden bleiben.
Viele wünschen sich inständig, dass die blonde Tolle bald nicht mehr an der Spitze des amerikanischen Staates zu sehen sein wird. Doch sollte man sich dessen bewusst sein, dass unter einem Präsidenten Joe Biden kein paradiesisches Zeitalter ausbricht. Viele Schwierigkeiten werden fortbestehen.
Die Demokrat*innen werden sich auch unter ihm "mehr an Wallstreet als an der Mainstreet" orientieren, wie man in den USA so sagt. Damit ist gemeint: mehr an den Interessen der Finanzindustrie als an denen der Mittelschicht.
Die strukturellen Probleme des krisengebeutelten Mittleren Westens vermag Biden nicht grundlegend zu adressieren. Bidens Wirtschaftsprogramm "Built Back Better" sieht zwar massive staatliche Investitionen vor, die vor allem der Mittelschicht helfen sollen. Aber wie der von Biden versprochene "Green New Deal" in realiter für mehr Arbeitsplätze in den ehemaligen Stahl-, Kohle- und Autoindustrieregionen sorgen soll, ist ungewiss.
Das Problem des abgewirtschafteten Rust Belts, einer Region, in der 60 Millionen Amerikaner*innen leben, hat Trump im Gegensatz zu den Demokraten*innen schon im Wahlkampf 2016 erkannt und benannt. Biden fällt hier nicht viel mehr ein als Trump. Nach seinen Aussagen zu urteilen wird er den Trumpschen Protektionismus fortsetzen. Zudem lässt er bislang nicht erkennen, ob er die enorme wirtschaftliche Macht der Finanzindustrie und IT-Konzerne an der Ost- und Westküste regulieren will. An den bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Gegensätzen wird er daher vermutlich wenig ändern.
Biden - ein konservativer Demokrat
Der Journalist Branko Marcetic vom linken US-Magazin "Jacobin" veröffentlichte Anfang des Jahres die Biden-Biografie "Yesterday's Man: The Case against Joe Biden". "Biden war eine Schlüsselfigur des Rechtsrucks der Demokraten ab den Siebzigerjahren", meint Marcetic. Biden gehörte zu den konservativen Demokraten, die sich für eine Abkehr von Roosevelts New Deal einsetzten. Der New Deal hatte in den Dreißigerjahren den Wohlfahrtsstaat in den USA hervorgebracht. So schlug Biden vor, dass alle staatlichen Wohlfahrtsprogramme inklusive der Rentenversicherung alle fünf Jahre vom Kongress neu bewilligt werden müssten, andernfalls würden sie abgeschafft. Ein radikaler Vorschlag. "Glücklicherweise scheiterte er", so Marcetic. In den Achtzigerjahren stimmte Biden für Ronald Reagans Steuersenkungen und für Kürzungen im sozialen Bereich.
Tatsächlich ist er nun, unter dem Druck seiner Partei, von einigen Positionen abgewichen, zum Beispiel vom harten Kurs gegen Kriminalität. Menschen wegen Marihuana-Konsums gleich ins Gefängnis werfen zu lassen, wie er in den Neunzigern propagierte, will Biden nun nicht mehr. Eine große umfassende Polizeireform wird es unter ihm jedoch nicht geben. Er wird nicht strukturell gegen Rassismus vorgehen. Statt Mauerbau an der Grenze zu Mexiko schweben Biden "neue Technologien" vor, um unkontrollierte Einwanderung zu verhindern. Biden hatte übrigens in den Neunzigern als Senator von Delaware an einer Verschärfung des Strafrechts mitgewirkt, die bis heute vor allem People of Color hart trifft.
Zurück zur Vor-Trump-Zeit
Auch bei ökologischen Themen wird Joe Biden eher vorsichtig agieren als die Ärmel hochkrempeln. So hält er sich bislang bei der Frage bedeckt, ob er Fracking verbieten will.
Bidens Programm sieht vor, wieder an die Zeit "vor Trump" anzuknüpfen. Doch das wird nicht ausreichen, um die sozioökonomischen Probleme wie die extreme Einkommensungleichheit oder die tradierte Benachteiligung von People of Color sowie die großen ökologischen Herausforderungen zu bewältigen.
Hinzu kommt: Die rund 40 Prozent der Wähler*innen, die Trump vermutlich ihre Stimme geben werden, verschwinden nach der Wahl nicht. Ob ein Präsident Biden den Riss heilen kann, der durch die Gesellschaft der USA geht, darf bezweifelt werden.