USA
Der mutmaßliche Mörder des in New York erschossenen Chefs von UnitedHealthcare war nach Polizeiangaben selbst nicht bei dem US-Unternehmen versichert © picture alliance / Associated Press / Gary M. Baranec
Warum der Tod eines Versicherungs-CEOs gefeiert wird
Der Chef des US-Versicherungskonzerns UnitedHealthcare, Brian Thompson, wurde Anfang Dezember in New York erschossen. Stimmen im Netz feiern den mutmaßlichen Täter als eine Art Robin Hood – offenbar aus Wut und Verzweiflung über das Gesundheitssystem.
Der Verdächtige im Fall der tödlichen Schüsse auf den UnitedHealthcare-CEO Brian Thompson sieht sich selbst als "Held" – so die Einschätzung der US-Polizei. Er suchte sein Opfer wohl aus, weil der Konzern UnitedHealthcare der größte Versicherer des Landes ist.
Nun wird der Absolvent einer Eliteuni und Sohn einer wohlhabenden Familie für seine Tat im Netz teilweise zum modernen "Robin Hood" stilisiert. Das wirft ein Schlaglicht auf die Einstellung vieler Menschen in den USA zum Gesundheitssystem.
Inhalt
Wie kam es zu dem Mord?
Der Chef des milliardenschweren US-Gesundheits- und Versicherungskonzerns UnitedHealthcare, Brian Thompson, war am 4. Dezember in der Nähe des New Yorker Times Square aus nächster Nähe niedergeschossen worden. Thompson starb wenig später in einem Krankenhaus. Die von Überwachungskameras gefilmte Tötung des 50-Jährigen und die öffentliche Fahndung nach dem Täter machten weltweit Schlagzeilen.
Am 9. Dezember nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest: Luigi Mangione. Der 26-Jährige ist der Sohn einer einflussreichen Familie aus der Region Baltimore. Er studierte an der University of Pennsylvania, einer der prestigeträchtigsten Hochschulen in den USA. 2020 schloss er ein Studium in Ingenieurwissenschaften ab.
Mangione wurde inzwischen in Manhattan unter anderem wegen Mordes angeklagt. Nach Angaben der Ermittler wurde ein dreiseitiges handschriftliches Dokument beschlagnahmt, ein "Manifest", das Mangiones „Motivation und Denkweise“ widerspiegele.
Welche Reaktionen löste die Attacke in den USA aus?
Noch bevor die Polizei Mangione festnahm, wurde er im Internet als „Robin Hood“ des 21. Jahrhunderts gefeiert. Anschließend verteidigten in den sozialen Medien viele den Täter und bekundeten wenig Mitgefühl für das getötete Opfer.
Mittlerweile gibt es T-Shirts, Kaffeetassen und Schnapsgläser mit dem Gesicht des wegen Mordes Angeklagten im Internet zu kaufen. Das Entsetzen über die Tat wich der Wut vieler Menschen auf das amerikanische Gesundheitssystem und die Versicherungsbranche in den USA.
In welchem Zusammenhang steht der Fall mit dem US-Gesundheitssystem?
Die Tötung des Versicherungschefs hat die USA aufgewühlt. Gleichzeitig legt der Fall auch die Wut über das Gesundheitssystem offen. Aus dem beschlagnahmten Dokument geht hervor, dass der Verdächtige womöglich aus Wut gegen US-Krankenversicherungen handelte. In Notizen und Beiträgen in sozialen Medien habe der mutmaßliche Schütze die Branche als „parasitär“ bezeichnet und sich über die Habgier der Unternehmen aufgeregt, hieß es in einem Ermittlungsbericht, den die Nachrichtenagentur AP einsehen konnte.
Auf Patronenhülsen, die die Ermittler am Tatort sicherstellten, standen die Wörter: "delay" (verzögern), „deny“ (ablehnen) und „depose“ (abwickeln). Ermittler gehen davon aus, dass die Wörter auf einen Satz Bezug nehmen, mit dem die Kritiker die Strategie der Krankenversicherer beschreiben. Ein 2010 erschienenes Buch des Rechtswissenschaftlers Jay M. Feinman zu dem Thema trägt den Titel "Delay, Deny, Defend".
Im Bericht der New Yorker Polizei heißt es laut US-Medien zu den Motiven des mutmaßlichen Täters: "Er schien die gezielte Tötung des höchsten Unternehmensvertreters als symbolischen Schlag und direkte Aktion gegen die angebliche Korruption und die 'Machtspiele' des Unternehmens zu betrachten."
Wie ist es um die Gesundheitsversorgung der US-Bürger bestellt?
Die USA haben mit 12.555 US-Dollar pro Kopf (2022) die höchsten Gesundheitsausgaben der OECD-Länder. In Deutschland sind es 8.011 US-Dollar. Die medizinische Versorgung in den USA gilt als technisch fortschrittlich, das Land ist Spitzenreiter in der medizinischen Forschung und Innovation. Gleichzeitig gibt es deutliche Qualitätsunterschiede je nach Region, Krankenhaus und Versicherungsstatus.
In den USA existiert keine allgemeine, staatlich organisierte Krankenversicherung. Stattdessen basiert das System auf einem Mix aus privaten Versicherungen und öffentlichen Programmen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Das führt dazu, dass viele Menschen durchs Raster fallen und nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Vor allem einkommensschwächere Gruppen haben in den USA einen schlechteren Zugang zu guten Gesundheitsleistungen.
Rund 25 Millionen US-Amerikaner hatten im Jahr 2023 sogar überhaupt keinen Krankenversicherungsschutz. Das besagten Mitte 2024 vorläufige Ergebnisse einer Erhebung, die vom US National Center for Health Statistics veröffentlicht wurde. Immerhin hat sich die Situation in den vergangenen Jahren deutlich verbessert: 2019 waren noch 33,2 Millionen US-Amerikaner nicht krankenversichert. Nicht zuletzt Obamacare, das Gesetz, das die Krankenversicherungspflicht für alle in den USA lebenden Personen regelt, führte dazu, dass die Anzahl der Versicherten stieg. Das Gesetz geht auf den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zurück.
Doch auch krankenversicherte US-Bürger sind nicht unbedingt gut versorgt. Das hat verschiedene Gründe.
Abhängigkeit vom Arbeitgeber: In den USA erhalten Angestellte ihre Krankenversicherung häufig über ihren Arbeitgeber, der einen Teil der Kosten übernimmt. Bei Jobwechsel oder Arbeitslosigkeit fällt die Krankenversicherung entsprechend weg.
Hohe Zuzahlungen: Der Eigenanteil der Versicherten für Behandlungen oder Medikamente ist in den USA häufig sehr hoch. Auch die Selbstbeteiligung, die Versicherte pro Jahr aus eigener Tasche zahlen müssen, beträgt in der Regel mehrere Tausend US-Dollar.
Keine freie Arztwahl: Viele Versicherungen arbeiten mit einem Netzwerk von Ärzten zusammen. Für Behandlungen in anderen Praxen übernimmt die Versicherung nur einen geringen Teil der Kosten oder deckt diese gar nicht ab.
Die insgesamt hohen Ausgaben für ihre medizinische Versorgung stören viele US-Amerikaner: Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup zufolge sind 81 Prozent der Befragten mit den Kosten unzufrieden. Sie führen dazu, dass etliche Menschen erst gar nicht zum Arzt gehen, Krankheiten bleiben unbehandelt.
Komplizierte Verträge: Dadurch, dass es so viele unterschiedliche Versicherungsanbieter mit diversen Angeboten gibt, kann es schwer sein, den Überblick über die versicherten Leistungen zu behalten.
Vorab-Genehmigungen: Besonders teure Leistungen wie Operationen, MRT-Scans oder Prothesen müssen vorab von der Krankenkasse genehmigt werden. Dieser Prozess kann sich hinziehen. Die Redensart "delay, deny, defend" (verzögern, ablehnen, verteidigen) spielt darauf an, dass Versicherer oft monatelang eine Behandlung hinauszögern oder auch gar nicht bewilligen. Die Methode hat System, bemängeln Kritiker, denn die Gesundheitsversorgung in den USA sei vor allem ein Geschäft. Für die meist börsennotierten Versicherungen gehe um Profite und Aktienkurse.
aha