USA und Mexiko

Die Flüchtlingskrise am Rio Grande

24:51 Minuten
Eine Person springt über den fast ausgetrockneten Rio Grande an der Grenze zwischen den USA und Mexiko.
Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist derzeit Krisengebiet. © imago / Agencia EFE / Luis Torres
Von Anne Demmer, Inés Klissenbauer und Marcus Pindur |
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Im Norden Mexikos warten Zehntausende Flüchtlinge darauf, in die USA zu kommen. Darunter sind auch viele Minderjährige. Weil sie unter der Regierung Biden nicht ausgewiesen werden dürfen, schicken manche Eltern ihre Kinder alleine los.
Rund 100.000 Migranten sind allein im Februar dieses Jahres in den USA ohne Papiere aufgegriffen worden. Darunter waren über 9200 Minderjährige. Die dürfen unter der Regierung Biden nicht abgeschoben werden, aber sie hausen in überfüllten Lagern, in manchen gibt es nicht einmal ein Fenster.

Gerüchte statt Informationen

In Ciudad Juárez kommen täglich rund 120 Menschen an, die es zwar in die USA geschafft haben, die aber zurückgeschickt werden, bevor sie einen Asylantrag stellen können. Ein Notgesetz wegen der Corona-Pandemie macht das möglich.
"Viele sind total orientierungslos, wenn sie hier ankommen", erzählt Hugo, der eine Herberge in Ciudad Juárez leitet. "Sie wissen nicht wohin, aber auch wir sind am Limit."

In den überfüllten Unterkünften kann in der Pandemie kein Abstand gehalten werden, die Migranten leben dicht an dicht. Diejenigen, die jetzt versuchen, über die Grenze zu kommen, sind schon länger da, so wie eine 40-jährige Guatemaltekin mit ihrer kleinen Tochter.

Manche schicken ihre Kinder allein los

Wie viele der gestrandeten mittelamerikanischen Flüchtlinge hat auch sie sich gefreut, als Joe Biden Präsident der Vereinigten Staaten wurde und das Programm seines Vorgängers Donald Trump "Remain in Mexico" zurückgenommen hat. Aber sie hat auf Gerüchte und Falschmeldungen vertraut.
Eine Familie überquert die Stanton-Brücke von El Paso in Texas aus zurück nach Ciudad Juárez.
Eine Familie aus Mittelamerika wird am 29. März in Texas wieder nach Mexiko ausgewiesen. © AFP / Herika Martinez
"Mir wurde gesagt, dass der Präsident uns in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit aufnimmt. Aber das stimmt nicht, nur Minderjährige dürfen kommen. Aber warum wir nicht? Wir haben auch Kinder. Wie soll ich meine Tochter ernähren? In Guatemala werden wir bedroht. Wir bitten den Präsidenten, dass er uns durchlässt. Wir haben schon so viel gelitten."
Die Anwältin Rocío Mélendez versucht, den Falschmeldungen etwas entgegenzusetzen und die Familien zu beraten. "In ihrer Verzweiflung wollen jetzt manche ihre Kinder allein schicken, damit sie dann drüben bei Verwandten Unterschlupf finden", erklärt sie. Die Kinder sind die letzte Hoffnung, wenigstens sie sollen es besser haben. Aber die Eltern, die diesen Weg gehen, riskieren viel, erklärt Mélendez.
"Wenn sie von den mexikanischen Behörden noch vor dem Grenzübertritt aufgegriffen werden, werden sie an das Jugendamt übergeben und im schlimmsten Fall könnten die Eltern das Sorgerecht verlieren, wenn die Behörden der Meinung sind, dass die Kinder einer Gefahr ausgesetzt sind."

Desaströse Situation in den Herkunftsländern

Die meisten geflüchteten Familien kommen aus Honduras, Guatemala und El Salvador. Die Lage in ihren Heimatländern ist gefährlich, perspektivlos und von Gewalt geprägt, erklärt die Referentin für Mittelamerika von Adveniat, Inés Klissenbauer. Der Staat und seine Institutionen schützen die Bürgerinnen und Bürger nicht, sondern bedrohen sie häufig sogar, wie zum Beispiel in Honduras. Willkür und Korruption sind omnipräsent und dort, wo versucht wird, dies zu bekämpfen, werden alle Versuche, Rechtsstaatlichkeit herzustellen, zunichtegemacht.
So geschehen in Guatemala, wo eine internationale Untersuchungskommission des Landes verwiesen wurde, als sie Korruptionsfälle in der Regierung aufdeckte. In El Salvador geht die Gewalt durch die Jugendbanden "Maras" gerade zurück, allerdings zu einem hohen Preis. Der autoritär herrschende Präsident Nayiub Bukele hat offenbar einen Deal mit den Banden ausgehandelt.


Für alle drei Ländern gilt: Es gibt extreme Armut und Ungleichheit sowie die Bedrohung durch den Klimawandel. Allein im letzten Herbst gab es zwei Wirbelstürme, die vielen Menschen alles genommen haben, was sie hatten. "Sie haben nichts mehr zu verlieren", konstatiert Inés Klissenbauer.

An den desaströsen Zuständen, die zur Migration führen, haben auch die USA ihren Anteil. Die Unterstützung korrupter Machthaber und die Verhinderung sozialer Reformen gehen auf das Konto wirtschaftlicher Interessen.
Dennoch, so ist sich Inés Klissenbauer sicher, würden die meisten derjenigen, die diese schwere Reise auf sich nehmen, viel lieber in ihrer Heimat bleiben.

"Die Menschen fliehen aus sehr schönen und ressourcenreichen Ländern. Könnten sie dort in Würde leben und wären nicht Spielball nationaler und internationaler Wirtschaftsinteressen, dann würden sie auch nicht weggehen."
Migranten schauen die Amtseinführung von US-Präsident Biden auf einem Fernseher in ihrer Gemeinschaftsunterkunft.
Täglich werden Menschen aus den USA nach Ciudad Juárez zurückgeschickt, bevor sie dort einen Asylantrag stellen konnten.© AFP / Herika Martinez
Die Ankündigung des neuen US-Präsidenten Joe Biden, eine liberale und humane Einwanderungspolitik zu verfolgen, macht vielen der in Not lebenden Mittelamerikaner Hoffnung. Diejenigen, die bereits im Norden Mexikos gestrandet waren, versuchten, über die Grenze zu kommen. Das wurde auf der anderen Seite mit Besorgnis registriert.

Präsident Joe Biden unter Druck

Aber in den USA gab es kurz nach dem Amtsantritt Bidens andere Probleme: Die Corona-Pandemie musste eingedämmt werden. Lange wollte der US-Präsident gar nicht von einer Krise an der Grenze sprechen. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, denn er wird scharf angegriffen. Die Tatsache, dass allein im Februar 100.000 Migranten aufgegriffen wurden, darunter über 9000 unbegleitete Minderjährige, zeigt, dass die Einwanderungspolitik ein zentrales Streitthema der Politik bleiben wird.
Die Republikaner werfen Biden vor, die Krise selbst verursacht zu haben, weil er das Programm "Remain in Mexico" zurückgenommen hat, den Mauerbau gestoppt hat und die sogenannten "Dreamer" - erwachsene Kinder von Einwanderern ohne Papiere - legalisieren will. Biden indessen versucht zu beschwichtigen, beklagt sich über mangelnde Kooperation in Mexiko und übergibt das Problem jetzt seiner Vizepräsidentin Kamala Harris.
Inés Klissenbauer hält dies für eine verkürzte Sichtweise. "Migrationsbewegungen entstehen nicht, weil ein Präsident ein Gesetz ändert. Auch unter Trump gab es trotz seiner Mauer Migrationsbewegungen, die nur wegen der Corona-Krise geringer wurden. Erst wenn die Menschen in Mittelamerika Zugang zu Nahrung, Bildung und Arbeit haben, wird sich etwas ändern."
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