Olympe de Gouges: Die Rechte der Frau und andere Texte. Mit einem Essay von Margarete Stokowski
Aus dem Französischen von Ute Kruse-Ebeling
Reclam Verlag, Stuttgart 2018
78 Seiten, 6 Euro
Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018
320 Seiten, 20 Euro
Ute Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789
CH. Beck, München 2018
128 Seiten, 8,95 Euro
Ute Gerhard: Für eine andere Gerechtigkeit. Dimensionen feministischer Rechtskritik
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018
405 Seiten, 34,95 Euro
Olympe de Gouges: Die Rechte der Frau/Déclaration des droits de la femme
Aus dem Französischen und mit einer Einführung von Gisela Bock
DTV, München 2018
160 Seiten, 16 Euro
Das Erbe der Frauenrechtlerin Olympe de Gouges
Menschenrechte gelten auch für Frauen – zu Zeiten von Olympe de Gouges keine Selbstverständlichkeit. Auch heute noch müssten Rechte immer wieder neu eingeklagt und verhandelt werden, sagt Soziologin Ute Gerhard im Gespräch mit Margarete Stokowski.
"Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich." So lautet der erste Artikel der "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin", 1791 veröffentlicht von der französischen Schriftstellerin Olympe de Gouges (1748–1793). Gerade erst hatte Frankreich sich nach der Revolution eine neue Verfassung gegeben und ihr die Erklärung allgemeiner Menschenrechte voranstellt. Im Französischen bedeutet L’homme zu gleich "Mensch" und "Mann". "Insofern mussten Frauen tatsächlich darauf aufmerksam machen, dass sie auch Menschen waren", sagt Ute Gerhard, auch wenn das für uns heute absurd klinge.
Die streitbare Olympe de Gouges indes war den Revolutionären bald ein Dorn im Auge - vielleicht auch wegen ihrer nachdrücklichen Forderungen. 1793 wurde sie vom Revolutionstribunal zum Tod durch die Guillotine verurteilt.
100 Jahre nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen in Deutschland und 70 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen diskutieren die Geschlechterforscherin Ute Gerhard und die feministische Schriftstellerin Margarete Stokowski über das geistige Erbe der mutigen Aufklärerin.
Gegen Sklaverei und Kolonialismus
Olympe de Gouges stritt nicht nur für die Rechte der Frauen. In ihren Aufsätzen und Theaterstücken und auf Flugblättern, die sie in Paris verteilte, prangerte sie die Sklaverei an und verlangte, dass gleiches Recht auch für die Bevölkerung der damaligen französischen Kolonien gelten sollte. Sie bestand darauf, dass die freie Meinungsäußerung auch das Recht von Frauen beinhalten müsste, die Vaterschaft ihrer Kinder zu benennen, um materielle Unterstützung zu erhalten.
Stokowski: "Sie wollte die Todesstrafe abschaffen, sie wollte die Sklaverei abschaffen, sie wollte ein Scheidungsrecht einführen – all diese Dinge, die natürlich bestimmten privilegierten Milieus nicht so wichtig waren damals – das heißt, sie hatte ein ziemlich großes Programm, und ich glaube, dass es das umso schwieriger gemacht hat, Anschluss zu finden an weitere laute Stimmen ihrer Zeit."
Als gesellschaftliche Vordenkerin war Olympe de Gouges ihrer Zeit damit weit voraus. Die meisten männlichen Philosophen der Aufklärung wie Rousseau, Kant oder Hegel waren Befürworter des Kolonialismus und machten auch nicht gerade als Vorkämpfer für die Gleichstellung der Frau von sich reden.
Lesen und Schreiben im Selbststudium
Marie Gouze, so ihr bürgerlicher Name, wurde im Süden Frankreichs als uneheliches Kind einer Wäscherin geboren. Sie lernte, Lesen und Schreiben im Selbststudium und gelangte in Paris in die Kreise der Aufklärer. Unter dem Namen Olympe de Gouges veröffentlichte sie Theaterstücke und politische Essays. Dabei musste sie sich als "femme auteur" immer wieder gegen Anfeindungen und Verleumdungen zur Wehr setzen.
Der Streit um die Gleichbehandlung von Frauen wurde auch philosophisch geführt. Ausgerechnet im Zuge der Aufklärung wurde die angebliche "Natur der Frau" ins Feld geführt, um Frauen von den Menschen- und Bürgerrechten auszuschließen, so Ute Gerhard:
"Mit der Aufklärung sind Fragen der Natur und der Naturwissenschaft zum Thema geworden, und dann hat man einen Grund gefunden, um Frauen auszuschließen, indem man ihren Körper, ihre physische Verfassung zum Anlass nahm, um zu sagen: Sie ist kein vollständiger Mensch, und sie ist nicht zu beteiligen. Die Wissenschaft vom Menschen, die sich in der Aufklärungszeit entwickelt, setzt diese Trennung zwischen Mann und Frau eigentlich erst richtig durch als politische Kategorie."
Männer fürchten um ihre Privilegien
Auf die Natur beruft sich auch ein Antifeminismus, der heute verstärkt von konservativer und rechter Seite formuliert wird, wenn es darum geht, Frauen eine traditionelle Rolle zuzuweisen und Ansprüche auf Gleichstellung als "Gender-Irrsinn" abzutun. "Frauen haben viel erreicht und sind sehr viel stärker geworden als vor 30, 40 Jahren", sagt Ute Gerhard. Das mache manchen Leuten Angst oder störe sie einfach, "denn eine Geschlechterordnung, die feste Rollenvorschriften hat und Männern ohne weiteres Privilegien zuordnet, ist natürlich bequemer."
Die zunehmende und schärfer artikulierte Kritik bestätige, so betrachtet, gerade den Erfolg des Feminismus, sagt Margarete Stokowski:
"Es ist eigentlich ein Fortschritt, wenn viele Gruppen, denen das nicht so recht ist, bemerken, dass da jetzt auch jemand anders spricht als vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Die Tatsache, dass die so stark darauf reagieren und von 'Gender-Wahn' und 'Ideologie'" sprechen, bedeutet, dass sie erkennen, dass da was passiert ist und es wieder eine weitere Gruppe gibt, von der sie behaupten können, sie würde die vermeintlich ‚normalen‘ Menschen unterdrücken wollen."
Gleichberechtigung bleibt im Alltag schwierig
Dabei ist die ganz normale, alltägliche Benachteiligung von Frauen, gegen die Feministinnen sich schon in den 1960er- und 1970er-Jahren stark gemacht haben, längst nicht überwunden. "Der Alltag der meisten Menschen ist immer noch sehr beschwerlich", sagt Ute Gerhard im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter:
"Die Gesellschaft hat sich nicht in dieser Weise verändert, dass wir in einer Partnerschaft auf gleichberechtigter ökonomischer Basis arbeiten und leben können und Kinder haben können. Diese Fragen sind im Augenblick anscheinend stillgestellt, weil der alltägliche Sexismus Frauen in Atem hält und durch die #aufschrei- und #metoo-Bewegung mit Recht zur Sprache gekommen ist. Aber die alte Problematik ist ja gar nicht erledigt. Das heißt, wir haben noch sehr viel vor, um wirklich zu erreichen, dass Mann und Frau und alle Menschen, die dazwischen sich orientieren, in Würde und gleichberechtigt leben können."
Ute Gerhard wünscht sich deshalb mehr Solidarität, auch innerhalb der verschiedenen Bewegungen, die sich heute für Emanzipation und Frauenrechte engagieren. Frauen seien sich der Rechte, die sie historisch erworben haben, oft gar nicht bewusst und wüssten sie nicht wirklich zu schätzen. "Rechte sind ja kein Haben oder Besitz", sagt Gerhard, "sie müssen immer wieder neu gefordert, eingeklagt und auch verhandelt werden."
Sie war ihrer Zeit voraus
Olympe de Gouges hat schon früh erkannt, wie eng Geschlechterfragen mit großen Herausforderungen der Politik und Philosophie verbunden sind, die uns gegenwärtig immer noch bewegen: vom Klimawandel über soziale Verteilungsfragen bis hin zur Frage, wie Arbeit neu zu definieren und zu organisieren ist.
Zugleich hatte sie als eine Frau, die sich Bildung auf eigene Faust aneignen musste, eine klare Vorstellung davon, wie sie ganz unterschiedliche Menschen ansprechen konnte, indem sie ihre politischen Botschaften pointiert formulierte oder plakatierte und für Leseunkundige auf die Bühne brachte. "Was wir von Olympe de Gouges lernen können", sagt Margarete Stokowski, "ist, dass sie eine Frau war, die definitiv nicht den Platz eingenommen hat, den andere ihr zugewiesen haben."