Michael Zantovsky: "Vaclav Havel. In der Wahrheit leben"
Aus dem Englischen von Hans Freundl
Propyläen Verlag, Berlin 31. Oktober 2014
688 Seiten, 26,00 Euro
Vom Dissidenten zum Staatspräsidenten
Vom Privilegiertenkind zum Ausgestoßenen, vom Dissidenten und verzweifelten Häftling zum bejubelten Staatspräsidenten: Das Leben Václav Havels ist beeindruckend. Michael Zantovský hat mit seiner Biografie über den Tschechen ein Stück Zeitgeschichte geschaffen.
Die Erzählung über Leben und Werk Václav Havels könnte beinahe süßlich klingen: Vom 1936 geborenen Privilegiertenkind zum sozialen Paria in den 50er-Jahren des tschechischen Hochstalinismus, vom erz-sympathischen Bohémien zum weltberühmten Theaterstar, schließlich vom Dissidenten und verzweifelten Häftling zum bejubelten Staatspräsidenten.
Derart häufig ist dieses Zickzack als erbauliches Märchen erzählt worden, so dass man Havels langjährigem Freund und jetzigen Biografen Michael Zantovský geradezu dankbar sein muss für genauere Interpretation.
"Anders als Kafka, eines seiner großen Vorbilder, empfand sich Havel nie als Opfer unpersönlicher Kräfte, die sich seinem Einfluss entzogen. Vielleicht veranlassten ihn seine angeborene Sturheit und sein Mut dazu, solche Kräfte immer wieder herauszufordern, obwohl er sich seiner eigenen Schwäche als Individuum bewusst war. Es war dieser rebellische Geist, der ihn für die Rolle des Ausgestoßenen anstatt des Opfers prädestinierte. Seine Sicht war stets eine 'von außen', weniger eine 'von unten'."
Als hätte es Havels Dissidentenfreunde nie gegeben
Havel, der schüchterne Menschenfreund (und mitunter, zum Leidwesen seiner Frau und Kraftquelle Olga, allzu obsessive Erotomane) war tatsächlich einer von "außen": Weder teilte er 1968 die Euphorie über einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" noch danach die Frustration über die bleiernen Jahre bis zum November 1989.
Er schrieb seine weltberühmten Essays, gründete die effiziente Oppositionsbewegung "Charta 77", überstand schlimme Gefängnisjahre - und weigerte sich dann auch, nach der Revolution von 1989 eindimensional zu sein.
So focht er zusammen mit Lech Walesa für die zügige (und wie man heute weiß stabilitätsrettende) Aufnahme Tschechiens und Polens in die NATO, beschritt den Weg in die EU, befürwortete Interventionen wie in Bosnien.
Und er legte sich gleichzeitig als bekennender Sozialliberaler mit seinem damaligen Premier (und Amtsnachfolger) Václav Klaus an, dessen Vorliebe für eine "reine" Markwirtschaft Havel missfiel - lebenslanger Freund des "Nicht-Reinen", des intellektuell Vermischten, der lediglich in Sachen Menschenrechte kein Pardon kannte.
Als er im Dezember 2011 starb, hatte sich Tschechiens Politikerkaste gleichwohl meilenweit von ethischen Postulaten entfernt - als hätte es Havel und seine Dissidentenfreunde nie gegeben.
Michael Zantovský hat bei alldem jedoch keine Hagiographie geschrieben, sondern ein kluges (und häufig auch ironisches) Stück Zeitgeschichte. Darüber hinaus wird jeder, der das Glück hatte, in den euphorischen Monaten nach der "Samtenen Revolution" in Prag gewesen zu sein, sich dankbar erinnern - und daraus neuen Gegenwarts-Elan ziehen.