Hochverschuldet dank Studium
Mit durchschnittlich 35.000 Dollar Schulden startet ein Uni-Absolvent in den USA ins Berufsleben, bei Absolventen der großen Privatunis steigt dieser Betrag oft auf eine Viertelmillion Dollar. Doch dieses System stellt kaum jemand in Frage. Nur - was tun weniger wohlhabende Studenten?
Hausaufgabenbesprechung in der Roosevelt Universität in Chicago. Vor den bodentiefen Fenstern des Wolkenkratzers schimmert blaugrün der Michigansee. Eine breite, marmorne Freitreppe führt von der Lobby aus in die Mensa. Bevor die Uni hier einzog, war das Gebäude ein Luxushotel.
Bridget Talley sitzt an einem der Mensatische und nippt an einem Espresso. Rund 30.000 Euro bezahlt sie für ihr Studium in Chicago - im Jahr. Hinzu kommen die jährlich rund 12.000 Dollar für ihr Zimmer im Studentenwohnheim, 3000 Dollar für das Essen in der Uni-Mensa, mehrere hundert Dollar für Lehrmittel und Bücher.
Um vier Jahre lang all diese Gebühren bezahlen zu können, hat die 23-Jährige einen Kredit aufgenommen. Geld, das sie nach dem Studium zurückzahlen muss, vielleicht jahrzehntelang.
Bridget Talley: "Nach meinem Abschluss ziehe ich erstmal zurück zu meinen Eltern. Ich kann nicht beides, den Kredit abbezahlen und Miete für eine eigene Wohnung zahlen."
Nach ihrem Abschluss wird sie 24 Jahre alt sein, eigentlich ein ideales Alter um eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen, vielleicht ein Haus oder ein Auto zu kaufen. Bridget wird das aufschieben müssen, sie wird es sich schlicht nicht leisten können. Es sei denn, sie nimmt einen neuen Kredit auf und bezahlt Schulden mit Schulden.
Bildung als Schlüssel zu Wohlstand
So funktioniert das System. Und die wenigsten stellen es in Frage. Auch im Wahlkampf nicht, obwohl Bildung als Schlüssel zu Wohlstand gilt und als wichtigste Waffe im Kampf gegen Kriminalität. Die hohen Studiengebühren nimmt Hillary Clinton hin, sie will das Stipendiensystem aufstocken. Donald Trump hingegen will die Schulden von staatlichen auf private Banken auslagern, was noch höhere Zinsen zur Folge hätte.
Lauren Millivan berät an der Chicago Roosevelt University Studenten, die ein Darlehen brauchen und vermittelt vergleichsweise günstige Kredite. Dass die Studenten am Ende ihres Studiums hoch verschuldet sind, findet auch sie kein Problem.
"Sie investieren in ihre Bildung. Das ist eine amerikanische Philosophie. Nur wenn du investierst, wirst du etwas Gutes bekommen. Leute mit einem teuren Uni-Abschluss werden später mehr Geld verdienen. Das zahlt sich also aus."
Die Rechnung geht nicht auf
Diese Rechnung geht aber längst nicht für alle auf. Für manche ist es sogar unmöglich, überhaupt ein Studium zu beginnen. Bridgets Freund Stephon ist wie sie 23. Er sitzt auf einer Bank im Grand Park in der Stadtmitte von Chicago.
Stephon hat einen Traum: Medizin studieren. Doch er hat vier kleine Geschwister, seine Eltern sind arm. Er kommt aus der Chicagoer South Side, ein Stadtteil, der bei vielen als Synonym gilt für Kriminalität und Perspektivlosigkeit. Täglich verlieren dort Menschen bei Schießereien ihr Leben.
Stephon: "Ich bin absolut frustriert und verärgert. Ich muss meine Rechnungen bezahlen, meine Familie unterstützen, da bleibt kein Geld für die Uni. Was hilft mir ein Darlehen, das ich die nächsten 30 Jahre ja dann auch wieder abbezahlen muss."
"Nur" 5.000 Dollar im Jahr
Bildung als Ausweg aus der Armut: Das hat sich das Kingsborough Community College in New York auf die Fahnen geschrieben. Der Campus mit den nüchternen Flachbauten versteckt sich am äußersten Zipfel des Stadtteils Brooklyn, dort, wo die Stadt langsam ins Meer übergeht. Der Migrantenanteil ist hoch, viele der Einwohner sind illegal in die USA gekommen.
Am Kingsborough College kostet ein Jahr "nur" 5.000 Dollar. Ashanti Thompson arbeitet in der Verwaltung der Universität, sie führt in einen kleinen unscheinbaren Raum, an den Wänden stehen Regale, gefüllt mit Lebensmittelspenden und gebrauchten Klamotten.
Ashanti Thompson: "Was wir hier sehen, ist unser Grab-and-Go-Regal. Das heißt, die Studenten können sich einfach nehmen, was sie brauchen. Wir haben hier Frühstücksflocken, Milch, Konservendosen, aber auch Hygieneartikel für Frauen, Kleidung, die von anderen Studenten gespendet wurde. Hier sind Schuhe, alles komplett umsonst."
Schwere Entscheidung: Busticket oder Mahlzeit?
Manche Studenten müssten sich manchmal morgens, bevor sie das Haus verlassen, entscheiden, ob sie sich ein Busticket für fünf Dollar kaufen oder das Geld für eine Mahlzeit sparen, erzählt Thompson.
Thompson: "Du kannst dich nicht konzentrieren, du kannst nicht lernen, wenn dir vor Hunger der Bauch weh tut."
Stephon aus der Chicagoer South Side hat keine Reformuni dieser Art in der Nähe. Er will sich jetzt zwei neue Jobs suchen, um die Uni zu finanzieren, einen tagsüber, einen für nachts. Denn Stephon will studieren, um jeden Preis.
Stephon: "Oh ja, ich bin sehr optimistisch. Ich habe ehrlich gesagt auch keine andere Wahl, ich muss eine Familie ernähren. Es muss also irgendwie gehen. Ich möchte etwas werden in diesem Leben. Das wollen wir doch alle, oder?"