Neue Gesichter, harte Rennen
Alexandria Ocasio-Cortez ist vermutlich ab dem 6. November die jüngste Abgeordnete im US-Kongress. Die 28-jährige New Yorkerin ist eines der neuen Gesichter der Demokraten. Sie hoffen auf die "blaue Welle". Stahlarbeiter wollen das verhindern.
"Sozialistische Demokratin? Oh mein Gott." Alexandria Ocasio-Cortez verdreht die Augen. "Sozialistin", sie kann’s nicht mehr hören. "Ich klopf doch nicht an Türen und sage. Hey soll Euch vom Sozialismus erzählen."
Der Albtraum des Establishments
Wer sie nach ihren Zielen fragt, erfährt in einem Satz, was die 28-Jährige für sich und die Demokraten am 6. November so alles plant. Bescheiden klingt anders:
"Erst holen wir das Abgeordnetenhaus, dann den Senat, dann das Präsidentenamt und dann besetzen wir den Supreme Court."
Alexandria Ocasio-Cortez. Sie ist der Traum junger Demokraten, der Albtraum fürs Establishment. Bei beiden großen Parteien übrigens. Bei den Vorwahlen in ihrem Wahlkreis in der Bronx trat sie gegen ein demokratisches Schwergewicht an: Joe Crowley. Der lächelte damals milde, ignorierte die Gegenkandidatin weitgehend. 20 Jahre saß der Mann im Kongress für die Demokraten. Seine Wahl sicher. Glaubte er. Ein Irrtum: Als sie gegen alle Prognosen am Wahlabend mit 15 Prozent Vorsprung gewann, staunten alle. Sie selbst inklusive.
Ziehvater ist Bernie Sanders
Tochter einer Einwanderin aus Puerto Rico, ihr Vater Arbeiter in der Bronx. Sie schaffte den Aufstieg. Studierte. Aber als der Vater starb half sie der Familie. Jobbte als Kellnerin, in Bars. Sie weiß, was es heißt kein Geld zu haben. Ihr Wahlprogramm. Mindestlohn auf 15 Dollar landesweit. Krankenversicherung für alle. Kostenloses Studium für alle. Staatliches Jobprogramm für alle, die keine Arbeit finden. Verrückt und unbezahlbar? Sie sagt: Im Gegenteil:
"200 Millionen Amerikaner verdienen im Jahr weniger als 20.000 Dollar. Wie können wir Wachstum erzeugen, wenn die Hälfte nichts ausgeben kann?"
Ihr Vorbild und Ziehvater: Bernie Sanders. Auch so einer mit Sozialistenlabel. Der an Hillary Clinton gescheiterte Präsidentschaftskandidat und Senator aus Vermont kriegt glänzende Augen wenn’s um sie geht. Um "AOC", wie sie sie nennen. Er reist mit ihr durchs Land, wirbt für die gemeinsame Sache, an die er glaubte und glaubt. Und sie habe den Mut, auch daran zu glauben, was die Menschen bewege, sagt Sanders.
Bei den Vorwahlen klopfte die Kampagne von Alexandria Ocasio-Cortez an 120.000 Türen. Schickte 170.000 Nachrichten via Handy. Machte 130.000 Telefonanrufe. Die Bronx glaubte ihr am Ende. Jetzt hofft sie, dass ganz Amerika ihr glauben wird. Sie selbst glaubt auch an sich, denn ihre Stärke - sagt sie unbescheiden – authentisch zu sein und ehrlich.
Ihr Versprechen: Keine Spenden von Unternehmen
Sie hat sich verpflichtet, keinerlei Wahlkampfspenden von Unternehmen und Organisationen anzunehmen. Demokratische Parteifreunde gucken da skeptisch. Hinter vorgehaltener Hand murmeln sie, was da in der Bronx offenbar gehe, sei kein Rezept fürs das ganze Land. Ihre These: Die Hälfte der Amerikaner stehe links von der Mitte. Eigentlich. Zöge sie in den Kongress, sie wäre mit 28 Jahren die jüngste Abgeordnete jemals. Das Durchschnittsalter der bisherigen demokratischen Parlamentarier: 61 Jahre. Wird sie sich in Washington treu bleiben? Sie verweist auf ihren Stil:
"Ich bin sehr idealistisch wenn es um meine Ziele und Werte geht. Aber sehr pragmatisch, um sie zu erreichen."
Noch aber ist sie nur Kandidatin – wenn auch in einem Wahlkreis, der 32 Jahre lang noch jeden Demokraten nach Washington schickte. Als Schülerin übrigens gewann sie einst einen Forschungswettbewerb. Als Preis gab’s damals ein Stipendium und ein Asteroid weit draußen im Weltall trägt seither ihren Namen. 23238 Ocasio-Cortez. Am 6. November schaut Amerika genau hin, ob nach dem Asteroiden in Washington ein neuer Stern dann am Demokraten-Himmel aufscheint. Alexandria Ocasio Cortez.
Pennsylvania: Zwei Kandidaten gegen Trump
Im ersten Distrikt von Pennsylvania entscheiden die Menschen in den Außenbezirken von Philadelphia eines der spannendsten Rennen um einen Sitz im US-Abgeordnetenhaus. Wer an diesem Abend ins "King George Inn" kommt, das angeblich älteste Gasthaus in den Vereinigten Staaten, errichtet 1681 im Städtchen Bristol am Ufer des Delaware, will dem Demokraten Scott Wallace helfen. Lisa Beth Weber etwa. Für sie steht fest: Nächsten Dienstag steht nicht weniger auf dem Spiel als die ethischen und moralischen Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie.
Wie viele Frauen im George Inn ist sie vor allem eines: Wütend auf einen Präsidenten, den sie seit seiner Wahl vor zwei Jahren als sexistischen Rüpel erlebt hat, als Lügner und Hetzer. Es ängstigt Lisa Beth, wohin der Mann im Weißen Haus das Land führt. Sie will dafür kämpfen, dass so etwas wie gesunder Menschenverstand in die amerikanische Politik zurückkehrt.
Der Mann, der all diese Erwartungen erfüllen soll, lächelt mit gesenktem Blick als ihn ein Parteifreund begrüßt.
Viele Jahre hat Scott Wallace in Washington für demokratische Senatoren gearbeitet, mit Aktiengeschäften hat er später ein Vermögen verdient. Erst in diesem Sommer ist er in die Politik gegangen. Jetzt schlendert er in Sakko und weißem Hemd durch den Raum, schüttelt Hände und sagt, worum es bei den Wahlen unter dem Strich geht: Um ein tief empfundenes Gefühl von Anstand.
"Es geht um die Hoffnung, dass wir es besser machen können als jetzt. Die Hoffnung, dass Regierungspolitik wieder auf der Seite der arbeitenden Menschen steht – und nicht auf der Seite der Reichen und der großen Konzerne."
Republikaner lebt in Einzimmer-Wohnung
Es wird für Scott Wallace nicht einfach sein, die über 600.000 Wähler im Bezirk mit diesem Argument auf seine Seite zu ziehen. Denn sein Konkurrent um das Amt – der republikanische Kongressabgeordnete Brian Fitzpatrick betont in jedem Interview, dass Scott Wallace selbst Multimillionär ist, mit Immobilien auf der ganzen Welt. Während er selber in einer bescheidenen Ein-Zimmer-Wohnung lebe.
Wichtiger noch: Brian Fitzpatrick ist nach zwei Jahren im Kongress alles andere als ein Jünger von Donald Trump. Im Abgeordnetenhaus arbeitet er in einer Gruppe mit Parlamentariern der Demokraten zusammen. Er hat dagegen gestimmt, Obamas Gesundheitsreform zu zerschlagen. Er hat sich gegen Trumps Einwanderungsbann für Muslime ausgesprochen. Und er ist für strengere Waffengesetze, für mehr Kontrollen für Waffenbesitzer.
Eine ganze Reihe von Initiativen kann er aufzählen. Die in seinen Augen möglich machen, das Recht auf Waffenbesitz mit dem Bedürfnis nach Sicherheit der Menschen in Einklang zu bringen. All das findet Anklang in einem Landstrich in Pennsylvania, der von der Mittelschicht geprägt ist. Wo Trumps ungebremster Nationalismus viele als unamerikanisch anwidert. Wo die hasserfüllte Sprache im Weißen Haus viele anekelt. Brian Fitzpatrick hat seinen demokratischen Kontrahenten Scott Wallace deshalb in einer ganzen Reihe von aggressiven TV-Spots als Radikalen dargestellt.
Scott Wallace hätte Terroristen mittelbar mit Geld geholfen – während er selbst nach den Anschlägen von 2001 als FBI-Agent im Irak Terroristen bekämpfte. Die Unterstellung läuft im Spot auf eine simple Botschaft hinaus: Fitzpatrick hat die Nation verteidigt – Scott Wallace Terroristen. Entscheiden Sie selbst!
Scott Wallace hat die Vorwürfe alle strikt zurückgewiesen. Und musste dafür viel Geld für eigene Fernseh-Spots ausgeben. Darin versucht er, Fitzpatrick doch irgendwie in die Nähe von Donald Trump zu rücken. Etwa weil er gegen das Recht auf Abtreibung ist.
Acht bis neun Millionen Dollar sind bisher insgesamt in diesen Wahlkampf geflossen, heißt es. Damit zählt die Auseinandersetzung im ersten Distrikt von Pennsylvania zu den teuersten im ganzen Land. Und Geld sammeln müssen die Kandidaten bis zum Wahltag. Für den Abend im George Inn in Bristol hat jeder Gast Geld für die Eintrittskarte bezahlt, freiwillig und nach eigenem Ermessen. Manche 10 Dollar, andere 300. Aber jeder weiß, dass erwartet wird, dass im Laufe der Veranstaltung noch ein Scheck über eine möglichst hohe Summe noch dazu kommt. Denn den Umfragen zufolge ist völlig offen, wer in diesem Bezirk am nächsten Dienstag die Nase vorn haben wird.
Die Lage im "Rust-Belt": Stahl- und Kohlearbeiter danken Trump
Donald Trump hat seine Präsidentschaft wesentlich den Überraschungssiegen in den Staaten des "Rostgürtels" zu verdanken. Mit dem Versprechen sich um die vergessenen Kohle- und Stahlarbeiter zu kümmern, eroberte Trump jahrzehntelange Hochburgen der Demokraten wie Pennsylvania, Michigan oder Ohio.
Auch Städte wie Clairton, 20 Kilometer südöstlich von Pittsburgh: Aus den Schloten der größten Kokerei Nordamerikas schießen alle paar Minuten enorme Wasserdampf-Wolken in den Himmel von Pennsylvania. Hunderte Waggons mit Kohle kommen an, die hier zu Koks verarbeitet wird. Der wird einige Kilometer flussabwärts für die Stahlerzeugung gebraucht. Dort, im Stahlwerk von US Steel, arbeitet der Bürgermeister von Clairton Richard Lattanzi als Sicherheitsinspektor. Das Schicksal seiner Heimatstadt ist typisch für die Strukturkrise im Rostgürtel Amerikas:
"Wir haben 6800 Einwohner. In der Boomzeit in den 60er- und 70er-Jahren lebten hier 23.000. Damals hatten wir drei Banken und drei Supermärkte. Heute haben wir weder eine Bank noch einen Supermarkt."
Verdreifachte Gewinne
Richard Lattanzi ist Mitglied der Demokratischen Partei. Seit Jahrzehnten haben die Demokraten bei Wahlen in Clairton über 70 Prozent der Stimmen bekommen. Doch bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren war alles anders. Donald Trump kam im Wahlkampf mehrfach in den Rostgürtel und versprach den Arbeitern: "Ich bin Eure Stimme!"
Als Demokrat falle es ihm schwer, das zu sagen: Seit Trump Zölle auf ausländischen Stahl verhängt habe, gehe es Clairton viel besser. Die deutlich gestiegenen Stahl-Preise hätten die Gewinne der Stahlfabrik verdreifacht. Endlich sprudeln auch wieder die Steuereinnahmen. Gerade hat der Bürgermeister ein neues Gewerbegebiet eingeweiht.
"Wenn US Steel hübsche Gewinne einfährt, macht das meinen Job als Bürgermeister leichter. Und es hilft unseren Arbeiter-Familien. Das ist der Trickle-Down-Effekt."
Tatsächlich gibt es noch in diesem Jahr vier Prozent mehr Lohn.
Stahlverarbeitende Betriebe leiden unter hohen Stahlpreisen
Auch wenn die Stahlarbeiter von Trumps Zöllen profitieren, ist sich Darrin Kelly sicher, dass die Demokraten bei den Kongresswahlen am 6. November hier in Pennsylvania deutlich zulegen. Kelly ist Chef des Dachverbandes der Gewerkschaften in Pittsburgh und Umgebung. In seinem Bezirk gebe es zwanzigmal so viele Beschäftigte in stahlverarbeitenden Unternehmen wie in den Stahlwerken: oftmals kleine und mittlere Betriebe, die nun unter den hohen Stahlpreisen leiden. Außerdem, so Kelly, hätten die Menschen in Pennsylvania erkannt, dass Trump keine Politik für die kleinen Leute mache, sondern für Big Business:
"Seine Politik hilft weder den Arbeitern noch ihren Rechten. Sie richtet sich gegen Frauen. Von seinen Steuersenkungen profitiert nur die Wirtschafteselite. Und wie finanziert er sie? Durch Kürzungen bei den Sozialleistungen! Die Mittelklasse wird darunter leiden."
Dennoch hätten die Demokraten in Pennsylvania von Trump gelernt, sagt der Gewerkschaftschef. Nie wieder dürfe man die Arbeiter und ihre Familien vergessen. Im Wahlkampf ging es ihnen vor allem um Arbeitsplätze, Krankenversicherung, Schulen und Infrastruktur. Ein Kurs der Mitte, in Abgrenzung zum Linksruck der Demokraten an der Ost- und Westküste. Gewerkschaftschef Kelly ist überzeugt, dass die Demokraten hier in der Mitte des Landes nur so die Chance haben, den Rostgürtel von Trump zurückzuerobern.