Uwe Wittstock: "Februar 33: Der Winter der Literatur"
C.H. Beck, München 2021
287 Seiten, 24 Euro
Chronik einer angekündigten Katastrophe
12:15 Minuten
Was geschah nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in der Literatur- und Künstlerszene? Uwe Wittstock beschreibt in seinem Buch "Februar 33: Der Winter der Literatur" anschaulich, was Else Lasker-Schüler, Joseph Roth und andere erlebten.
Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch für die regimekritischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Wenige Tage zuvor hatten die Nationalsozialisten die Macht übernommen, am 30. Januar hatte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.
Das weitere Geschehen ist düstere Geschichte – uns vertraut aus zahlreichen Büchern, Forschungsarbeiten, Zeitzeugenberichten und Filmen.
Persönlicher Blick auf eine dunkle Zeit
Dem Autor und Journalisten Uwe Wittstock ist es dennoch gelungen, einen anderen, sehr intensiven und persönlichen Blick auf die Ereignisse zu werfen: In seinem Sachbuch "Februar 33: Der Winter der Literatur" bleibt er ganz dicht an den Schriftstellerinnen und Schriftstellern und anderen Kulturschaffenden dran.
Er schaut Bertolt Brecht, Alfred Döblin oder Thomas Mann quasi über die Schulter und begleitet sie auf ihren Wegen durch die Stadt. Das ist oft Berlin, manchmal München, und einige, wie Joseph Roth, haben schon den Zug nach Paris bestiegen.
Indem Wittstock die Ereignisse des Februar 1933 Tag für Tag erzählt, liefert er eine aufwühlende Chronik. Sie speist sich aus umfangreich vorliegenden Zeitdokumenten und Aufzeichnungen von Autoren und Journalistinnen. "Ein Tatsachenmosaik" nennt Wittstock sein Buch. Alles, was er beschreibe, sei tatsächlich so gewesen, betont der Autor.
Dichterin mit zerbissener Zunge
So erfahren die Leserinnen und Leser etwa, dass der Dichterin Else Lasker-Schüler Nacht für Nacht ein Trupp junger Schläger vor ihrem Hotel auflauerte und sie bedrängte. An einem dieser Abende stürzte sie so heftig, dass sie sich in die eigene Zunge biss.
Wittstock findet solche Begebenheiten besonders anrührend: "Sie war damit eine Dichterin mit zerbissener Zunge. Das sind hochsymbolische und auch tragische Szenen."
Vieles habe ihn beim Schreiben sehr ergriffen – "weil manche Leute es einfach nicht wahrhaben wollen, wie sich ihr Leben jetzt ändert. Sie sind gezwungen zu reagieren … Und man möchte sie an die Hand nehmen und sagen: Du bist in großer Gefahr! Achte auf dich – du musst dieses Land jetzt möglichst schnell verlassen."
Bei seinen Recherchen fand er viele Hinweise darauf, wie gut vernetzt die Literaturszene in der Weimarer Republik war. Umso schlimmer waren die Folgen des hemmungslosen Wütens der Nazis, die diese Szene zerschlugen: mit Überfällen auf Künstlerkolonien, mit Folterungen durch SA- und SS-Leute, mit Berufsverboten.
Ein gewalttätiges Vorspiel für die Bücherverbrennungen im Mai 1933. Parallel verfügte Reichsminister Hermann Göring einen Schießbefehl gegen Oppositionelle, erzählt Wittstock.
Grundrechte waren schnell abgeschafft
Er habe sich bewusst für eine erzählerische Herangehensweise entschieden, um die Ereignisse und die Schicksale dahinter so anschaulich und lebendig wie möglich zu beschreiben, sagt Wittstock.
Und er habe zeigen wollen, wie "rasend schnell" die Grundrechte vom NS-Regime abgeschafft wurden, "und dass eine fatale, politische Entscheidung reichen kann, um ein ganzes Land umzudrehen". Verglichen damit seien die heutigen Antidemokraten "lächerliche Gartenzwerge".
(mkn)