"My country, right or wrong"?
Von patriotischen Amerikaner hört man - wenn auch manchmal zähneknirschend - den Satz "My country, right or wrong". Man müsse zu allem stehen, was sein Land so tue. Der Greencard-Gewinner Hannes Stein ist De-facto-Amerikaner. Allerdings erst seit einem knappen Jahrzehnt. Wie fühlt er sich als eingewanderter Autor aus Deutschland im Trump-Amerika?
Neuneinhalb Jahre ist es jetzt her, dass ich in die Vereinigten Staaten ausgewandert bin. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern Nachmittag gewesen: Es war am Flughafen von Newark. An jeder Hand trug ich einen schweren Koffer. Über die linke Schulter hatte ich meine Reisetasche und über die rechte Schulter meine Gitarre geschlungen. Als ich dem Grenzbeamten meine funkelnagelneue Greencard hinhielt, sagte er mir die zwei schönsten Worte, die man einem Menschen zum Geschenk machen kann, der sich aufgemacht hat, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Der Mann an der Grenze sagte: "Welcome home."
Was wäre, hätte ich 2007 schon von Trump gewusst?
Nehmen wir an, just in diesem Moment am 31. August des Jahres 2007 wäre vor meinen Augen plötzlich ein Zeitreisender erschienen. Nehmen wir an, der Besucher aus der Zukunft hätte mir wortlos ein Smartphone vor die Nase gehalten. Und dann hätte er mir ein Video vom amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gezeigt, den wir alle dieser Tage entgeistert mitverfolgen.
Ich hätte also den wutschnaubenden Donald Trump gesehen: Lügen, Verschwörungstheorien, rassistische Hetztiraden, widerliches, frauenfeindliches Gelaber. Ich hätte gesehen, wie Trump seine Kontrahentin Hillary Clinton bedrängt und droht, dass er sie einsperren lassen wird, wenn er erst einmal Präsident geworden ist. Ich wäre Zeuge geworden, wie die Republikanische Partei vor diesem Wüterich in die Knie geht; seine Anhänger wären vor mir vorbeigezogen wie ein geifernder, gewaltbereiter Mob. Wie hätte ich wohl reagiert?
Im ersten Schreck hätte ich im Jahre 2007 natürlich nichts von dem geglaubt, was mir der Zeitreisende da zeigt. Ich hätte angenommen, dass er mir einen irren Science-Fiction-Film vorspielt, eine verrückte Zukunftsvision. Ein faschistischer Demagoge in den Vereinigten Staaten? Ein faschistischer Demagoge, dem die Massen zujubeln? Ein Möchtegerndiktator, der nicht etwa in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sondern dessen Werte den Umfragen immer weiter steigen, bis das Weiße Haus zum Greifen nah ist?
Doch nicht mein Amerika! Doch nicht das Vaterland von Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt, das geholfen hat, Europa von den Nazis zu befreien.
Nehmen wir nun aber an, der Zeitreisende hätte mich irgendwie davon überzeugt, dass sein Video nichts als die nackte, unverfälschte Wahrheit zeigt. Was hätte ich damals, vor neuneinhalb Jahren, getan?
Dennoch: Das Land gehört mir!
Keine Frage: Ich wäre mit der nächsten Maschine nach Berlin zurückgeflogen. Ich hätte mir eine neue Wohnung und einen anderen Job gesucht und wäre friedlich in Deutschland versauert.
Und das wäre unter dem Strich doch ziemlich schade gewesen. Denn in diesem Fall hätte ich nie die neuen und wunderbaren Freunde gefunden, die ich seither in den Vereinigten Staaten kennengelernt habe. Vor allem wäre ich nie meiner Frau über den Weg gelaufen und hätte sie nicht an einem herrlichen Frühlingstag unter blühenden Bäumen in Maryland geheiratet. Und heute würde um sechs Uhr früh nicht unser Sohn neben unserem Bett stehen und mich wachrütteln: "Daddy, wake up! It is morning!"
Unser Sohn ist jetzt schon dreieinhalb Jahre alt. Zu den Bilderbüchern, die ich ihm vorlese, gehört ein besonders schönes von Peter Spier – es heißt "The Star-Spangled Banner" und handelt von der amerikanischen Nationalhymne. Unser kleiner Amerikaner zwingt mich oft, ihm die Verse lauthals vorzusingen. In letzter Zeit habe ich das mit ungebremster Begeisterung getan: ohne Hintergedanken und ohne Ironie.
Das mag sich vielleicht paradox anhören, aber der aufhaltsame Aufstieg des Donald Trump hat meinen amerikanischen Patriotismus nicht schwächer werden lassen. Er hat ihn eher angestachelt. Ich denke gar nicht daran, dieses Land Herrn Trump und seinen furchterregenden Anhängern zu überlassen. Warum? Ganz einfach: Weil es mittlerweile längst mir gehört.
Hannes Stein, 1965 in München geboren, hat in Großbritannien und in Israel gelebt. Er war lange Jahre Redakteur der "Literarischen Welt" in Berlin und ist seit 2007 Kulturkorrespondent der "Welt" in New York. Roman "Der Komet" bei Galiani.