Journalist Valentin Gendrot

Der französische Günter Wallraff

05:41 Minuten
Porträt des französischen Investigativ-Journalisten Valentin Gendrot.
Wurde in Frankreich durch Undercover-Recherchen bekannt: der Journalist Valentin Gendrot. © Gendrot_©Goutte d’Or
Von Philipp Lemmerich · 12.01.2022
Audio herunterladen
Getarnt als Hilfspolizist recherchierte der Journalist Valentin Gendrot monatelang bei der französischen Polizei. Sein Buch über diese Zeit erzählt von Rassismus, Gewalt und Überforderung.
"Das Thema Polizei birgt in Frankreich viel Explosionsstoff. Entweder man ist für oder gegen die Polizei, dazwischen gibt es nichts."
Für Valentin Gendrot ein besonderer Ansporn. Im Jahr 2017, damals war er 29 Jahre alt, fasste er einen kühnen Plan: die Polizei infiltrieren, erzählen, wie es im Inneren dieser konfliktreichen Institution aussieht.
Als Journalist hatte sich Gendrot damals auf Undercover-Recherchen spezialisiert. Er hatte in einem Callcenter recherchiert, in einem Inkassobüro, einem Automobilwerk, einem Lebensmittel-Discounter. Niemand kannte seinen echten Namen, im Internet gab es keine Einträge über ihn.
Gendrot stieß auf eine Ausschreibung der Polizei: eine Express-Ausbildung zum "Adjoint de sécurité", eine Art Hilfspolizist, und das in nur drei Monaten. Der junge Journalist bewarb sich und wurde angenommen.

Hilfspolizist in drei Monaten

"Die dreimonatige Ausbildung konzentriert sich vor allem auf repressive Techniken. Man lernt Handschellen anzulegen, Straßen- und Personenkontrollen, das Abtasten. Man lernt zu schießen und das war’s. Man ist in keinster Weise darauf vorbereitet, was einen erwartet. Das ist dramatisch."
Am Ende der Expressausbildung wird Gendrots Geduld auf die Probe gestellt. Statt ins erhoffte Kommissariat muss er als Fahrer in einer Psychiatrie aushelfen. 15 Monate harrt er dort aus, chronisch unterfordert, bis er endlich seine Chance bekommt: Belleville, 19. Arrondissement. Wenn man so will: ein Problembezirk.
"Es ist auch der Bezirk mit dem größten Anteil an Sozialwohnungen. Inmitten dieser Armut versucht nun also die Polizei ihren Job zu machen."

Obdachlosigkeit, Straßenkriminalität, häusliche Gewalt

Auf Streife lernt Gendrot die französische Hauptstadt von einer anderen Seite kennen: Drogen, Obdachlosigkeit, Straßenkriminalität, häusliche Gewalt. Die Ausstattung der Polizei ist trotzdem dürftig: Die Einsatzwagen sind alt und oft kaputt. Taschenlampen, Handschuhe, Stiefel zahlen viele Polizisten aus eigener Tasche, weil nie genügend Material da ist.
"Bastarde" nennen seine Kollegen die Jugendlichen afrikanischer oder arabischer Herkunft. Die Monate undercover sind für Valentin Gendrot eine harte Zeit. Er kann keine Freunde treffen, seiner Familie nichts erzählen. Und er bemerkt, wie ihn der Alltag als Polizist als Mensch verändert.
"Der Alltag eines Polizisten ist gewalttätig und angsteinflößend. In diesem Beruf zeigen sich die dunkelsten Seiten der Gesellschaft. Alles, womit du dich als Polizist beschäftigst, ist negativ, gewalttätig, hässlich, schmutzig. Drogenabhängige in Polizeigewahrsam, die ihr Crack nicht bekommen haben und die deshalb unausstehlich sind. Die Gewalt ist allgegenwärtig, wenn man diesen Beruf ausübt."

Falschaussagen bei der Polizei

Bei einem Einsatz muss Gendrot zusehen, wie ein Kollege einen schwarzen Jugendlichen ins Polizeiauto zerrt und immer wieder auf den Jungen einschlägt. Als das Opfer später Anzeige erstattet, sagen mehrere Polizisten falsch aus, um ihren Kollegen zu decken - unter ihnen auch Valentin Gendrot. Noch will er nicht als Journalist auffliegen. Der Täter wird freigesprochen.
Kein Einzelfall, wie die Folgemonate zeigen. Gendrot wird Zeuge von weiteren Übergriffen. Ein Drogenabhängiger wird ebenfalls im Polizeiauto verprügelt und vor den Toren der Stadt ausgesetzt. Ein Vorfall, der in keiner Statistik auftaucht, weil das Opfer gar nicht erst Anzeige erstattet.
"Die Einheit, in der ich gearbeitet habe, bestand aus 32 Polizisten. Darunter gab es fünf, vielleicht sechs, die gewalttätig und rassistisch waren. Und die werden von der Mehrheit gedeckt. Trotzdem ist es eine kleine Minderheit, die so handelt. Das Problem in Frankreich ist, dass diese Polizisten nicht zur Rechenschaft gezogen werden."

Niedrige Budgets, Personalmangel, lange Arbeitszeiten

Nach sechs Monaten als Hilfspolizist hat Valentin Gendrot genug. Er kündigt. 2020 wird sein Buch „flic“ in Frankreich veröffentlicht und schlägt hohe Wellen.
Seine Darstellung der Polizei ist wenig schmeichelhaft, bisweilen vernichtend, aber bleibt immer differenziert. Viele Probleme der französischen Polizei sind strukturell: niedrige Budgets, Personalmangel, lange Arbeitszeiten. Dazu kommt ein immenser gesellschaftlicher Druck, denn Medien und Bevölkerung nehmen die Arbeit der Polizei mittlerweile sehr genau unter die Lupe.
Valentin Gendrots Karriere als Investigativjournalist dürfte erst einmal vorbei sein. Er ist in Frankreich jetzt bekannt wie ein bunter Hund. Aber als kritischer Beobachter und Autor wird er auch in Zukunft einiges zu sagen haben.