Franz Fühmann zum 100. Geburtstag

„Sein Befreiungsschlag war das Schreiben“

11:31 Minuten
Schriftsteller Franz Fühmann 1977 in Ost-Berlin
Franz Fühmann 1977 bei einem Vortrag in Ost-Berlin © picture alliance/dpa/Foto: akg-images
Uwe Kolbe im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Glühender Nazi, überzeugter Stalinist, dann Demokrat: Franz Fühmann war einer der bedeutendsten DDR-Schriftsteller. Mit seinen ideologischen Verirrungen ging er hart ins Gericht, berichtet der Lyriker Uwe Kolbe.
Franz Fühmann war über die DDR hinaus berühmt. Gedichte verfasste er genauso wie Essays, Erzählungen, Hörspiele und Kinderbücher. Am 15. Januar 2022 wäre er 100 Jahre alt geworden. Der inzwischen vielfach ausgezeichnete Lyriker Uwe Kolbe fand in ihm einen Mentor und erinnert sich gern an Fühmann.
Als Kolbe den großen Schriftsteller zum ersten Mal traf, war er 17 Jahre alt. „Wir an meiner Schule trugen damals alle ‚Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens‘ (ein Werk Fühmanns) wie einen Katechismus mit uns herum, lasen uns daraus vor. Das war ein Meister, mit dem ich plötzlich zu tun hatte“, sagt Kolbe. Fühmann habe das aber nicht heraushängen lassen, sondern gefragt: „Was kann ich für Euch tun?“. Fühmann setzte sich für den jungen Mann ein, drei Jahre später erschien Kolbes erste Veröffentlichung, seine ersten Gedichte.

Einsatz für junge Schriftsteller in der DDR

Fühmann habe sich in der DDR für sehr viele Schriftsteller eingesetzt, berichtet Kolbe. Für Wolfgang Hilbig habe dies einen Gedichtband in der DDR bedeutet. „Und für manche bedeutete es, dass sie nicht ins Gefängnis gekommen sind. Weil sich Fühmann, dann im Verein mit Christa Wolf, Heiner Müller und Ulrich Plenzdorf für Jüngere eingesetzt hat". Und als es um die Ausbürgerung Wolf Biermanns ging, sei er einer der Erstunterzeichner dagegen gewesen.

Über die Öfen von Auschwitz zum Sozialismus gekommen

Fühmann, der erst Anhänger der Nazis war, dann überzeugter Stalinist, schließlich Demokrat, sei für seine Generation „singulär darin, dass er all diese Wenden, das Thema Wandlung zu seinem Lebensthema gemacht“ habe, sagt Kolbe. Der Schriftsteller habe sich ständige damit auseinandergesetzt und die Reflektion darüber „quasi übertrieben“. Laut Kolbe hatte Fühmann glaubwürdig bekannt, im Zweiten Weltkrieg keinen Schuss abgegeben, sondern an Fernschreibern gesessen zu haben. Trotzdem habe er immer wieder gesagt, dass er über die Öfen von Auschwitz zum Sozialismus gekommen sei. Er habe auch gesagt, dass er an den Öfen in Auschwitz auf Hitlers Befehl so funktioniert hätte, wie an seinem Fernschreiber.
Die Wandlung zu einem Demokraten und „wirklichen Schriftsteller“, wie Fühmann gesagt habe, habe „nicht schmerzfrei“ stattgefunden, betont der Lyriker Kolbe. Fühmann sei so dem Alkohol verfallen gewesen, dass er da beinahe nicht mehr herausgekommen wäre. Kolbe sagt: „Sein Befreiungsschlag war dann tatsächlich das Schreiben.“
(tmk)

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