Benno Ohnesorg war sein erster Leser
Uwe Timm ist der Chronist der 68er-Bewegung. In unserer Sendung "Im Gespräch" blickt er zurück und denkt an seinen Freund Benno Ohnesorg. Aber auch nach vorn: Sein nächstes Buch wird sich mit Eugenik und dem vermeintlich perfekten Menschen befassen.
"Er hat viel bewegt – als Opfer", sagt der Schriftsteller Uwe Timm über Benno Ohnesorg. Berlins bekanntester Student wird am 2. Juni vor genau 50 Jahren erschossen, als er friedlich gegen den Besuch des Schahs von Persien demonstriert. Ohnesorg ist damals 26 Jahre alt.
Als er vom Tod seines Freundes Ohnesorg erfährt, studiert Timm in Paris. Die Todesnachricht schockiert und überrascht ihn, denn er hatte Ohnesorg als "unpolitischen Menschen" kennengelernt.
Beide werden 1940 geboren, lernen sich 1961 am Brauschweiger Kolleg für Hochbegabte kennen, wo sie in nur zwei Jahren ihr Abitur nachholen. Der Hunger nach Bildung und die Liebe zur Literatur verbindet sie.
"Unsere Bekanntschaft entwickelte sich zu einer literarischen Freundschaft", erzählt Timm.
Timm schilderte Euphorie und Ernüchterung seiner Generation
Er habe von Ohnesorg sehr viel gelernt, weil dieser sich bestens mit der französischen Moderne auskannte und selber Gedichte schrieb. Ohnesorg sei sein erster Leser gewesen.
"In dem Moment wo man DAS aus der Hand gibt, wo man DAS öffentlich macht, ist plötzlich ein ganz anderer Blick auf DAS, was man schreibt, und ich kann sagen, mit diesem Öffentlichmachen – ihm gegenüber und damit auch Anderen – beginnt für mich, was ich als Schriftsteller seither mache, nämlich das Publizieren von Texten."
Jahrzehnte später ehrt Timm seinen Literaturfreund mit der 2005 erschienenen Erzählung "Der Freund und der Fremde". Schon in seinem Erstlingswerk "Heißer Sommer" befasst er sich mit der 68er-Bewegung. Der heute 77-jährige gilt als Chronist der Studentenrevolte und hat in mehreren Werken eindringlich die Ursachen und Folgen, die Euphorie und die Ernüchterung seiner Generation geschildert.
"Das waren ja noch Leute, die in Anzügen demonstrierten, mit einer Krawatte umgebunden – friedliche Proteste: Und da ist die Polizei so reingegangen, dass es mit den vielen Verletzten und einem Toten endete, und ich denke, da wurde punktuell deutlich – in einer hochverdichten Situation, wie die Situation der damaligen Bundesrepublik noch beschaffen war: Nämlich sehr autoritär, durchaus militant, antidemokratisch …"
Der Schritt zur politischen Tat braucht Empörung
Als Reaktion formiert sich die außerparlamentarische Opposition – und deshalb spricht Timm von einer entscheidenden "Zäsur in der bundesrepublikanischen Mentalitätsgeschichte – mehr Demokratie von da an." Ab 1967 spielte auch für ihn Solidarität eine Rolle, und er engagierte sich politisch.
Der Schritt zur politischen Tat brauche Empörung und dazu wolle er mit seinen Büchern beitragen, sagt Timm. Das nächste Werk erscheint Anfang September. Im Mittelpunkt steht Timm zufolge ein deutscher Forscher, der um das Jahr 1880 herum die Eugenik mitentwickelte, um den Menschen durch Vererbung zu ändern. Es sei ein harter Stoff mit großer Aktualität, der ein an Perfektion und Technik ausgerichtetes Menschenverständnis thematisiere.