Die Liebe zu einer Ikone
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Van Morrison gilt als der größte, lebende, weiße Blues- und Soulsänger. Der aus Nordirland stammende Musiker hat für sein neues Album "Three Chords and the Truth" 14 neue Songs geschrieben. Und die haben es in sich, sagt unser Musikredakteur.
Mathias Mauersberger: "Three Chords and the Truth" heißt das neue Album von Van Morrison. Das Eröffnungsstück des Albums "March Winds in February" klingt fast zeitlos nach Van Morrison, das könnte auch von einer seiner alten Platten stammen.
Dirk Schneider: Ja, das ist wirklich erstaunlich. Was Van Morrison auf seinen letzten Alben gemacht hat, war auch nicht schlecht. Aber auf "Three Chords & The Truth" hört man den Van Morrison wieder, in den man sich mal verliebt hat, sofern man Van Morrison denn liebt. Er gehört zu den Leuten, die man wirklich nur lieben oder hassen kann. Ich kenne viele Menschen, die es keine Minute ertragen, ihn singen zu hören. Aber wenn man sich eben in ihn verliebt hat, dann bekommt man auf diesem Album wieder eine Ahnung davon, warum das mal passiert ist. Da glitzert an manchen Stellen wieder dieses Glück an der Musik, diese tiefe Liebe, zu was auch immer, Van Morrison ist ja auch ein religiöser Mensch.
Mauersberger: 74 Jahre ist Van Morrison jetzt alt, gibt es irgendeine Erklärung, warum er es jetzt wieder schafft, an seine alten Zeiten anzuknüpfen?
Schneider: Das ist völlig unklar, man weiß ja auch so gut wie nichts über Van Morrisons Privatleben. Und wenn man sieht, mit wie wenigen Informationen auch diese CD daherkommt, man erfährt auch vom Plattenlabel kaum etwas über die Entstehung des Albums, das Van Morrison ja selbst produziert hat, dann wird schnell klar: Dieser Mann, der ja im persönlichen Umgang äußerst schwierig und unkommunikativ ist, macht so ein Album mehr oder weniger auf eigene Faust und gibt es dann offenbar irgendwann dem Label in die Hand, damit es veröffentlicht wird.
Es gibt allerdings ein vierzehnminütiges Interviewvideo, das die Plattenfirma erstellt hat, und wenn man das sieht, wird einem wieder deutlich, wie unglaublich frei dieser Mann ist, wenn er singt, denn im Interview sieht man wieder, wie unwohl er sich fühlt, wenn er sprechen muss.
Seine Mutter hat mal gesagt, das erfährt man in der Biografie, die Johnny Rogan über ihn geschrieben hat, dass er selbst mal gesagt hat, er würde ja gerne mehr sprechen, aber er hätte ständig Melodien im Kopf, und wüsste selbst nicht, ob das Fluch oder Segen ist.
Album mit alten Weggefährten
Aber, um jetzt auf Ihre Frage zurückzukommen, warum dieses Album musikalisch an frühere Aufnahmen anknüpft: Van Morrison hat das Album mit einigen alten Weggefährten aufgenommen, unter anderem mit dem Gitarristen Jay Berliner, mit dem Morrison schon auf dem Klassikeralbum "Astral Weeks" gespielt hat.
Im Interview sagt er, dass diese Musiker, mit denen er gespielt hat, keine Noten lesen würden, sondern sie würden ihn lesen, weil sie das könnten. Und vielleicht ist es wirklich das; es ist ja nicht nur die Stimme oder der Gesang, der die Musik von Van Morrison so besonders macht, sondern das Zusammenspiel von Instrumenten und seiner Stimme, dieses Aufeinander-Eingehen, das hier wieder so gut funktioniert.
Er ist nicht mehr so krass in seinem Gesang wie früher, er hat ja nicht nur geflüstert und geschrien, sondern die Silben teils rausgeprustet und gegrunzt, man kann das nicht anders beschreiben. Und das Lautwerden und Flüstern, das Beschwörende seiner Stimme, das gibt es auch auf diesem Album noch, aber insgesamt ist er sehr viel gesettleter, aber er scheint sich eben auch in seinem Gesang so frei zu fühlen wie lange nicht mehr.
Songtext auf den Brexit gemünzt
Mauersberger: Fühlt sich aber Van Morrison nicht vielleicht auch so frei, weil er hier wieder seine eigenen Songs singt?
Schneider: Ich weiß nicht, ob es daran liegt, eigentlich waren Van Morrisons Coverversionen ja auch sehr frei, und er braucht ja nicht unbedingt seine eigenen Texte, um zu seinem Ausdruck zu finden. Die Texte sind bei ihm ja oft nur Phrasen, nicht mehr als Silben, die er benutzt, um seine Stimme einzubringen.
Mauersberger: Dennoch hat Van Morrison hier ja auch Texte geschrieben. Worum geht es in den 14 Songs auf "Three Chords & The Truth"?
Schneider: Viele Titel klingen sehr christlich, geradezu biblisch. Etwa "Dark Night Of The Soul", "In Search Of Grace" oder "Does Love Conquer All?" Aber er sagt auch selbst, dass es aktuelle Bezüge gibt. Das Stück "Nobody In Charge" sei schon auf den Brexit gemünzt, da heißt es: "Politicians that waffle endlessly, people just don’t want to see, gettin’ paid too much for screwin’ up, don’t you think everyone’s had enough?"
Also: Politiker, die ohne Ende schwafeln, das will niemand mehr sehen, sie bekommen viel Geld für ihr komplettes Versagen, glaubt ihr nicht, die Leute haben davon genug? Und es gibt ein ganz düsteres Stück, "You don’t understand", in dem Van Morrison geradezu beschwört, dass man den Menschen auf keinen Fall vertrauen darf, denn sie sind zu den übelsten Dingen fähig, das habe er in seinem Leben selbst ausreichend erlebt. Und auch das eben erwähnte "In Search Of Grace" kommt nicht so christlich daher, sondern handelt davon, dass heute in dieser Welt keine Gnade zu finden sei.