Vater aller Raketen

Rezensiert von Hans Holzer |
Das Buch von Michael J. Neufeld über Wernher von Braun ist nicht nur eine Biografie, sondern auch ein fundierter Abriss der deutschen Raketenentwicklung. Darin geht es geht auch um die amerikanische Entwicklung, die im Rahmen des Apolloprogramms 1969 zur Landung auf dem Mond führte.
Neufeld, Chef der Abteilung der Geschichte der Raumfahrt im National Air and Space Museum in Washington, zählt zu den besten Kennern der Raketenentwicklung, insbesondere die der deutschen bis 1945.

Sein Buch über Wernher von Braun ist nicht nur ein fundierter Abriss der deutschen Raketenentwicklung, sondern auch die Geschichte der amerikanischen Raketenentwicklung, die im Rahmen des Apolloprogramms 1969, also vor genau 40 Jahren, zur Landung auf dem Mond führte.

Wernher von Braun wurde 1912 in Wirsitz, im heutigen Polen geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in einer durchaus ambivalenten Umgebung. Einerseits geprägt durch die konservative Wertvorstellung seiner Eltern, Gutsbesitzer, andererseits durch Weltläufigkeit und Liberalität der Großstadt Berlin.

Michael J. Neufeld macht sich die Mühe, in dieser Biografie gerade diesen Lebensabschnitt von Brauns, der bestimmend für sein weiteres Leben wurde, ausführlich und detailliert zu beschreiben. Für den Leser deshalb auch ein thematischer Exkurs in die Zeit Deutschlands von der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert bis in die Zeit der Weimarer Republik.

Der Autor erläutert sehr anschaulich wie aus von Brauns schwärmerischem Hobby der Raketentechnik eine zeitaufwändige Beschäftigung im Verein für Raumschifffahrt in Berlin-Reinickendorf wurde. Sehr schnell driftet diese noch harmlose Beschäftigung in eine Entwicklung ab, die vom Militär gefördert und unterstützt wird.

Wernher von Braun: "Uns war das alles ziemlich egal, wir brauchten Geld und das Militär schien bereit zu sein, uns zu unterstützen."

Es mündet dies schließlich in ein militärisches Großprojekt, die Entwicklung und Fertigung des sogenannten "Aggregat 4", die berüchtigte V2-Rakete.

Gerade die vielfältigen Berührungen mit dem Militär und der politischen Führung der Nationalsozialisten zeigen, das von Brauns Ansicht, dass Wissenschaft und Technik neutral und unpolitisch seien, doch im gewissen Grad zur Selbstverleumdung führte. Neufeld zeigt akribisch auf, wie noch Jahrzehnte später, als von Braun längst in Amerika war, dies von Braun immer als Schutzschild für die eingeforderte moralische Verantwortung seines Tuns seitens der Nachkriegsgesellschaft dienen sollte.

Von Brauns erster beruflicher Höhepunkt war zweifellos die Entwicklung der bereits erwähnten A 4-Rakete. Man kann sich nicht vorstellen, dass ohne ihn jemals die V2 hätte produziert werden können.

Am 3 Oktober 1942 gelang der Start dieser Rakete. Sie war die erste erfolgreiche ballistische Rakete der Welt; das erste von Menschenhand gebaute Objekt "mit dem in den Weltraum gegriffen" wurde, wie sich von Braun gern erinnerte. Nichtsdestotrotz war sich von Braun über ihre militärische Bedeutung im Klaren:

"Aber Krieg ist Krieg, und da mein Land sich im Krieg befindet, hatte ich die Überzeugung, dass ich nicht das Recht hatte, weiterhin moralische Gesichtspunkte ins Feld führen zu dürfen. Meine Pflicht war, den Krieg gewinnen zu helfen"

Neben seinen technisch-mathematischen Fähigkeiten zeigt Neufeld ein weiteres, nicht minder wichtiges Talent von Brauns auf: das Organisationstalent!

Die schon angedeutete moralische Verantwortung seines Wirkens wird insbesondere der Tätigkeit von Zwangsarbeitern bei der Fertigung "seiner" V2 im Stollensystem Dora-Mittelbau bedeutsam. Unter mörderischen Bedienungen schufteten die Häftlinge, abertausende starben. Wusste von Braun von diesen Gräueln? Erst in den Sechziger- und Siebzigerjahren äußerte er sich dazu, als so viele Informationen bekannt wurden, dass sich sein Schweigen dazu nicht mehr durchhalten ließ.

Letztendlich gab Wernher von Braun doch nur zögerlich zu, was er zugeben musste. Leider kann auch diese Biographie nicht verbindlich klarstellen, wie umfangreich von Braun in die mörderische Fertigung seiner Rakete involviert war, also was er davon mitbekam. Neufeld:

"Er leugnete jedoch, jemals Zeuge von Prügeln oder Töten gewesen zu sein oder einen toten Häftling auch nur gesehen zu haben. Das Gegenteil lässt sich nicht beweisen."

Auch seine prinzipielle Einstellung zu der Ideologie des NS-Regimes bleibt unklar:

"Was dachte von Braun über die Verfolgung der Juden, die ausdrücklich ein Teil von Hitlers Programm war. Es gibt keinerlei Beweis für antisemitische Äußerungen oder Einstellungen bei von Braun, aber andererseits gibt es keinen Hinweis dafür, dass es ihn überhaupt interessierte."

Dies zeigt die prinzipielle Schwierigkeit einer Biographie Wernher von Brauns: Zeitgenössische Statements aus der NS-Zeit von ihm sind selten, sein Bild muss von Zeugen und aus Artikeln rekonstruiert werden, die Jahrzehnte danach gesagt und geschrieben, also durch das Verstreichen der Zeit getrübt oder durch von Brauns späteren Ruhm beeinflusst wurden.

Von Brauns Karriere endet jedoch nicht im Zusammenbruch 1945. Er begibt sich bewusst und gezielt in amerikanische Gefangenschaft, schon hoffend seine Raketen-Ambitionen in den Vereinigten Staaten weiterführen zu können. Auch in dieser Episode zeigt sich sein kühl-rationales Abwägen hinsichtlich seiner beruflichen

Zukunftsperspektiven. Seine ersten Tätigkeiten in den USA waren im militärischen Raketenprogramm angesiedelt.

Neufeld: "Was er bieten konnte, waren nicht seine Raumfahrtpläne, sondern sein "unbestreitbares Genie" - beim Management riesiger, militärindustrieller technischer Projekte."

Erst Anfang der Fünfzigerjahre konnte er die Idee der bemannten Weltraumfahrt dem Publikum präsentieren. Den Durchbruch gab der Start des Satelliten "Sputnik" im Jahre 1957 in der Sowjetunion, der Amerikas Selbstverständnis als führende Technologie-Großmacht empfindlich traf. Doch auch von Braun selbst war nicht untätig gewesen. Mit Artikeln und Filmen, er arbeitete unter anderem mit Walt Disney zusammen, gelang es ihm, der breiten amerikanischen Öffentlichkeit die bemannte Weltraumfahrt als technisch durchführbar darzustellen. Seine maßgebliche Beteiligung an der Konstruktion und dem Bau der mächtigen Saturn-Rakete ermöglichten es, Menschen auf den Mond zu befördern. Die Verwirklichung eines Menschheitstraumes! :

"Die Saturn war sein Meisterwerk; es ist erstaunlich, aber keine Saturn ist beim Flug katastrophal gescheitert."

Wie kein anderer der Konstrukteure, Wissenschaftler und Manager wurde Wernher von Braun "die Berühmtheit" des Mondlandeprogramms. Für Michael Neufeldt ist von Brauns Lebensweg, er verstarb 1977, eine Mahnung und Erinnerung an einen faustischen Pakt: Die Möglichkeit der Arbeit an der Raketentechnik war es ihm wert, Rahmenbedingungen zu akzeptieren die, wie das Beispiel V2-Rakete zeigt, durchaus verbrecherisch sein konnten.

Im Jahre 2003 führte die Fachzeitschrift "Aviation Week and Space Technology" eine Umfrage unter ihren Lesern durch nach den "100 Stars of Aerospace", also den hundert wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Fliegens. Wernher von Braun kam nach den Brüdern Wright auf Platz zwei! Dieses Ranking zeigt, dass eine umfassende und fundierte Biografie über ihn notwendig und auch durchaus aktuell ist!


Michael J. Neufeld: Wernher von Braun,
Visionär des Weltraums, Ingenieur des Krieges

Siedler Verlag
Cover: "Michael J. Neufeld: Wernher von Braun"
Cover: "Michael J. Neufeld: Wernher von Braun"© Siedler Verlag