Vasari gegen da Vinci

Von Thomas Migge |
In Italiens Kunstszene ist die Aufregung groß: Ein Wandgemälde von Giorgio Vasari wurde angebohrt, um zu untersuchen, ob dahinter ein Bild von Leonardo da Vinci liegt. Kritiker fürchten, nun werden weitere Kunstwerke im Namen der Wissenschaft beschädigt.
Maurizio Serafini ist der erste Wissenschaftler, der das große Wandbild "Die Schlacht von Scannagalo" des Renaissancemalers Giorgio Vasari untersuchen darf. Es befindet sich im Saal der 500 im Florentiner Palazzo della Signoria und stellt einen Sieg der Medici über die Stadt Siena dar:

"2003 gab der damalige Chef der Florentiner Altertümerbehörde grünes Licht. Wir fingen zunächst damit an, die Oberfläche nach Hinweisen abzusuchen, ob sich unter den Farbschichten noch andere befinden könnten. Solche Untersuchungen wurden zuvor nie durchgeführt."

Der in San Diego, Kalifornien lehrende Bioingenieur entwickelte Technologien, die es ihm erlauben, auch unter die Oberfläche von Kunstwerken zu schauen. In Florenz will Serafini unter das Wandbild von Vasari schauen, denn dort vermutet er ein verschollenes Meisterwerk von niemand Geringerem als Leonardo da Vinci:

"Wir hoffen, dass es uns gelingt, die ‚Schlacht von Anghiari’ von Leonardo da Vinci wieder ans Tageslicht zu bringen, ein Gemälde aus dem Jahr 1505, das von Zeitgenossen des Renaissancegenies als das eindrucksvollste Wandgemälde überhaupt geschildert wurde."

Ein Gemälde, das Leonardo im Auftrag der Republikaner von Florenz schuf. 1494 hatten sie die Medici-Herrscherfamilie aus der Stadt vertrieben und eine Republik errichtet. Leonardo wurde deren glühender Anhänger, und sein Wandgemälde für den neuen Ratssaal im Palazzo della Signoria feierte den Sieg der Republik über die Tyrannen.

Nach ihrer Rückkehr nach Florenz 1563 beauftragten die Medici den Maler Giorgio Vasari damit, das politisch nun nicht mehr opportune Bild zu übermalen. Man vermutete, dass Vasari dies nicht tat, sondern eine Wand dicht vor dem Kunstwerk des Leonardo errichten ließ, um darauf sein Schlachtenfresko zu malen. Bei Ultraschalluntersuchungen fand Maurizio Serafini Hinweise auf ein anderes Wandbild hinter dem Vasari. Aufgrund dieser ersten positiven Forschungsergebnisse gaben die Kulturverantwortlichen von Florenz ihr "si" für weiterführende Untersuchungen. Die allerdings invasiv sind, erklärt der Kunsthistoriker Claudio Strinati:

"Die technischen Instrumente Serafinis sind fantastisch. Mit Hilfe einer Minisonde, die acht Millimeter breit ist, geht er hinter das Bild Vasaris. Das Loch auf dessen Wandbild wird nicht breiter sein als zwei Zentimeter. Im Januar werden wir wissen, ob da wirklich Leonardos berühmtes Bild hinter der Wand versteckt ist. Serafini ist ein Experte seines Fachs."

Viele Kunsthistoriker bezeichnen es als skandalös, dass man doch tatsächlich erwägt, einen Giorgio Vasari anzubohren. Sie befürchten, dass auf eine erste weitere "Bohrungen" folgen werden - und nicht nur im Fall des Wandbildes von Vasari, denn in Italiens Museen finden sich verschiedene Gemälde und Fresken, bei denen man andere Kunstwerke unter der Oberfläche vermutet. Die Kunsthistoriker appellierten deshalb an den Kulturminister, er solle ein Machtwort sprechen und die gesamte Operation in Florenz unterbinden, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.
Auch der Kunsthistoriker Angelo Mazzetti ist ein Gegner des Eingriffs:

"Es geht hier um etwas ganz Generelles: Man kann nicht wichtige Kunstwerke beschädigen, um eventuell darunter liegende Malereien zu erforschen. Wir müssen uns doch entscheiden: Wollen wir den Vasari für einen schlecht erhaltenen Leonardo da Vinci opfern? Wir müssen dafür sorgen, dass an diesem bedeutenden Bild Vasaris kein Exempel statuiert wird."

Was also tun? Die Forschungen Serafinis mit der von ihm entwickelten Minisonde sind beendet. Derzeit werden sie ausgewertet. Im Januar sollen die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. Und dann muss sich der Superintendent von Florenz entscheiden: entweder bleibt der Vasari, wo er ist, oder aber er wird zugunsten des da Vinci entfernt. Doch ob der Superintendent im Fall des Wandbildes überhaupt entscheiden darf oder nicht, ist selbst noch ungewiss.

Mazzetti und andere Gegner des Projekts konnten nämlich in diesen Tagen einen ersten Etappensieg über Serafini verbuchen. Der Kulturminister gab bekannt, dass er die ganze Angelegenheit zunächst einmal genau untersuchen will. Und das kann dauern. Wie lange, weiß niemand.

Weitere Links bei dradio.de:

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