Die Krise der alten Eliten
Während bei den Republikanern nun Posten verteilt werden, liegen die Demokraten am Boden. Sie hatten den Umfragen vertraut - und nicht damit gerechnet, dass ihre Kandidatin Hillary Clinton von einem rüden Außenseiter beiseite geschoben werden könnte.
"Not my president, lock her up",
Die demokratische Partei, wurde am 8. November gehijacked. Für den Moment. Für die nächsten vier Jahre. Partei, Wahlforscher, Medien, Hillary Clinton, Barack Obama. Kalt erwischt, allesamt.
"Die Sonne geht am Morgen wieder auf, eine kleine Prognose, die wahr geworden ist."
Barack Obamas einziger Hoffnungsschimmer am verkaterten 9. November, dem Tag nach der Wahl. Dem Präsidenten dämmerte, dass nicht nur Hillary Clinton nicht gewählt worden war, sondern viel mehr, dass seine Reformpolitik einen raschen, brutalen Tod sterben würde. Krankenversicherung Obamacare, Klimapolitik, Handelsverträge, offene Gesellschaft.
Obamas Politik kommt unter die Trump-Dampfwalze
Obama ist das eine große Opfer dieses 8. November, zusammen mit Hillary Clinton, der demokratischen Partei und einem Volk, das unsicheren, politisch gewiss konservativeren Tagen entgegensieht.
Die Trump-Dampfwalze hat ganze Arbeit geleistet. Ihr Treibstoff: Die Wut von Millionen. Sie walzte die altmodischen Demokraten platt, die glaubten, das Wahlverhalten der Frauen, der Benachteiligten, der Unzufriedenen sei kalkulierbar.
Ist es nicht. Es war die Stunde der Rebellen, die das Establishment, Washington, den schwarzen Präsidenten und Hillary Clinton hassen.
"Das war ein Urschrei vieler Wähler, die desillusioniert über den Stand der Dinge sind", urteilte Obamas alter Kampagnenmanager David Axelrod.
Hundertschaften von Politikdeutern im Lager Hillary Clintons waren sich zu sicher. Die Kandidatin könnte sich trotz mieser Beliebtheitswerte fest auf die jungen Wähler, die Minderheiten, die Fortschrittsorientierten, die gewerkschaftlich Organisierten, auf die alte Obamakoalition von 2008 und 2012 verlassen.
Konnte sie nicht.
Das nostalgische Gefühl des Verlustes
Demokratin Zoe Baird, Präsidentin der Markle Foundation, die sich um Bildungsfragen und Informationstechnologie kümmert, beschreibt den Zustand der Wählerschaft so:
"Das halbe Land schaut zurück und hat ein Gefühl des Verlustes, ist nostalgisch. Die andere Hälfte glaubt: Wir werden damit klarkommen. Das ist spannend."
Die erste Hälfte hat sich durchgesetzt, nicht zahlenmäßig, denn Hillary Clinton hat immer noch mehr Stimmen als Donald Trump erhalten. Er gewann mehr der entscheidenden Wahlmänner, eroberte eine ganze Reihe der umkämpften Swing States und drang tief in altes demokratisches Territorium ein, in den "rust belt", den Rostgürtel des oberen Mittleren Westens, nach Michigan, nach Wisconsin.
Dort profitieren Menschen nicht von der Globalisierung. Sie leiden unter ihr. Das Clinton-Lager war zu sicher, dass diese Staaten nicht aus der blauen, demokratischen Brandmauer ausbrechen und sich republikanisch rot färben könnten. Der Trend sagte, dass die Menschen nicht anfällig für Trumps "Make America great again" waren.
Waren sie aber.
Ende der Clinton-Ära mit einem Paukenschlag
Hillary Clinton übernahm zwölf wortlose Stunden nach der Wahlnacht die Verantwortung. Sie entschuldigte sich dafür, die Wahl nicht gewonnen zu haben:
"Wir haben gesehen, dass unser Land tiefer gespalten ist, als wir dachten. Aber ich glaube immer noch an Amerika. Das werde ich immer. Wenn sie das auch so sehen, dann müssen wir das Ergebnis akzeptieren und in die Zukunft blicken."
Die Ära der Clintons im politischen Amerika geht mit einem Paukenschlag zu Ende. Hillary Clinton, ehemalige First Lady in Arkansas und im Weißen Haus, Senatorin und US-Außenministerin, nahm zwei Mal Anlauf, um Präsidentin zu werden. Sie war die eine Kandidatin, die gegen Donald Trump verlieren konnte, urteilten Kritiker nach der verlorenen Wahl.
Ihre Nominierung erscheint im Nachhinein als Fehler. In mehr als 30 politischen Jahren im Rampenlicht häuften sich unscharfe Trennlinien zwischen Ämtern und Privatinteressen und Affären aufeinander, die fast ebenso lang von der rechten Presse thematisiert wurden. Clinton ist "crooked Hillary", die betrügerische Hillary, rief Donald Trump im schmutzigsten Wahlkampf, an den sich die Amerikaner erinnern. Wieder und wieder.
Und der Chor der Konservativen antwortete: "Lock her up", sperrt sie ein!
Trump kündigte bei der letzten Kandidatendebatte als eine seiner ersten Amtshandlungen an, einen Sonderermittler mit einer Klage gegen Clinton zu beschäftigen.
Hillarys großes Vertrauensproblem
Der Schaden war angerichtet. Nicht einmal jeder dritte Amerikaner traute Clinton über den Weg. Eine Woche vor der Entscheidung hatte FBI-Direktor James Comey dem Kongress geschrieben, die Bundespolizei ermittle weiter wegen des privaten E-Mail-Servers Clintons aus ihrer Zeit als US-Außenministerin. Der Turm der Unglaubwürdigkeit wuchs. Zur Unzeit. Trump, der Demagoge mit Gespür für die Wut der zurückgelassenen Amerikaner und ihrer Zukunftsängste setzte sich gegen die erfahrenste Kandidatin aller Zeiten durch.
Whit Ayres ist seit 30 Jahren im Geschäft. Ein bekannter Politikberater, der viele konservative Wahlkämpfe begleitet hat. So etwas wie 2016 hat auch er noch nicht erlebt. "Data is dead", formulierten seine Kollegen nach der Wahlentscheidung vom 8. November. Die Mobilisierung Trumps, die verborgenen Hasswähler, die sich erst in der Wahlkabine für den Immobilienmann zu erkennen gaben. Diese Entwicklung sahen besonders die demokratischen Wahlforscher nicht. Die Vorhersagen hatten Mängel. Das Clinton-Lager wurde überrumpelt:
"Diese Wahl erinnerte mich viel mehr an eine Abstimmung in einem Land der Dritten Welt als in einer fortgeschrittenen industrialisierten Demokratie. In einem Land der Dritten Welt geht es um 'meinen großen Kerl' gegen 'deinen großen Kerl'. Es geht nur um 'den großen Kerl' oder in diesem Fall 'das große Mädchen'."
Eine Auseinandersetzung, die Clinton verlieren musste. Auch, weil Trump politischer Neuling ist, aber ein Fernseh- und Internetpublikum bestens zu unterhalten versteht.
Demokraten wie James Willsworth aus Owensboro, Kentucky beschlichen Zweifel, als sie einen Provokateur aus dem Reality TV mit kurzen, eindringlichen Botschaften im Wettstreit mit einer hochprofessionellen, aber streitbaren Karrierepolitikerin sahen:
"Ist das alles, was wir zu bieten haben? Ist das wirklich alles? Das Beste? In den USA und an anderen Orten der Welt stellen viele Menschen diese Frage: Ist das das Beste, was ihr zu bieten habt? Wenn das so ist, sind wir von den USA enttäuscht. Und so etwas wollen wir nicht hören. Nicht von ihnen, nicht von irgendjemandem. Und doch: Diese Enttäuschung wird kommen."
Und sie kam. Für die Demokraten.
Knapp an der ersten US-Präsidentin vorbei
"Wir waren so nah dran, zum ersten Mal eine Frau als Präsidentin zu bekommen. Jetzt haben wir einen weißen Nationalisten", klagte eine Demonstrantin am 9. November, dem Tag nach der Wahl, dem Tag des republikanischen Freudenfestes und der demokratischen Proteste.
Zoe Hannah organisiert die Anti-Trump-Proteste an der Universität von Pittsburgh in Pennsylvania:
"Die Leute haben einfach Angst. Sie sind traurig. Jeder, der kein weißer Mann ist hat Zweifel, ob er oder sie in den nächsten vier Jahren in diesem Land sicher sein wird."
Das Pendel schwingt einmal mehr auf die andere Seite des politischen Spektrums. Das ist üblich, wenn US-Präsidenten zwei Legislaturperioden lang regiert haben, aber bei der Entscheidung 2016 schwer zu fassen.
Denn mit Donald Trump wird am 20. Januar ein Präsident ins Amt eingeführt, dem fast zwei Drittel der Amerikaner das gar nicht zutrauen. Einer dieser Misstrauischen: Präsident Obama.
Die Demokraten waren in diesem Wahlkampf zunehmend umzingelt: Von Medien die eine denkbar schlechte Rolle spielten, von jungen Wählern, die Bernie Sanders und seiner politischen Revolution nachtrauerten, von Afroamerikanern und Latinos, die seltener zur Wahl gingen und überraschend häufig für Trump stimmten.
Kameras richteten sich eineinhalb Jahre lang ohne Unterlass auf Donald Trump. Er versprach mit seinen Attacken auf Frauen, Muslime, Mexikaner, Kriegshelden und die Regierung Einschaltquote. Sogar, als er statt einer politischen Grundsatzrede PR für sein neues Hotel in Washington machte, blieben die Informationskanäle auf Sendung.
Trumps knappe Sprachhappen für die Sehnsüchtigen
Trump lieferte knappe, knackige Sprachhappen, über die sich das gebildete Amerika lustig machte, die von den Millionen, die Sehnsucht nach sozialem Aufstieg haben, gierig konsumiert wurden. Zu spät merkten die Journalisten, was vor sich ging. Viel zu spät.
Der Umstand, dass sieben von zehn Aussagen Trumps einem Faktencheck nicht standhielten, fanden Moderatoren lustig.
Hillary Clintons Vergangenheit wurde durchleuchtet und mit rechten Konspirationstheorien angereichert. Ihre Politikvorschläge für die Zukunft gingen im Skandalwahlkampf unter. Der Traum, nach 240 Jahren erste Präsidentin zu werden scheiterte:
"Wir haben immer noch nicht dieses höchste und härteste Glasdach zerschmettert, aber eines Tages wird das jemandem gelingen. Und ich hoffe, das wird früher passieren als wir im Moment denken."
Die jungen, progressiven Amerikaner forderten erträgliche Collegegebühren, sozialen Ausgleich, weniger Macht für Konzerne, die Wall Street und höhere Steuern für das zehntel Prozent der Superreichen. Ihr Mann war Senator Bernie Sanders mit seiner politischen Revolution.
Ein später ideologischer Schritt nach links half Clinton nicht. Sie wirkte einmal mehr nicht glaubwürdig. Junge Amerikaner wählten die Grüne Jill Stein, gingen nicht zur Wahl. Manche entschieden sich für Trump. Und so war es auch bei den spanisch sprechenden Amerikanern und den Afroamerikanern.
Letztes Aufgebot der weißen, protestantischen USA
Ein weiterer Aspekt vermasselte den Demokraten die Wahl. Der linke Historiker Vincent Intondi aus Maryland interpretiert das Ergebnis als letztes Aufgebot des weißen, protestantischen Amerika:
"Die alte, weiße Garde in diesem Land weiß: Sie wird im Jahr 2030 die Minderheit in diesem Land darstellen. Sie sehen die erste Lateinamerikanerin im obersten Gericht. Sie sehen den ersten schwarzen Präsidenten, drei wunderschöne Frauen im Weißen Haus, elf Millionen undokumentierte Immigranten, die wählen wollen, eine junge Generation, die weniger rassistisch ist und der alten Ideologie nicht folgt. Sie rasten aus! Sie haben Obama in der Hoffnung mit Schmutz beworfen, dass irgendetwas hängenbleibt."
Es bleibt viel hängen. Eine tief beschädigte demokratische Partei, eine Kandidatin, deren politische Karriere zu Ende ist, ein Präsident, dessen Erbe nichts mehr wert ist.
"Der Weg dieses Landes war niemals eine gerade Linie. Es ist ein Zickzack-Kurs", philosophiert Obama: "Manchmal bewegen wir uns in den Augen mancher Menschen vorwärts, andere denken, wir wenden uns zurück. Und das ist in Ordnung so."
Gespaltene Nation statt Trump-Land
Demonstranten, die auf die Straßen Amerikas gehen und rufen: "Das ist nicht mein Präsident" verdeutlichen zweierlei. Die USA werden nicht Trump-Land, sondern bleiben eine gespaltene Nation. Eine Orientierung an den Menschen statt an der eigenen Person wird in die Politik zurückkehren. Selbst ein Präsident Trump kann den "common sense" nicht langfristig zur Strecke bringen.
Die Republikaner werden mit ihrer Mehrheit im US-Kongress konservative Juristen an das oberste Gericht berufen können, die nichts für Homoehe, Waffenkontrolle und Abtreibung übrig haben. Die Richter werden auf Lebenszeit berufen.
Michelle Obamas Antwort auf die Veröffentlichung von Donald Trumps altem Mitschnitt eines frauenfeindlichen Dialogs könnte auch als Programm der Demokraten für die kommenden Jahre herhalten:
"Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln. Wir müssen an die Arbeit gehen. Denkt immer daran: When they go low, we go high."
Dieser Slogan dürfte das Jahr überleben. Anständig sein, aufrichtig, sich nicht unterkriegen lassen. In den sozialen Medien fordern immer mehr Amerikaner, die First Lady solle Präsidentschaftskandidatin werden. Michelle 2020? Keine Option, hatte Präsident Obama geantwortet. Seine Frau strebe kein öffentliches Amt an.
Aber die Partei hat kluge Köpfe, die Menschen begeistern können und weder Obama noch Clinton heißen. Vielleicht Tim Kaine, der als Vizepräsident Hillary Clintons vorgesehen war, der nach der verlorenen Wahl deutlich machte: Es war nicht alles falsch. Beim nächsten Mal müssen wir uns mehr auf die Menschen, ihre Bedürfnisse und Sorgen konzentrieren.
"Jetzt haben sie uns getötet", zitierte Kaine den Literaturnobelpreisträger William Faulkner: "Aber wir sind noch nicht erledigt."