Väter der sozialen Marktwirtschaft

Dass nach dem Zweiten Weltkrieg die westdeutsche Wirtschaft einen unglaublichen Boom erlebte, ist auch einigen Managern aus der damaligen Zeit zu verdanken. Die Journalistin Nina Grunenberg stellt in ihrem Buch "Die Wundertäter" einige von ihnen vor: kantige und zum Erfolg entschlossene Figuren, die nicht erst 1945 ihre Karrieren begannen.
Angela Merkel hat einen Traum. Vor knapp einem Jahr, in ihrer ersten Regierungserklärung als Kanzlerin vor dem Bundestag, hat sie ihn verraten: "Warum soll uns das, was uns früher und was uns zu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland, in den ersten Gründerjahren gelungen ist, heute, in den – wie ich sage – zweiten Gründerjahren, nicht wieder gelingen?" Damit stellt Merkel einen hohen Anspruch – an sich und an das Land, das sie regiert. Auf das erste Wirtschaftswunder der 50er Jahre soll ein zweites folgen.

Die Bürger nehmen ihre Kanzlerin beim Wort. Sie vergleichen den Stillstand der Gegenwart mit dem Boom der Vergangenheit. Früher, in der Adenauerzeit, ging es stets voran. So stieg zum Beispiel der Export Westdeutschlands von 1948 bis 1953 um das Siebenfache. Die Trümmerstädte verwandelten sich in oft gesichtslose, aber dynamische Orte. Schlote rauchten, Reihenhäuser boten Flüchtlingen Obdach, Autobahnen durchstießen Felder und Berge. Nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Kriegs hat Deutschland ungefähr ein halbes Jahrhundert gebraucht, bis wieder so etwas wie Normalität einkehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte der Aufbau im Westen des Landes nicht mal ein Jahrzehnt.

Und heute? Schon der Erhalt des Wohlstands kostet Mühe, ihn noch zu steigern kann niemand hoffen. So kommt uns die Gegenwart schäbig vor. Wir blicken verzagt in die Zukunft – und voller Sehnsucht zurück. Deshalb ist das Interesse an den 50er Jahren größer denn je. Fernsehserien beschäftigen sich mit dieser Ära, und auch der Buchmarkt spiegelt dieses Interesse wider. In den letzten Jahren ist eine Reihe von Einzelbiographien über die Wirtschaftsführer jener Zeit erschienen. Lothar Gall zum Beispiel hat das Leben des Chefs der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, dargestellt. Thomas Ramge hat über Friedrich Flick geschrieben. Alfred Mierzejewski schließlich hat Ludwig Erhard als Erfinder der sozialen Marktwirtschaft geschildert.

Nun ergänzt Nina Grunenberg diese Bücher. Ihr Verdienst ist es, die einzelnen Lebensläufe der Wirtschaftsbosse dieser Zeit zusammenzufassen. Das ist neu und erfrischend. Grunenberg erklärt das Wirtschaftswunder über die "Wundertäter", wie sie die Manager nennt. Mit ihrer Gesamtbiographie erzählt Grunenberg die deutsche Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahre. Dabei legt sie einen Schwerpunkt auf die Netzwerke der Unternehmensbosse. Sie kannten sich meist noch aus der Nazi-Zeit, kamen oft aus dem Bergbau und waren auf den Titel "Bergassessor" stolz. Sie feierten und gingen auf Jagd. "Beim gemeinsamen Ballern und Bechern wurden die berühmten ‚Netzwerke des Vertrauens’ gepflegt, die die geschäftlichen Beziehungen tragfähig und geschmeidig hielten. Man lernte sich nicht nur kennen, man konnte einander auch testen", schreibt Grunenberg.

Ihr Buch ist kein wissenschaftlicher Wälzer, und er bringt auch keine neuen historischen Erkenntnisse. Aber das war gewiss auch nicht Grunenbergs Ziel. Sie schreibt flott und klar – kein Wunder, die 70-jährige Journalistin gehört zu den profiliertesten Federn der Wochenzeitung "Die Zeit". Dort ist sie immer wieder durch ihre Portraits aufgefallen. In ihrem neuen Band schildert Grunenberg nun eine Vielzahl von Figuren, und manchmal sind es so viele kurz hintereinander, dass dem Leser der Kopf schwirrt. Er verliert den Überblick, die Gesamtbiographie doch gerade schaffen will. Das ist schade, doch macht Grunenberg das wieder gut, indem sie an das Ende ihres Buchs Lebensläufe der wichtigsten Manager stellt. Dort kann der mitunter verwirrte Leser nachschlagen.

Wer sich so mit den "Wundertätern" beschäftigt, stößt in eine wundersame Zeit vor. Man reibt sich die Augen, zum Beispiel bei der Schilderung Heinrich Nordhoffs, der das Volkswagenwerk in Wolfsburg wiedergebaut hat. Für die VW-Arbeiter war ihr Chef ein "Halbgott", wie sich Carl Hahn, der spätere Firmenchef, erinnert. Nordhoff forderte "von seinen Untergebenen nur dieselbe aufopfernde Hingabe, die er selbst jeden Tag vorlebte". Der Kontrast zur heutigen Wirtschaftswelt könnte nicht größer sein. Die Manager mit ihren Millioneneinkommen interessieren sich für die Aktienwerte ihrer Unternehmen und nur wenig für ihre Mitarbeiter. Die Gewinne schnellen in die Höhe, entlassen wird trotzdem. Die Blaumänner und die Herren in den Nadelstreifen haben sich nicht mehr viel zu sagen.

Weit mehr noch erstaunt, wie ungebrochen die Wirtschaftsführer von damals ihre Karrieren aus der Nazi-Zeit fortführten. Grunenberg zitiert Konrad Adenauer: "Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat." Der Sachverstand, auch die Energie der pragmatischen Unternehmensbosse wurde gebraucht. Sie funktionierten unter Hitler wie unter Adenauer. Die Moral bedeutete nichts, der Gewinn alles. Mit dieser Haltung bauten die einstigen Kriegsprofiteure die zerstörten Fabriken wieder auf – und schließlich lief die Wirtschaft so gut, dass aus den Westdeutschen Demokraten wurden. Auch das gehört zu den paradoxen Geschichtsläufen, die Grunenbergs Buch so interessant machen.

Rezensiert von Hartmut Kühne

Nina Grunenberg: Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966
Siedler Verlag, München 2006
320 Seiten, 22,95 Euro