"Don't say gay"-Gesetz
Floridas Governeur Ron de Santis befeuert den Kulturkampf in den Klassenzimmern. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Douglas R. Clifford
Kulturkampf in Floridas Klassenzimmern
04:33 Minuten
In Florida dürfen Lehrer wegen des "Don't say gay"-Gesetzes an Grundschulen nicht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen. Die politische Polarisierung erreicht die Klassenzimmer. Kritiker wollen dagegen klagen.
Wegen des umstrittenen "Don´t say gay"-Gesetzes gibt es im Bundesstaat Florida und in den ganzen USA viel Unterstützung, aber auch viel Widerstand gegen das Gesetz. Es besagt, dass an Grundschulen nicht über sexuelle Orientierung gesprochen werden darf.
Auch anderswo entstehen ähnliche Initiativen, allerdings nicht so weitgehend. So werden in Indiana die Eltern gefragt, ob sie einverstanden sind, dass sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität im Unterricht thematisiert werden.
Das Establishment sei zu weit gegangen, sagt die fünffache Mutter Tina Deskovich. Bei vielen Abenden im Schulausschuss von Brevard County im US-Bundesstaat Florida war sie überzeugt, ihre Sorgen und die anderer konservativer Eltern würden ignoriert.
Deshalb gründete Deskovich die "Moms for Liberty" (Mütter für Freiheit). Nun änderten sich die Dinge, sagte Deskovich dem Sender NBC. Viele Eltern seien aufgewacht, mit dem neuen Gesetz würden die Elternrechte gestärkt.
Klagen der Eltern drohen
Er sei besorgt über die wachsende Zahl von Kindern, die sich als "gay" bezeichneten, und die Verantwortung der Schulen dafür, sagte der republikanische Abgeordnete Joe Harding, als er das Gesetz einbrachte. Nun dürfen von Juli an Lehrerinnen und Lehrer an staatlichen Grundschulen und Kindergärten nicht mehr über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen.
Unterrichtsmaterialien, die Unterschiede zwischen Geschlecht, Orientierung und Identität altersgerecht erläutern, können nicht mehr eingesetzt werden. Tun Lehrer dies doch, drohen ihnen Klagen der Eltern.
"Wir sind gegen jede Art von Sexualunterricht für Kinder im Kindergarten oder der Grundschule. Das gehört da nicht hin", sagt Tina Deskovich. Ihre "Moms for Liberty" kämpfen inzwischen in 34 Bundesstaaten für Elternrechte und, so beschreibt es die Webseite, gegen diejenigen, die sich der Freiheit in den Weg stellten. Was Freiheit ist, bestimmen die Eltern.
Früher schläfrig-bürokratische Schulausschussabende wurden in Florida wie überall im Land zu Schauplätzen heftiger Auseinandersetzungen: Eltern wie Deskovich verdächtigen Lehrer, ihre Kinder zu indoktrinieren und in ihrer Geschlechtsidentität zu verunsichern.
Andere Eltern protestieren
Ihnen gegenüber stehen Eltern, die erwarten, dass Schule die Lebenswirklichkeit von Kindern und Eltern in aller gesellschaftlichen Breite widerspiegelt. Jabari Hosey hat in Brevard County die "Families for safe schools" (Familien für sichere Schulen) gegründet. Das neue Gesetz ist für ihn ein Schlag ins Gesicht von LGBTQ – insbesondere von Schulkindern, die einen geschützten Raum bräuchten.
Auch Floridas Kinderärzte lehnen das neue Gesetz ab. Sie warnten, LGBTQ-Kinder würden ohnehin weitaus häufiger als ihre Altersgenossen einen Selbstmordversuch unternehmen. Andere Kritiker verweisen darauf, der Gesetzestext sei schwammig und definiere nicht, was „Sprechen über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität“ genau bedeutet.
Unklare Gesetzeslage
Wenn die Kinder einen Stammbaum zeichnen sollen, wie reagiert der Lehrer auf Fragen zum Stammbaum eines Kindes mit gleichgeschlechtlichen Eltern? Wie geht es diesem Kind, wenn andere Kinder sich darüber lustig machen und der Lehrer schweigt?
"Lehrer haben Angst, dass sie aus Versehen etwas Falsches sagen und dass die Eltern sie dann verklagen", befürchtet Anthony Calucci, der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft in Brevard County.
Die Worte gay, bi oder trans kommen im Gesetz nicht vor. Viele Unterstützer beklagen, dass die Gegner trotzdem vom "Don´t say gay"-Gesetz sprechen: Es richte sich nicht gegen Schwule.
Floridas Gouverneur Ron de Santis hielt sich nicht mit solchen Feinheiten auf. Wer gegen das Gesetz sei, unterstütze die Sexualisierung von Kindern im Kindergarten, behauptete er bei der Unterzeichnung des Gesetzes. Auf diese Weise werde angeblich "linke Gender-Ideologie" in die Klassenzimmer gebracht.
Wahlkampf wird zum Kulturkampf
"Wir werden dafür sorgen, dass Eltern ihre Kinder in die Schule schicken können, damit sie eine Ausbildung erhalten und nicht indoktriniert werden", sagt de Santis der auf eine republikanische Präsidentschaftskandidatur hofft. Doch politischer Kulturkampf rund um die Bildung ist nicht nur für ihn ein vielversprechendes Wahlkampfthema.
Republikanische Politiker im ganzen Land haben festgestellt, dass sie mit Streitfragen wie Sexualerziehung oder dem Unterricht über US-Geschichte, Sklaverei und Rassismus Mittel-Wähler mobilisieren können, die früher oft die Demokraten gewählt haben. Darunter vor allem Frauen.