Politik und Gesellschaft in den USA

Der „American Dream“ - was ist daraus geworden?

Touristen im Bildvordergrund lehnen sich über die Brüstung einer Fähre, um mit ihren Mobiltelefonen ein Foto von der Freiheitsstatue zu machen, die in einiger Entfernung in den blauen Himmel ragt. Dazwischen ist das Wasser des Hudson River zu sehen.
Symbol für Freiheit und den amerikanischen Traum: die Freiheitsstatue in New York © IMAGO / Pond5 Images
US-Wahlsieger Donald Trump will den amerikanischen Traum wiederbeleben. Genau das Gleiche hatten die unterlegenen Demokraten im Wahlkampf versprochen – allerdings mit völlig anderer Politik. Was steckt hinter diesem Mythos der US-Gesellschaft?
Die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann – das ist die populäre Erzählung des amerikanischen Traums. Sie wird oft wiederholt und beschworen, nicht zuletzt in den US-Präsidentschafts-Wahlkämpfen. Obamas Slogan „Yes we can!“ ist ebenso eine Anspielung darauf, wie Trumps „Make America great again!“.
Das rein wirtschaftliche Aufstiegsversprechen greift allerdings zu kurz. Denn der Begriff des „American Dream“ reicht weit in die Geschichte zurück und hat mehrere Umdeutungen erfahren.

Wie ist der „American Dream“ entstanden?

Die Grundidee lässt sich zurückverfolgen auf die Gründungsmythen der USA und der Vorstellung, dort immer ein neues, besseres Leben beginnen zu können. Die Aufsteiger-Geschichte von Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der Vereinigten Staaten, ist dafür exemplarisch. Als fünfzehntes Kind seiner Eltern aus einfachen Verhältnissen bringt er es zu Ansehen und Wohlstand. In der Unabhängigkeitserklärung von 1776, an der Franklin mitarbeitet, heißt es: Alle Menschen sind gleich, sind von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet, und dazu gehören "Leben, Freiheit und das Streben nach Glück".
Genau in diesem Streben nach Glück liegt der Grundgedanke von dem, was man später den amerikanischen Traum nennen wird. Der gesellschaftliche Aufstieg soll für jeden möglich sein, der mit Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Fleiß an die Arbeit geht. Wohlstand allein ist dabei nicht das Wichtigste. Für Franklin war es die Tatsache, dass er dadurch etwas an die Gesellschaft zurückgeben konnte, um die Lebensverhältnisse in seinem Umfeld zu verbessern.
Dieser Gedanke wird dann um 1900 herum erstmals mit dem Begriff „American Dream“ benannt. Es ist der Gegenentwurf zum vorherrschenden Turbokapitalismus, der Familien wie Rockefeller, Carnegie & Co. märchenhaften Reichtum einbrachte, aber die breite Masse außen vorließ. 1931 fasst Autor James Russell Adams diese idealistischen Strömungen in einem Buch zusammen. Beim amerikanischen Traum gehe es eben nicht nur um Autos und hohe Löhne, sondern um eine Gesellschaftsordnung, in der jeder Mann und jede Frau in die Lage versetzt werden solle, seine Fähigkeiten voll zu entfalten, egal welche Herkunft sie mitbrächten.
Aus heutiger Sicht problematisch an der frühen Ausprägung des „American Dream“ im 18. Jahrhundert, ist die territoriale Komponente dieses Glücksversprechens, weil es mit der Landnahme durch Siedler und Vertreibung der indigenen Bevölkerung im Westen der USA einherging.

Wie hat sich die Bedeutung des amerikanischen Traums verändert?

Die goldenen 1950er-Jahre bringen den USA eine Phase von großem Wohlstand. Der "American Dream" wird für die Masse der weißen Mittelschicht tatsächlich erreichbar und verändert gleichzeitig seine Bedeutung. Getragen vom Kapitalismus entsteht eine Kultur des Individualismus und des Konsums. Die wird zur Zeit des Kalten Krieges propagandistisch auch als Gegenentwurf zum sozialistischen Menschenbild des Kollektivs und der Gleichmacherei. Der Wohlstand und das amerikanische Erfolgsversprechen werden auch in Europa und speziell in der jungen Bundesrepublik Deutschland zum Vorbild. Bei dieser hauptsächlich materiell orientierten Auslegung des amerikanischen Traums gehen viele andere Aspekte verloren.
In der Zeit der Bürgerrechtsbewegung zeigen sich weitere Verwerfungen. Martin Luther King prangert an, dass der amerikanische Traum nur für Weiße gelte. Der Rassismus in den USA steht dem Freiheitsversprechen im Weg. Ein Dilemma, das bis heute nicht aufgelöst ist, erklärt der Historiker Volker Depkat.
Mit den wirtschaftlichen Krisen seit den 1970er-Jahren und der in den Dekaden danach beginnenden Deindustrialisierung der USA bröckelt auch die materielle Facette des amerikanischen Traums.

Wie wird der amerikanische Traum von den politischen Parteien interpretiert?

Die Kontroverse, wie die beiden Parteien in den USA den amerikanischen Traum auslegen, reichen bis zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren zurück. Der damalige Präsident Franklin Delano Roosevelt von den Demokraten reagierte auf die Massenarbeitslosigkeit mit dem berühmten „New Deal“ – einem für die USA untypisch sozialstaatlichem Programm von Wirtschafts- und Sozialreformen. Erklärtes Ziel war es durch die Eingriffe eines starken Staates den „American Dream“ für die Vielen zu erhalten. Seine Gegner von den konservativen Republikanern kritisierten dieses Vorgehen als „unamerikanisch“. Sie vertraten das USA-typische Prinzip der begrenzten Regierungstätigkeit.
Diese Muster finden sich bis heute. Republikaner und Demokraten haben unterschiedliche Vorstellungen vom "American Dream", wenn es darum geht, wer den Traum träumen darf und welche Funktion der Staat dabei übernehmen soll. Der Wahlsieger Donald Trump von den Republikanern stellt sich als Retter des Traumes da. Die eher auf das Allgemeinwohl gerichteten Ideen seiner Konkurrentin Kamala Harris verunglimpfte er im Wahlkampf als „Sozialismus“. Der amerikanische Traum ist nach Einschätzung von Amerikanistin Prof. Heike Paul zum politischen, aber immer mehr inhaltsentleerten Kampfbegriff geworden. 

Ist der amerikanische Traum heute real oder nur noch Mythos?

Allen politischen Beschwörungen zum Trotz mehren sich im vergangenen Jahrzehnt die Abgesänge auf den amerikanischen Traum. Dass es der nachfolgenden Generation in den USA besser gehen wird als der vorherigen, trifft nur noch auf die Hälfte der Menschen zu, rechnet David Leonhardt in seinem Buch „Ours Was the Shining Future. The Story of the American Dream“ vor. Für den Niedergang macht er beide politische Parteien in den USA verantwortlich. Den großen Wendepunkt verortet er bei der neoliberalen Politik unter Ronald Reagan in den 1980er-Jahren. Aber auch die Demokraten hätten den Kern des amerikanischen Traums – sich für die Belange und Erfolgschancen der amerikanischen Mittelschicht  einzusetzen – aus den Augen verloren, zugunsten einer Politik für Liberale und Bessergestellte.
Wirtschaftlich gesehen verloren viele Industriearbeiter dauerhaft ihre Jobs, der Manufacturing Belt entlang der großen Seen wurde zum Rust Belt. Inzwischen hat die Computer- und Internetwirtschaft zwar neue Arbeitsplätze geschaffen. Die sind aber entweder schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs oder lukrative Arbeitsplätze für die ohnehin Privilegierten mit Collegeabschluss. Für viele Menschen, die sich der Mittelschicht zurechnen, ist das Glücksversprechen des „American Dream“ nur noch eine Hülle, fasst Autor David Leonhardt zusammen.
jk
Mehr über die US-Gesellschaft