Oliver Anthony: „Rich Men North Of Richmond“
Gegen die Eliten, aber auch gegen Sozialhilfeempfängerinnen: Mit seinem Überraschungshit "Rich Men North of Richmond" hat Oliver Anthony der US-amerikanischen Rechten eine Hymne geliefert. © picture alliance / The Virginian-Pilot / Kendall Warner
Ein Song für abgehängte weiße Männer
Oliver Anthony ist mit dem Song „Rich Men North Of Richmond“ an der Spitze der US-Charts gelandet. Der Überraschungshit bedient lauter Ressentiments, wäre der perfekte Wahlkampfsong für Donald Trump - und ist nicht der erste Country-Titel dieser Art.
Das Musikvideo zu dem Country-Folk-Song, der in den USA offenbar einen Nerv getroffen hat, ist ein simpler Clip einer Live-Session: Ein weißer Mann mit rotem, zauseligen Vollbart steht mit seiner Akustikgitarre mitten im Wald. Er habe seine Seele verkauft, den ganzen Tag gearbeitet, Überstunden gemacht, sei mies bezahlt worden, singt er klagend. Wer ist schuld an seiner Misere? Die „Rich Men North Of Richmond“, so der Titel des Songs: Das lyrische Ich ist wütend auf die reichen Eliten, die Politiker in Washington D.C.. Die Hauptstadt der USA liegt nördlich von Richmond, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Virginia.
Überblick
Viraler Überraschungshit eines Hillbilly
Der bis vor Kurzem völlig unbekannte Musiker Oliver Anthony steht mit „Rich Men North Of Richmond“ auf Platz 1 der Billboard Charts. Erstmals gelang dies einem Interpreten, der zuvor noch nie in irgendeiner Billboard-Hitparade aufgetaucht war. Der Song wurde in weniger als einer Woche 17,5 Millionen Mal gestreamt, das einfach gehaltene Musik-Video ging viral. Auf Youtube zählt es knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung 34 Millionen Aufrufe.
Über den Sänger ist wenig bekannt. Oliver Anthony kommt aus Virginia, er soll um die 30 Jahre alt sein und in einem Trailer im ländlichen Süden der USA leben: ein Hillbilly, ein Hinterwäldler. In den sozialen Netzwerken erzählt er, dass er die Schule abgebrochen und in einer Fabrik gearbeitet habe, er habe mit Depressionen und Alkoholmissbrauch zu kämpfen gehabt.
Der perfekte Wahlkampfsong für Donald Trump
In den USA wird Oliver Anthonys Hit von Politikern der Republikaner und Medien wie Fox News gefeiert. Denn der Song, dessen Text zunächst wie eine linke Arbeiterhymne beginnt, ist tatsächlich ein Protestsong, der konservative bis erzreaktionäre Narrative aufgreift. „Wenn Donald Trump bei der nächsten Wahl für die amerikanische Präsidentschaft antritt, dann hat er auf jetzt schon den perfekten Wahlkampfsong“, sagt der Autor und Literaturwissenschaftler Florian Werner.
Denn neben dem Hass auf die Eliten, der schon im Songtitel auftaucht, bediene der Song Verschwörungsmythen, Ressentiments und trete "ordentlich nach unten", indem er die Figur der "Welfare Queen" aufgreift: Oliver Anthony beschreibt Sozialhilfeempfängerinnen als sehr dicke Frauen, denen der Staat die Schokokekse bezahle. Die Trope der „Welfare Queen“ wird in den USA als alleinerziehende, zumeist schwarze Sozialhilfeempfängerin verstanden, ohne dass dies explizit gesagt werden muss. "Es ist ein rassistischer und auch sexistischer Song", so Werner.
Davon angesprochen fühlten sich unterprivilegierte weiße Männer. Werner weist darauf hin, dass im Hintergrund des Musikvideos auch mal wie beiläufig ein Klappstuhl mit Bierdosenhalter und ein Jadgsitz mit Tarnnetz zu sehen seien. „Da schillert ein kulturelles Milieu durch, in dem man gerne mal ein großes Miller Lite aus der Bierdose trinkt und Schusswaffen schätzt."
Ressentiments haben im Country Tradition
Beobachter erkennen in dem Erfolg von "Rich Men North Of Richmond" einen Trend: Die politische Rechte in den USA versuche immer stärker, Musik und Filme mit konservativen Inhalten gezielt zu fördern. Zur Zeit sind solche Songs in den amerikanischen Charts und Debatten auf jeden Fall sehr präsent: Vor Oliver Anthonys Lied schaffte es Anfang August bereits ein anderer, ebenfalls umstrittener Country-Song auf Platz Eins der Charts: "Try That In A Small Town" von Jason Aldean.
Der Song, der alles Übel in der Großstadt verortet und das Kleinstadtleben idealisiert, geriet in die Diskussion, da das dazugehörige Musikvideo am Ort eines rassistischen Lynchmordes gedreht wurde. Im Zusammenspiel von Video und Songtext sahen Kritiker einen Aufruf zu rassistischer Selbstjustiz.
Das Bild "der gefährlichen, außer Kontrolle geratenen Großstadt als Feind und Gefahr für die schöne, friedliche Kleinstadt“ sei tief in der amerikanischen Kultur verwurzelt, sagt Charles Hughes, Historiker am Rhodes College in Memphis, Tennessee, und Autor des Buchs „Country Soul: Making Music And Making Race in the American South“. Diese anti-städtischen Ressentiments, die in Country-Songs immer wieder auftauchen, seien Teil einer rassistischen Tradition, die bis zum Bürgerkrieg zurückreiche: Als ehemals versklavte, schwarze Menschen in die Städte der USA zogen, machten sie diese angeblich zu gefährlichen, unwirtlichen Orten.
Dass Country-Musik von solchen Ressentiments geprägt ist, findet Hughes nicht überraschend, denn Country sei ein Produkt der USA und einer von Weißen dominierten Musikindustrie. „Deshalb sieht man dort oft die gleichen Rassismen wie in der Kultur, die das Genre hervorgebracht hat“, so der Historiker. „Das hat der Country aber nicht exklusiv – Rock’n’Roll und andere Musik-Genres haben ein ähnliches Problem.“
Bei seiner Analyse, warum "Try That In A Small Town" so erfolgreich ist, kommt auch Hughes auf Donald Trump zu sprechen. Die Essenz des Songs sei dieselbe wie die des Slogans „Make America Great Again“. Er glaubt: „Es wird immer einen Markt geben für die Angst weißer Menschen vor gesellschaftlichen Veränderungen.“
jfr, Arne Bartram, Mike Herbstreuth, Florian Werner