Valeria Parrella: "Versprechen kann ich nichts"

Ein etwas anderer Gefängnisalltag

Von Manuela Reichart |
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Eine Insel mit Ausblick auf Capri und den Golf von Neapel: Kein Luxusressort steht hier, sondern ein Jugendgefängnis. Valeria Parrella macht es in ihrem Roman zum Ort einer ambivalenten Frauenfreundschaft.
Eine einsame Mathematik-Lehrerin unterrichtet in einem Jugendgefängnis, das auf der Insel Nisida im Golf von Neapel liegt. Von hier aus kann man Capri sehen und den Vesuv, der Blick auf das Meer ist wunderbar.
Der Direktor fürchtet deswegen auch immer wieder die Begehrlichkeiten von Hotelinvestoren. Es wäre der richtige Ort für ein Luxusressort. Stattdessen sind hier jugendliche Straftäter untergebracht. Sie werden gut behandelt, ausgebildet und unterrichtet.
Die Lehrerin fühlt sich hier jedenfalls wohl und aufgehoben. Hinter den Mauern muss sie nichts entscheiden, Angst und Zweifel verschwinden. Sie kümmert sich um die Schüler und Schülerinnen, ist froh, wenn sie diese neugierig und lernbegierig machen kann.
Seit drei Jahren ist die 50-Jährige Witwe, ihr Mann ist überraschend gestorben, nur ganz langsam beginnt sie, ihren Körper wieder zu fühlen. Das Paar wollte ein Kind adoptieren, als Alleinstehende war das nicht mehr möglich.

Eine Perspektive für ein vergewaltigtes Mädchen

Der neuen Schülerin, einer 16-jährigen Rumänin, fühlt sie sich gleich besonders nah. Sie erkennt deren Möglichkeiten. Sie will diesem jungen Menschen helfen oder besser: dem vom Vater vergewaltigten, aus der Heimat geflohenen Mädchen eine Perspektive geben.
Plötzlich ist da jemand, der ihrer Aufmerksamkeit und Zuneigung bedarf. Und das Mädchen erwidert vorsichtig das Interesse, würde nach ihrer Entlassung gerne bei der Lehrerin wohnen, auch wenn sie klug betont – was dem Roman den Titel gibt – "versprechen kann ich nichts."

Parrella schöpft aus eigenen Erfahrungen

Die italienische Autorin Valeria Parrella, in deren Romanen und Geschichten oft Frauen mittleren Alters im Zentrum stehen, erzählt auf ungewöhnliche Weise vom Gefängnisalltag. Parrella hat selbst in dieser Jugendstrafanstalt unterrichtet, sie kennt die Bedingungen und Kämpfe dort. Sie verknüpft die gegenwärtigen Empfindungen der älteren Frau mit deren Erinnerungen und mit den traumatischen Erfahrungen der jungen.
Sie porträtiert die Kolleginnen, die schüchterne Zuneigung zum Hausmeister, die jungen Männer, von denen der größte Teil wieder im Knast landen wird. In der Anstalt bemühen sich alle um die Häftlinge, aber auch diese pädagogischen Anstrengungen werden in den meisten Fällen nicht fruchten.

Einsamkeit im Gefängnisalltag

Der Roman beginnt mit einer Gerichtsverhandlung und endet mit ihr. Die Lehrerin will die Pflegschaft für das Mädchen übernehmen, kämpft darum.
Ob sie sie bekommt, lässt der Roman offen, der überhaupt auf spannend-ambivalente Weise vom Verhältnis dieser beiden Frauen erzählt. Beide sind einsam und beide könnten einander eine Stütze sein, aber "man braucht eine Menge Zeit oder ein vollkommenes Gedicht, um wirklich auszudrücken, wie die Dinge liegen".

Valeria Parrella: "Versprechen kann ich nichts"
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
Hanser Verlag, München, 2021
144 Seiten, 19 Euro

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