Van Morrisons "Astral Weeks" und Boston '68

Die Geschichte eines Kult-Albums

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Musiker Van Morrison in einer Aufnahme aus den 60ern © imago/United Archives
Ryan Walsh im Gespräch mit Oliver Schwesig |
Vor 50 Jahren erschien Van Morrisons Album "Astral Weeks". Entstanden ist das Album in Boston. Jetzt erzählt der US-Musikjournalist Ryan Walsh die Geschichte dieses Albums und der Bostoner Musikszene des Jahres 1968.
Das Album "Astral Weeks" hat Van Morrison mit Jazzmusikern eingespielt, die vorher nicht zusammen geprobt haben. Es wurde eine Platte, die alles Mystische zwischen Erde und Himmel und darüber hinaus berührte und die bis heute als Van Morrisons wahrscheinlich beste gilt.
Ein Album mit Sehnsuchts-Songs. Sehnsucht nach der Heimat, Sehnsucht, nach überirdischen Kräften. Es klingt hoch gegriffen, aber: Das war Van Morrisons Versuch, eine universelle Spiritualität in Töne zu fassen.
In diesem Jahr wird das bahnbrechende Werk 50 und der amerikanische Musiker und Musikjournalist Ryan Walsh ist auf Spurensuche gegangen in Boston, wo Van Morrison das Werk ersann, bevor es in New York aufgenommen wurde.
Ryan Walsh fand allerhand über die Geschichte der Stadt Boston heraus, ihre Musikszene und auch über den "Summer Of Love", der in Boston teils bizarre Blüten trieb. Und wir lernen: Von all den Städten, die für 1968 bedeutsam waren, ist Boston noch eine unentdeckte. Wir haben mit Ryan Walsh gesprochen.
Oliver Schwesig: Was hat Sie an diesem Album "Astral Weeks", damals als 22-Jährigen, so beeindruckt?
Ryan Walsh: Was mich daran interessierte, war, dass die Songs genauso klangen, wie ich mich fühlte. Und damit meine ich, dass ich der Liebe wegen am Boden zerstört war. Dazu kam dann noch, dass die Musik einzigartig war, es gab nichts Vergleichbares – so zeitlos, so losgelöst, fast wie in einem Traum.
Schwesig: Und wann ist Ihnen klar geworden, welche interessante Geschichte in den späten 60ern in Ihrer Heimatstadt steckt, die mit dem Album zu tun hat?

Eine große Geschichte wird größer

Walsh: Ich bin in Boston auf die Welt gekommen und dort aufgewachsen. Und wenn man sich die Rückseite der Platte anguckt, findet man da zahlreiche Referenzen an Orte, die gleich um die Ecke sind. Da ich wusste, dass viele Städtenamen, die wir hier in New England haben, aus Europa importiert sind, dachte ich zunächst, Van Morrison würde sich darauf beziehen. Aber dann wurde mir klar, dass das nicht stimmt, dass er wirklich die USA meint. Dann musste ich unbedingt dahinter kommen, weshalb das so ist. Und das hat eine Weile gedauert. Während meiner Recherchen, den Gesprächen mit Leuten, die zur selben Zeit wie Van Morrison hier lebten, wurde die Geschichte immer größer.
Schwesig: Die Musikindustrie war ja damals noch auf der Suche nach neuen Trends. Musik spielte im Summer of Love ja eine große Rolle, und da ließ sich eine Menge Geld verdienen. Es gab ja auch diesen Begriff des Sound of Boston. Was beschreibt diesen Sound of Boston?
Walsh: Hinter dem sogenannten Boston-Sound steckte in erster Linie eine Marketing-Kampagne der Musikindustrie. Man packte damals einfach viele junge Bands der Stadt zusammen in einen Topf und erklärte sie zu einer Szene. Das ist eigentlich eine unsägliche Angelegenheit, aber es wurden dadurch ein paar gute Songs bekannt. Im Buch erzähle ich diese Geschichte, um den Unterschied zu Van Morrison und dem Album "Astral Weeks" zu erklären. Ihm ging es um Vergleich zu den anderen nicht darum, kommerziell erfolgreich zu sein und mit seinen Songs im Radio zu laufen. Er wollte ein Gefühl vermitteln.

Szenen wie aus einem Scorsese-Film

Schwesig: Eine sehr schöne Stelle in Ihrem Buch beschreibt, wie Vertreter des Labels Warner Brothers Van Morrison aus dem alten Vertrag mit dem Produzenten Bert Berns freikauften. Das ist eine ziemlich obskure Geschichte, die aber offenbar so eingetreten ist. Er musste sich mit 20.000 Dollar bar in einem alten Lagerhaus einfinden und fürchtete um sein Leben. Es ging nämlich um eine Connection der Musikindustrie und der Mafia. Wie verbreitet war denn diese Verbindung?
Walsh: Ich war richtig schockiert, als ich von dieser Geschichte erfahren habe. Denn sie hört sich ja an, als sei sie einem Martin-Scorsese-Film entsprungen. Aber es ist in der Tat eine Geschichte, die mit einem Album verbunden ist, das ganz und gar nicht danach klingt. Nun, was war passiert?
Joe Smith von Warner Brothers befand sich in einer Zwickmühle. Er wollte Van Morrison unter Vertrag nehmen, aber der bestehende Plattenvertrag hätte das nicht zugelassen. Also hörte sich Smith um, wie man solche Dinge löst. Letztlich fand er sich in einer verlassenen Lagerhalle wieder, um ihn herum Männer in feinen Anzügen. Er warf ihnen einen Sack Bargeld vor die Füße – und so landete Van Morrison bei Warner Brothers.
Ich habe ihn mal gefragt, ob sich die später noch mal bei ihm gemeldet hätten. Und er sagte: Nein, die waren sicher nicht aus dem Musikgeschäft. Und daraus resultierte diese filmreife Geschichte, die mit dem Album verbunden ist.
Schwesig: Und gab es denn mehr Verbindungen zwischen Mafia und Musikindustrie? Haben Sie da etwas rausfinden können?

Nähe zur Mafia

Walsh: In den frühen Tagen der Unterhaltungsindustrie gab es immer Schnittpunkte mit dem organisierten Verbrechen, in der Musik, aber auch in Hollywood, bei Komikern. Dafür gibt es viele Gründe: Es handelt sich um ein sexy Business und man kann gut Geld waschen. Wirklich, das gab es viel im vergangenen Jahrhundert.
Schwesig: Ein anderer Mann, der in Ihrem Buch eine große Rolle spielt, der für den Sound und für die Geschichte von Boston aus der Zeit eine große Rolle spielt, ist eine obskure Figur. Er hat eine Sekte geleitet und war auch Musiker: Mel Lyman. Warum war der für das Album und für die Zeit damals in Boston so wichtig?
Walsh: Als Van Morrison in Cambridge lebte und an seinem Album "Astral Weeks" arbeitete, gründete ein Banjo-Spieler namens Mel Lyman – nur ein paar Meilen entfernt, auf der anderen Seite des Charles River – eine recht unkonventionelle Familie. Er hatte sich dort ein paar verfallene Häuser gekauft, und in der Zeitung, die er herausgab, erklärte er sich selbst zu einem Gott. Einige Leute hier aus der Gegend haben ihm tatsächlich geglaubt und schlossen sich ihm an.
Van Morrison war zu dem Zeitpunkt relativ unbekannt, ganz im Gegensatz zu Mel Lyman. Aber die beiden hatten auch Gemeinsamkeiten: Sie beide wollten mit ihrer Musik Spiritualität ergründen und veröffentlichten beide auf Warner Brothers. Das hat sie für mich interessant gemacht, sodass ich mich dazu entschloss, sie in meinem Buch zu den Figuren zu machen, anhand derer ich meine Geschichte erzähle. Klar gibt es auch viele Unterschiede zwischen den beiden, aber für Spiritualität interessierten sie sich beide.

Blick in die Sterne

Schwesig: Und kannten die beiden sich? Der eine hat ein Magazin geschrieben, wo es um mystische Dinge ging, das der andere vielleicht gelesen hat. Kannten die sich?
Walsh: Nein, soweit ich weiß, sind sie sich nie begegnet. Zwar haben sie beide das Newport Folk Festival im Jahr 1969 besucht und sie bewegten sich in derselben lokalen Musikszene. Aber ein Treffen gab es nicht. Aber es gab interessante Überschneidungen: Nachdem "Astral Weeks" fertiggestellt war, wollte der Flötist John Payne, der auf dem Album zu hören ist, Mel Lymans Glaubensgemeinschaft beitreten. Die haben dann für ihn in die Sterne geguckt, hielten ihn für einen Steinbock und rollten schon den roten Teppich für ihn aus. Und dann haben sie noch mal nachgeguckt, festgestellt, dass er gar kein Steinbock ist, und ihn gebeten, wieder zu verschwinden. Das sind so die kleinen Verbindungen, die über die thematischen Gemeinsamkeiten hinausgehen.
Schwesig: Van Morrison hat ja auch die Werke der Esoterikerin Alice Bailey gelesen. Heute, liest man, gehört er zu Scientology. Lässt sich da eine Verbindung erkennen, aus Ihrer Sicht?
Walsh: Ja, ich sehe da durchaus einen Zusammenhang. Wie viele Leute, die im Buch vorkommen, versucht auch Van Morrison die Welt zu verstehen, sich einen Reim auf die merkwürdigen Erfahrungen zu machen, die er als Kind gesammelt hat. Wenn man unsicher ist und Fragen an die Welt hat, wird man immer auf Leute treffen, die einem einfache Antworten präsentieren. Und dafür zählen für mich ebenso Scientologen wie die Anführer irgendwelcher Kulte. Für mich ergibt es durchaus Sinn, dass Van Morrison die Nähe zu solchen Gruppen sucht. Denn es ist schwierig, Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen zu finden.

Ryan H. Walsh: "Astral Weeks: A Secret History of 1968"
Penguin Press (Englisch), 2018
368 Seiten

Mehr zum Thema