Vater der Atombombe

Rezensiert von Paul Stänner · 10.01.2010
Robert J. Oppenheimer gilt als Vater der Atombombe – und in der McCarthy-Ära als Moralist, als Linker und als Sicherheitsrisiko. Kai Bird und Martin J. Sherwin haben nun eine Biografie über ihn vorgelegt.
Julius Robert Oppenheimer wurde 1904 in ein wohlhabendes Elternhaus geboren. Er entpuppte sich als ein Multitalent, das sowohl in den naturwissenschaftlichen Fächern glänzte als auch in der Musik oder der Literatur. Als Robert anfing, sich für die Flöte zu interessieren, buchten seine Eltern den besten Flötisten der USA als Lehrer. Robert war ein verwöhntes Kind, was zu einem Persönlichkeitszug führte, den er folgendermaßen diagnostizierte:

"Ein unangenehmes Ego, mit dem ich Kinder wie Erwachsene beleidigt haben muss, die unglücklicherweise mit mir zu tun bekamen."

Dieser Zug, gepaart mit einer gewissen Ungeduld, sollte ihn sein Leben lang begleiten. Oppenheimer besuchte die Ethical Culture School, eine Einrichtung des Reformjudentums, in der er neben dem konventionellen Lehrstoff von Grundschulen auch die kulturellen und sozialen Werte von Menschen lernte, die sich – wie die Biografen Martin Sherman und Kai Bird schreiben ...

"... als Katalysatoren einer besseren Welt betrachteten. In Roberts letztem Schuljahr ging es ausführlich um die Rolle des Staates. Auch ein ‚kurzer Katechismus der politischen Ethik’ samt einem Abschnitt zur ‚Ethik der Loyalität und des Verrats’ gehörte zum Lehrplan."

Oppenheimer studierte Physik – erst in den USA, dann wechselte er nach Göttingen - damals das Mekka der theoretischen Physik, wo die zukunftsweisenden Köpfe lehrten. Oppenheimers Biografen zeigen uns nicht nur den begabten, sondern auch den psychisch oft labilen Studenten, der an schweren Depressionen litt.

1927 kehrte Oppenheimer in die Staaten zurück, um in Kalifornien einen Lehrauftrag anzunehmen. Seine Karriere als Wissenschaftler nahm einen steilen Aufstieg.

1939 stand der Kriegsausbruch bevor. Zu dieser Zeit war in der Theorie schon ausgemacht, dass man eine Atombombe bauen könnte. Und man wusste, dass die Deutschen bereits daran arbeiteten. Eine solch verheerende Waffe in den Händen der Nazis war nicht hinzunehmen.

Das Projekt Manhattan zum Bau der amerikanischen Atombombe wurde auf den Weg gebracht und Oppenheimer wurde trotz seiner bekannten Sympathien für linke Bewegungen der wissenschaftliche Leiter des geheimen Unternehmens. Oppenheimer war es, der durch sein überragendes Wissen und schnelle Auffassungsgabe, aber auch durch den Charme seine Persönlichkeit, die Arbeit vorantrieb.

Er verstand es, die jungen Wissenschaftler, von denen etliche vor den Nazis geflohen waren, zu Höchstleistungen zu motivieren. Er war ein faszinierender Redner und konnte ein wundervoller Unterhalter sein, seine Martinis waren Legende. Die Forscher und Konstrukteure in Los Alamos schienen für den Sieg Amerikas, vor allem aber für Oppenheimer zu arbeiten.

Die ganze Zeit über wurde er von den Geheimdiensten überwacht. Die Akten wuchsen. Deutschland wurde besiegt, bevor die Nazis die Bombe bauen konnten. Für die Militärs war das kein Problem, jetzt war die Bombe eben gegen die Sowjets gerichtet, die zu diesem Zeitpunkt noch Alliierte im Kampf gegen die Nazis waren. Oppenheimer waren entsetzt, er hatte gegen die Nazis gekämpft. Dann wurde die Testbombe gezündet und Oppenheimer zitierte ahnungsvoll einen Vers aus dem altindischen Text der Bhagavad Gita:

"Nun bin ich der Tod geworden, der alles raubt, Erschütterer der Welten."

Zwei Atombomben detonierten über Japan, das bereits geschlagen und auf der Suche nach Friedensverhandlungen war, der Krieg war endgültig gewonnen. Für Amerika war Oppenheimer Held und Idol. Jeder kannte den hageren Mann mit dem dürren Hals, der immer eine Zigarette im Mundwinkel hatte und diesen speziellen, flachen braunen Hut trug, den so genannten Porkpie. Er war

"Amerikas Prometheus, der Vater der Atombombe, der seinem Land in Kriegszeiten das Feuer der Sonne handhabbar gemacht hatte."

Aber Oppenheimer sah weiter als bis zur Siegesparade. Es war den meisten Wissenschaftlern, allen voran Niels Bohr und Robert Oppenheimer klar, dass sich das amerikanische Atomwaffen-Monopol nicht würde halten lassen. Mit der ersten Atombombe hatten sie die Büchse der Pandora geöffnet, nun stand der Menschheit eine Zerstörungsgewalt zur Verfügung, die ganze Zivilisationen auslöschen konnte.

Sherwin und Bird machen deutlich, dass die Skrupel, die Oppenheimer quälten, dem Militär und der Politik völlig fremd waren. Präsident Truman hatte sich darüber amüsiert, dass Oppenheimer klagte, er habe Blut an den Händen. Er selbst, fand Truman, habe noch mehr Blut an den Händen und keine Probleme, gut zu schlafen. Oppenheimer sei ein Weichei.

Oppenheimer und andere hatten verlangt, die Sowjetunion an ihren Kenntnissen zu beteiligen und einen offenen Dialog zu beginnen, der in einer Kontrolle von Atomwaffen münden sollte. Die Konservativen setzen auf Geheimhaltung und die massenhafte Produktion von Atombomben, um die Roten in Schach zu halten.

Als diese ebenfalls die Atombombe hatten, begann mit unbelehrbarer Konsequenz dasselbe Spiel mit der weitaus brisanteren Wasserstoffbombe noch einmal. 1950 brauchte Präsident Truman ganze sieben Minuten, um den Bau dieser Bombe zu beschließen. Oppenheimers Gegenargumente verpufften, noch bevor sie zünden konnten.

Oppenheimer war offizieller Berater der Regierung, aber er ging ihr gewaltig auf die Nerven. Im vergifteten Klima des Kalten Krieges und der McCarthy-Ära nahmen Falken unter den Republikanern Oppenheimer ins Visier. Was sie jetzt in Gang setzen, war, wie die Autoren Shirwin und Bird es nennen:

"die Maschinerie einer außergewöhnlichen amerikanischen Inquisition ..."
Oppenheimers angebliche Todsünden waren seine Jahrzehnte zurückliegenden Kontakten ins linke Lager, auch das Gerücht um seine angebliche Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei. Persönliche Feindschaften spornten die Verfolger an - Menschen, die Oppenheimers scharfen Verstand und scharfe Zunge gespürt hatten, wurden selten seine Freunde.

Das Ziel der Angriffe war es, Oppenheimer den Status als Geheimnisträger abzuerkennen. Hatte man öffentlich nachgewiesen, dass Oppenheimer nicht geheimniswürdig war, war der Mann erledigt - als Regierungsberater und als Person.

Mit einer Flut von Belegen zeigen Sherwin und Bird akribisch auf, wie die Gespräche zwischen Mandant und Verteidiger vom FBI abgehört wurden, wie die Verteidigung behindert, Zeugen unter Druck gesetzt oder gekauft wurden. Die primitivsten Regeln von Rechtstaatlichkeit und Fairness wurden außer Kraft gesetzt. Selbst der Präsident – mittlerweile war es Dwight D. Eisenhower – wusste, dass gegen Oppenheimer nichts Seriöses vorlag, aber nicht einmal er konnte die Hexenjäger stoppen. Gegen diese kafkaeske Verfolgungsmaschinerie war Oppenheimer machtlos. Er ging unter dem Druck zu Boden.

Was Sherwin und Bird hier im Wortsinn atemberaubend schildern, ist ein präzise dokumentierter Politkrimi, ein schwarzes Lehrstück des Machtmissbrauchs. Letztlich ging es nicht um einen Verrat an der Nation, sondern nur darum, dass sich die Sichtweise eines Flügels der republikanischen Partei durchsetzen und andere Argumente gar nicht erst zur Sprache kommen sollten. Es ging um nichts weniger als die Vernichtung der Demokratie. Auch wenn Präsident Kennedy später Robert Oppenheimer rehabilitierte, muss man zugestehen, dass seine Feinde gesiegt haben. Oppenheimer war körperlich und seelisch ausgezehrt.

Sherwin und Bird sprechen in gleich zwei Passagen von Oppenheimers "Folterern". Auch sie scheint die Angst gepackt zu haben vor dem, was in Amerika möglich war - und wieder möglich sein könnte. Deshalb ist es auch die Absicht ihres Buches, deutlich zu machen:

"wie anfällig demokratische Prinzipien sind und wie sorgfältig sie geschützt werden müssen."

Man ahnte dies bereits. Und ist erschrocken, wenn man es noch einmal so deutlich vorgeführt bekommt. Konnte noch etwas erforscht werden? Am Ende des Buches ist man Oppenheimer näher gekommen mit all seiner Brillanz, seiner Arroganz, seinem Charme, seiner moralischen Standfestigkeit und seiner seelischen Gebrochenheit. Und man sieht ihn zu Boden gehen vor einer Bande nichtswürdiger Pfeifen. Dieses erschütternde Erlebnis am Ende des Lesens war neu.

Kai Bird / Martin J. Sherwin: J.Robert Oppenheimer. Die Biographie
Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Propyläen Verlag, ca. 500 Seiten , 26,00 Euro
Cover: "Kai Bird / Martin J. Sherwin: J.Robert Oppenheimer"
Cover: "Kai Bird / Martin J. Sherwin: J.Robert Oppenheimer"© Propyläen Verlag