Untote ohne Knoblauch und Kruzifixe
Mal erzählt Autorenfilmer Jim Jarmusch eine Ausbrechergeschichte, dann von japanischen Touristen, er führt Menschen in Taxis zusammen oder der Filmemacher inszeniert einen Spätwestern - so überrascht es auch nicht, dass sein neuester Wurf ein Vampir-Film ist. "Only Lovers left alive" lautet der Titel des Werks.
"Diese ganze Übergabe ist ein bisschen nervenaufreibend für mich. Könnten Sie nicht in Betracht ziehen, dass wir uns mal außerhalb des Krankenhauses treffen? Statt einfach so unerwartet aufzutauchen wie ein Phantom."
Unter dem Pseudonym Dr. Watson kauft der Vampir Adam, gespielt von Tom Hiddleston, seinen regelmäßigen Blutbedarf in einem Krankenhaus - gegen Bargeld. Ansonsten lebt der Rockmusiker und Erfinder zurückgezogen in einer heruntergekommenen Villa in einem brachliegenden Industriegebiet von Detroit.
Schon lange kann er es nicht mehr ertragen, der Menschheit zuzusehen, wie sich allmählich zugrunde richtet. Und so nimmt er sich vor - er, der eigentlich Unsterbliche – seinem Leben ein Ende zu bereiten. Und Detroit scheint dafür genau die richtige Stadt zu sein, wie Regisseur Jim Jarmusch Detroit erläutert, der einst im nicht weit entfernten Cleveland aufwuchs.
Jim Jarmusch: "Detroit was always a kind of mysterious magical city …
Detroit war eine Art magische Stadt, eine Art Paris des mittleren Westens. Und wenn man es heute sieht, ist es schockierend und tragisch. Dann ist Detroit auch ein unglaublicher Ort für amerikanische Musikkultur – noch immer. Es gibt dort einen ziemlich faszinierende Stimmung. Aber es ist auch eine zerfallene Stadt.
… of decimated city."
Doch Adams große Liebe Eve, alias Tilda Swinton, die ihn schon über Jahrhunderte liebt, spürt sein Vorhaben. Sie lebt in Marokko, im romantischen Tanger, und macht sich gleich auf, ihren Liebsten zu retten. In Detroit angekommen hört sie seine Musik, sieht seine Melancholie und versucht ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Aus "Only lovers left alive":
"Wenn Du niedergeschlagen bist, gibst du bequemerweise immer den Zombies die Schuld daran. Was ist mit deinen ganzen Helden, den von dir verehrten Wissenschaftlern?"
"Den Wissenschaftlern? Was man ihnen angetan hat: Pythagoras erschlagen, Galileo zum Kerker verurteilt, Kopernikus verhöhnt, der arme Newton in die Heimlichkeit gedrängt und Alchemie, Tessler vernichtet, seine wunderbaren Möglichkeiten vollkommen ignoriert. So viel zu den Wissenschaftlern."
Mit einer Mischung aus Gleichmut und Anklage räsonieren die beiden über die Erlebnisse der letzten Jahrhunderte, über Tiefsinn und den Niedergang der Menschheit. Das ist faszinierend und besinnlich zugleich, und bekommt darüber hinaus eine groteske Note, wenn Eves prätentiöse Schwester Ava auftaucht, die noch immer gern das Blut der Menschen saugt. Aber für Tilda Swinton ist das nicht der Grund, warum Vampirfilme zurzeit so beliebt sind.
Nicht die Vampire, sondern die Menschen sind die Bedrohung
Tilda Swinton: "I suppose because they live these long …
Ich glaube, Vampire faszinieren uns so, weil wir alle Angst vorm Sterben haben und sie nahezu ewig leben. Das würden wir auch gern. Eine andere Sache, die ich bei dem Film so liebe, ist die Idee eines unscheinbaren Lebens, von unsichtbarer Arbeit, von nicht beanspruchten Werken. Man erschafft etwas, ohne es hinaus in die Welt tragen zu wollen. Unsichtbar sein, aber dennoch existieren, das ist wunderbar.
… is really beautiful."
Denn Adam, der Komponist und Gitarrenliebhaber arbeitet an seiner Musik der Musik wegen – ohne sie verkaufen zu wollen oder eine wie immer geartete Karriereleiter zu erklimmen. Für Tom Hiddelston eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Figur.
Tom Hiddelston: "The idea of playing a character …
Mir hat die Idee sehr gefallen, einen Charakter zu spielen, der Romantik und Melancholie verkörpert und zugleich wissbegierig gegenüber den Dingen ist, die er liebt. Adam ist von zwei Dingen angetrieben: von Musik und von Wissenschaft. Und die Idee, Liebe im Zusammenhang mit Unsterblichkeit zu erforschen, ist faszinierend. Ist das ein Segen oder ein Fluch? Und wie verändert das deine Hingabe?
… it do to your commitment?"
Ein Film fernab von allen Vampir-Klischees: Ohne Knoblauch, Kruzifixe, Holzpfähle oder fehlende Spiegelbilder. Nicht die Vampire sind die Bedrohung, sondern die Menschen, deren Blut inzwischen so kontaminiert ist, dass Vampire kaum noch davon leben können.
Aus "Only lovers left alive":
"Apropos köstlich! Ich habe eine Überraschung – ein Experiment."
"Was ist das?"
"Null negativ. Es ist deliziös."
"Blut am Stil."
"Am Stil."
"Gar nicht übel."
"Ich finde es sehr erfrischend, vor allem dann, wenn es gerade brenzlig wird."
"Only lovers left alive" zeigt ein uraltes und doch hypermodernes Liebespaar. Lebenskünstler, klug und kultiviert, die am Desinteresse und an der Oberflächlichkeit der Menschen leiden. Ein absurder Film, so lakonisch wie alle anderen Filme von Jim Jarmusch und doch ganz anders. Mit einem betörenden Soundtrack aus Sixties Soul und Garage Punk.