Väter und Söhne

Eine archetypische Beziehung

55:40 Minuten
Historisches Dokument der Zeitgeschichte, Graf Eberhardt der Greiner von Wuerttemberg zerschneidet das Tischtuch zwischen sich und seinem Sohn. Eine Radierung von ca. 1886.
Ob Identifikation, Kampf oder Konkurrenz: die Arten der Beziehung zwischen Vater und Sohn scheinen schier unerschöpflich. © picture alliance / Sunny Celeste
Von Andreas Schäfer |
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Väter sind Söhnen selten gleichgültig: Sie werden geliebt oder gehasst. Allerdings galt Auflehnung lange als Frevel und Liebe als gottgegeben. Erst seit der Aufklärung muss der Vater sich verdienen, worauf er zuvor ein Anrecht zu haben schien.
"Im Namen des Vaters, des Sohnes …" – danke, das genügt! Bis hierhin erst einmal, der Heilige Geist bleibe uns heute fern. Mit Vater und Sohn lässt sich schon genug Staat machen, auch Gesellschaft – und erst recht Kunst und Literatur. Die Konstellation ist unerschöpflich, trotz ihres höchst ansehnlichen Alters, was sich sonst von sehr Wenigem behaupten lässt.

Vaterüberwindung und Vatermord

Schon in der Antike bilden sich die beiden Pole heraus, zwischen denen die Darstellungen der Vater-und-Sohn-Beziehung bis heute pendeln. Die ersten Gesänge in Homers "Odyssee" erzählen von den Abenteuern des Telemachos, der auf der Suche nach dem abwesenden Vater Odysseus zum Manne reift. Statt dieser Individuation durch Identifikation mit dem Erzeuger - ein nicht unproblematisches Konzept - ist natürlich die Mannwerdung durch Kampf und Konkurrenz möglich. In letzter Konsequenz wird der Vater hier überwunden, vulgo: ermordet. Wie in Sophokles‘ "König Ödipus".
Nun ist der Vater stets mehr als nur ein Vater, und so hat das eine wie das andere Verfahren weitreichende Konsequenzen. Der erfreulich oder verdammt enge Verwandte ist nämlich immer auch Repräsentant. Götter, Weise und Staatsoberhäupter werden Vater genannt, manchmal sogar Chefs.

System, Gesetz, Idee

Der Vater steht für das System, das Gesetz, die Idee, die herrschenden Verhältnisse. Dem Vater, nicht dem Sohn gebührt daher die größere Rolle, und sie wird unweigerlich tragisch, greift der Jüngere ihn an. Der Sohn hat folgsam zu sein, oder er ist pietätlos, ja sogar ruchlos.
Ein Gemälde einer Szene aus der Bibel, "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes" aus dem 17. Jahrhundert von Leonello Spada. Louvre Museum, Paris. 
Der Vater ist stets mehr als nur ein Vater: Auch Götter, Weise und Staatsoberhäupter werden so genannt.© picture alliance/The Print Collector/Heritage Images
Das Verhältnis beider ändert sich in der Aufklärung grundsätzlich. Nun gelten Sohnespflicht und Pietät nicht mehr als gottgegeben, vielmehr muss sich der Vater die Sohnesliebe oder doch zumindest seine Achtung verdienen. Und der Sohn kann nun beides aufkündigen, verhält sich der Vater unwürdig, etwa tyrannisch, moralisch verwerflich oder lieblos.
Die Vater-Sohn-Beziehung untersteht fortan dem moralischen Urteil. Es gilt für beide und kennt keine Hemmung, nur die Wahrheit. Ein schärferes Schwert gibt es nicht. Vater und Sohn – eine archetypische Beziehung, die sich in der Neuzeit gravierend zuspitzt.
(pla)
Das Manuskript der Sendung aus dem Jahr 2019 finden Sie hier.

Es sprechen: Meike Rötzer, Karim Cherif, Alexander Ebeert und Alexander Radszun
Ton: Ralf Perz
Regie: Giuseppe Maio
Redaktion: Jörg Plath
Deutschlandfunk Kultur 2019

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