George Packer: The Unwinding: An Inner History of the New America. Farrar, Strauss and Giroux, New York, 2014. In deutscher Übersetzung: "Die Abwicklung", S. Fischer Verlag, 2014.
Bücher an den Schnittstellen der Weltmacht
Was lesen die Amerikaner, worüber streiten sie? Washington-Korrespondent Marcus Pindur berichtet von drei bemerkenswerten Sachbüchern: spannende Reportagen über wachsende soziale Ungleichheit, Amerikas geheime Kriege und den Niedergang der Stadt Detroit.
"Die Amerikaner lesen viel wirklich gut gemachte Trivialliteratur, muss man sagen, also so vom Schlage Jeffrey Deaver oder Tom Clancy. Das ist ein Genre, das es bei uns so eigentlich in der Qualität gar nicht gibt", sagt Marcus Pindur, Deutschlandradio-Korrespondent in Washington. "So wie Hollywood-Kino kann man sich das vorstellen, Trivialliteratur auf wirklich höchstem Niveau."
Aber auch im Sachbuch-Bereich haben Amerikaner ein riesiges Angebot: "Weil es hier auch so eine breite Landschaft öffentlicher Intellektueller gibt, also Leute, die sich an der Schnittstelle Journalismus, Wissenschaft, Politik bewegen, gibt es auch viele Bücher, die man Non Fiction nennt, die sich mit Politik befassen aus verschiedensten Gesichtspunkten heraus."
Marcus Pindur über drei Bücher, die für Diskussionen in den USA sorgen:
Das Buch ist im weitesten Sinne ein Beitrag zu der auch in den USA geführten Debatte über Sozialstaatlichkeit und Regulierung der Wirtschaft einerseits und der nötigen freien Entfaltung der Produktivkräfte andererseits. In den USA stand "The Unwinding" wochenlang auf den Bestseller-Listen. Die literarische Kraft der Porträts, die Packer zu einer Erzählung zusammenfügt, wird allseits gelobt. Je weiter man sich von der linksliberal geprägten amerikanischen Ostküste entfernt, desto weniger Zustimmung findet allerdings seine These vom sozialen Auseinanderdriften. Zu wenig analytisch unterfüttert, sagen die einen Kritiker, zu selektiv Packers Beweisführung, die anderen. Doch das Buch hat ganz offensichtlich einen Nerv getroffen: "The Unwinding" passt in die rege Debatte um den Zustand der inneren pax americana, die die USA angesichts wachsender Ungleichheit seit geraumer Zeit führen.
Mark Mazzetti: The Way of the Knife. Penguin, New York, 2013. In deutscher Übersetzung: "Killing Business", Berlin Verlag, 2014.
Der amerikanische "Krieg gegen den Terror" hat sich weitgehend unbemerkt (von der Öffentlichkeit) gewandelt: Statt sichtbarer Kriege mit Bodentruppen führen die USA nun zunehmend geheime Kriege mit Drohnenangriffen, Spezialkräften und Söldnern, an denen sowohl der Geheimdienst CIA als auch das Militär beteiligt sind. Der amerikanische Journalist Mark Mazzetti beschreibt diesen Wandel in seinem Buch "The Way of the Knife". Es hat durchaus Schwächen. Die Erzählung ist gelegentlich unzusammenhängend, weil Mazzetti Einzelfälle referiert, denen Bedeutung eher anekdotisch ist, weil er Episoden erzählt, die vom Gesamtbild ablenken. Manchmal macht er sich auch zum Sprachrohr der Prahlerei seiner Informanten.
Doch insgesamt bietet der Pulitzer-Preisträger mit diesem Buch ein umfassendes Porträt der unerklärten Geheimkriege der USA und der Faktoren, die sie möglich machen - investigativer Journalismus, der sich im besten Sinne um das öffentliche Interesse verdient macht, in den USA ebenso wie im Ausland. Die Kriegführung mit Drohnen und Spezialeinheiten dürfte in Afghanistan und Pakistan lange nach dem Abzug des letzten ausländischen Kampfsoldaten anhalten. Und während Al Kaida immer weiter zersplittert und es mit IS neue Herausforderungen in diesem asymmetrischen Krieg gibt, wird auch diese Kriegführung sich immer mehr ausbreiten. (Ähnlich übrigens: James Risen: "Pay any Price")
Charlie LeDuff: Detroit – An American Autopsy. Penguin, New York, 2014.
Das ist ein wildes Buch – eine wilde Fahrt durch eine wilde Stadt: Detroit war Anfang des 20. Jahrhunderts die reichste Stadt Amerikas, heute ist es die ärmste. Gerade eben, vor ein paar Tagen wurde die Fremdverwaltung durch den Bundesstaat Illinois aufgehoben, die Stadt ist ja im Wortsinn pleite. Detroit war einst eine Vorbildstadt: Automatisierung, sozialer Aufstieg der Arbeiterschaft, Fortschritt und Mobilität - das verband man mit Detroit. Der Autor kommt selbst aus Detroit und geht dem Niedergang seiner Heimatstadt nach, und das völlig unsentimental und immer oszillierend zwischen totaler Respektlosigkeit und totaler Sensibilität. Er will herausfinden, was seine Heimatstadt in den Ruin getrieben hat, und entdeckt dabei die Schuldigen sowohl in den Vorstandsetagen wie auch bei den Gewerkschaften. Das ist eine Geschichte von Gier und Ignoranz, und vom gemeinsamen Absägen des Astes, auf dem man einst saß.
Und dann ist es wieder so eine total amerikanische Geschichte vom Durchhalten und von der Hoffnung auf eine neue Blüte, die nicht von alleine kommt, sondern die man erkämpfen muss. Das Buch erinnert an die Reportage-Literatur der 30er-Jahre in seiner Realitätsnähe und in seiner Nähe an allem, was den Menschen menschlich macht, sei es karitatives Engagement oder Drogensucht. Das ist für den Autor beides gleich wichtig. Und nicht ohne Grund hat ein Rezensent über das Buch geschrieben: "Hunter S. Thompson hätte seine Freude daran."