Pegida erfordert "öffentliches Nachdenken"
Alternde Gesellschaft, Einwanderung, soziale Gerechtigkeit - über all das wurde in Deutschland zu wenig gesprochen, sagt Uwe-Karsten Heye vom Verein "Gesicht Zeigen". Wegen Pegida könnte die Debatte nun in Gang kommen, glaubt er.
Wohin wollen wir als Gesellschaft eigentlich? Wie umgehen mit dem demografischen Wandel, der Einwanderung, der Veränderung der Gesellschaft? Darüber haben die Deutschen viel zu wenig diskutiert, sagt Uwe-Karsten Heye Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen – Für ein weltoffenes Deutschland".
Das einzig Gute an Pegida sei, dass nun vielleicht doch eine inhaltlich angemessene Diskussion über die Lage und den Zustand der deutschen Gesellschaft in Gang komme, sagte Heye im Deutschlandradio Kultur. "Es war schon merkwürdig, dass bei den letzten Landtagswahlen keinerlei Debatte darüber entstanden ist, dass 50 Prozent und weniger Menschen noch zur Wahl gegangen sind. Der Rest geht gar nicht mehr wählen." Ein Teil der Menschen in Deutschland fühle sich von den aktiven Parteien offenbar nicht mehr vertreten. Man müsse darüber nachdenken, was der Grund für diese Spaltung der Gesellschaft sei.
Heye: Einwanderer werden in Deutschland gebraucht
Zugleich müsse man sich fragen, warum in Deutschland nicht darüber gesprochen werde, "wohin wir eigentlich wollen", sagte Heye. Die Bundesrepublik stehe vor einem erheblichen demographischen Wandel und brauche Einwanderung – tue aber noch immer so, als ob man dies "irgendwie verheimlichen" könne. "Das wird nicht gehen. Wir brauchen einen Umbau der Gesellschaft, wenn wir Einwanderung wirklich bewältigen wollen." So müsse man sich beispielsweise ansehen, was dies für Schule und Ausbildung bedeute. Dies alles seien Aspekte, "die wir in diesem Land diskutieren müssen – und leider nicht diskutieren".
Heye forderte die Politik auf, öffentlich nachzudenken. Mit dem "albernen und die Sache nicht treffenden Vorschlag" der SPD werde man dieser Aufgabe allerdings nicht gerecht: "Es reicht nicht aus, die Wahlurnen an Fußballstadien oder an die Haustüren zu bringen und mehrere Wochen die Menschen aufzufordern doch freundlicherweise wählen zu gehen." Vielmehr müsse darüber diskutiert werden, was man in einer Gesellschaft, in der "immer weniger immer reicher werden und immer mehr durch den Rost fallen", tun könne, damit "das Gefühl sozialer Gerechtigkeit wieder evident ist".
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Es ist, mal abgesehen von Dresden, ja nicht so, dass nur Pegida-Anhänger auf die Straße gehen. In Köln zum Beispiel standen sie im Dunklen, die Lichter am Dom waren ausgeschaltet, und auch in Berlin kamen sie nicht so richtig vom Fleck, die Pegida-Anhänger. Besonders originell waren die Gegendemonstranten in Hamburg. Dort nennen sie sich Tegida, Tolerante Europäer gegen die Idiotisierung des Abendlandes, statt Pegida, Patriotische Europäer gegen die Islamisierung. Gesicht zeigt im wahrsten Sinne auch Uwe-Karsten Heye, ehemals Regierungssprecher von Kanzler Schröder und Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen für ein weltoffenes Deutschland". Guten Morgen, Herr Heye!
Uwe-Karsten Heye: Ich grüße Sie!
Brink: Sehen wir jetzt, dass wir uns als Zivilgesellschaft mit Pegida auseinandersetzen müssen?
Heye: Ja, ich glaube, das einzig Gute an Pegida ist, dass vielleicht jetzt doch eine inhaltlich angemessene Debatte über die Lage und den Zustand unserer Gesellschaft in Gang kommen kann. Umfragen sagen, dass etwa 29 Prozent der Bevölkerung hinter Pegida steht, 70 Prozent nicht. Das, da ich ein skeptischer Optimist bin, macht mich durchaus froh.
Brink: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sind Sie ganz dankbar, dass die demonstrieren jetzt.
Heye: Na, ich bin dankbar – weiß ich nicht, ob ich darüber dankbar sein soll. Ich finde es nur, es ist ein angemessener Anlass, endlich darüber zu reden, was in dieser Gesellschaft los ist. Ich finde, es war schon merkwürdig, dass bei den letzten Landtagswahlen keinerlei Debatte entstanden ist darüber, dass 50 Prozent und weniger Menschen noch zur Wahl gegangen sind. Der Rest geht gar nicht mehr wählen. Ich finde, das ist etwas, worüber man nachdenken muss. Und dem wird man, glaube ich, nicht mit merkwürdigen Vorschlägen aus der SPD gerecht, die mitteilt, dass wir die Wahlurnen sozusagen ans Bett der Wähler bringen müssen, damit die sich nicht bewegen müssen. So bewegungsarm kann dieses Land nicht sein. Es muss also etwas anderes dahinterstecken, das, wie ich glaube, mit Pegida zu tun hat, nämlich, dass sich ein Teil der Menschen in Deutschland offenbar von den aktiven Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Und darüber müssen wir nachdenken: Was ist der Grund der Spaltung der Gesellschaft?
"Wir brauchen einen Umbau der Gesellschaft"
Brink: Also, was ist dann der Grund, wie würden Sie das sehen?
Heye: Ich glaube, dass wir in vielerlei Hinsicht darüber nachdenken müssen, was sozusagen nicht dazu führt, uns darüber zu unterhalten, wohin wir eigentlich wollen. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Der demografische Wandel ist erheblich. Wir brauchen also Einwanderung. Wir sind also mit anderen Worten ein Einwanderungsland, tun aber so, als ob wir mit dem leicht abgewandelten Begriff von Zuwanderung sozusagen das irgendwie verheimlichen können. Das wird nicht gehen. Wir brauchen einen Umbau der Gesellschaft, wenn wir Einwanderung wirklich bewältigen wollen. Und ich halte es für notwendig, dass wir darüber nachdenken, was das bedeutet für Schule, für Ausbildung, für die Möglichkeit – wenn ich Mohammed heiße oder Alisha heiße, dass ich auch einen Ausbildungsplatz bekomme, und nicht nur wegen meines Namens keinen bekomme. Das sind alles Aspekte, finde ich, die wir in diesem Land diskutieren müssen und leider nicht diskutieren.
Brink: Also was ist dann die Devise der Stunde? Ernst nehmen, was da gesagt wird bei Pegida, oder ausgrenzen?
Heye: Mit Ausgrenzen, weiß ich nicht. Ich meine, es kommt einem so viel zum Teil Dummheit entgegen, dass es Mühe macht, darüber nachzudenken, wie man darauf reagieren soll. Was heißt das, dass, Sie einbezogen, Teil der "Lügenpresse" sind, die offenbar daran hindert, die "Wahrheit" zu erfahren, was immer diese Damen und Herren, die dort aus dem rechten Lager das organisieren, aus dem rechtsextremistischen Lager diese Pegida organisieren, unter "Lügenpresse" verstehen – das ist ein Begriff aus der Nazizeit! Genauso, wie ich es ungeheuerlich finde, wie und auf welche Weise die CSU sämtliche Ressentiments gegen Einwanderung bedient, wenn jetzt sozusagen dazu angeraten wird, Schnellverfahren im Asyl einzuführen. Schnellverfahren wohin denn? Die sollen zurückgehen, die als Hungerflüchtlinge zu uns kommen. Wohin sollen sie denn gehen? In das Massengrab des Mittelmeers, oder wohin will die CSU die hinschicken?
Brink: Aber trotzdem gibt es ja ein breites Bündnis, was ich ganz bemerkenswert fand, zum Beispiel in Köln, von der Linkspartei bis hin zur CDU, bis zur katholischen Kirche, sehen wir ja die Abschaltung des Doms. Also man kann ja nicht sagen, dass es sozusagen, dass nicht Gesicht gezeigt wird auf einer sehr breiten bürgerlichen Ebene.
Heye: Nein, das kann man sicherlich nicht sagen, Gott sei Dank. Ich sag ja, das macht mich ja sozusagen als skeptischen Optimisten auch optimistisch, dass wir diese Debatte endlich führen und auch gewinnen können. Natürlich können wir sie gewinnen, weil die ...
Brink: Ja, wie können wir sie denn gewinnen? Was muss denn Politik zum Beispiel tun?
Heye: Was muss Politik tun? Sie muss darüber öffentlich nachdenken, dass, wie ich eben gesagt habe, es nicht ausreicht, die Wahlurnen an Fußballstadien oder an die Haustüren zu bringen und mehrere Wochen die Menschen aufzufordern, doch freundlicherweise wählen zu gehen, dass dieses ein alberner und die Sache nicht treffender Vorschlag der SPD ist. Das ist das eine. Ich glaube, dass wir die Spaltung der Gesellschaft, dass immer weniger immer reicher werden und immer mehr durch den Rost fallen, dass wir darüber nachdenken müssen, was wir tun, um diese Gesellschaft wieder in eine Situation zu bringen, wo das Gefühl sozialer Gerechtigkeit wieder evident ist und befriedigt wird durch das, was getan wird. Ich glaube nicht, dass die saloppe Erklärung des SPD-Vorsitzenden, die Reichensteuer ist tot, die richtige Antwort ist darauf. Vor allem dann nicht, wenn wir wissen, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft auch Geld in die Hand nehmen müssen, damit wir für Bildung und Ausbildung Sorge tragen können und den Menschen, die zu uns kommen, auch eine Perspektive geben. Das alles kann man doch nicht einfach irgendwie sich ergeben lassen. Das wird nicht funktionieren.
Es fehlt ein "Gefühl sozialer Gerechtigkeit"
Brink: Wäre dann so ein Angebot, zum Beispiel Pegida hat ja in Sachsen den Ministerpräsidenten Tillich aufgefordert, zu kommen und zu sprechen – das hat dieser abgelehnt, weil er gesagt hat, das ist nicht die Bühne, vor der ich sprechen werde. War das eine richtige Entscheidung?
Heye: Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung. Die wollen ja nicht reden, sondern sie wollen recht haben. Und das ist, glaube ich, im Unterschied – worüber sollten sie denn reden? In Sachsen sollte man vielmehr darüber reden, wieso ausgerechnet Dresden – in der Zeit der DDR war es, glaube ich, das Tal der Ahnungslosen – sozusagen Heimstatt für alle wird, die sozusagen dieses demokratische Land wieder in was auch immer verwandeln wollen, jedenfalls nicht in eine demokratische Perspektive. Und was ist da los? Wieso kommt es, dass ausgerechnet in Sachsen diejenigen, die sich dem Rechtsextremismus entgegenstellen, diejenigen sind, die von den Justizbehörden am meisten verfolgt werden? Was ist da in Bewegung in diesem Land? Ich denke, wir haben viele Gründe, auf unterschiedlichen Ebenen die unterschiedlichsten Aspekte und Motive von Pegida zu diskutieren und darüber nachzudenken, wie wir eine Gesellschaft wiederherstellen wollen, in der Humanität und Gerechtigkeit die wichtigen Aspekte sind.
Brink: Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen für ein Weltoffenes Deutschland". Danke, Herr Heye, für Ihre Zeit!
Heye: Okay!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.