Vater-Sohn-Konflikt im Hause Mann

Rezensiert von Carlos Widmann · 27.04.2008
Im Mittelpunkt von Karl Heinz Bittels Roman "Eine Art Verrat" steht das schwierige Verhältnis zwischen Thomas Mann und seinem Sohn Klaus. Der Konflikt eskaliert, als Klaus sein Versprechen bricht und eine Exilzeitschrift herausgibt.
Das Café war in den Dreißigerjahren der obligate Aufenthaltsort von Menschen im Exil, die einander treffen oder anpumpen wollten und es in ihren schäbigen Hotelzimmern nicht lange aushielten.

Eine rote Bauchbinde deutet mit einem Zitat an, wovon der Roman handelt. "Hitler must fall! - Thomas Mann im Madison Square Garden von New York." Es geht also nicht um irgendwelche deutsche Flüchtlinge, sondern um die vor den Nazis ins Ausland entwichene Familie Mann. Cafés und abgewetzte Hotelzimmer freilich wurden eher vom ungeliebten Bruder Heinrich und dem oft gedemütigten Sohn Klaus aufgesucht: Thomas Mann, Großschriftsteller und Nobelpreisträger, blieb nach dem Wegzug von München ein hartnäckiger Villenbewohner - in der Schweiz, an der Riviera, in Princeton oder bei Santa Monica an der Küste Kaliforniens.

Am Beginn seiner Abwesenheit hatte Thomas Mann den zweitältesten Sohn Golo noch einmal in die Münchner Villa zurückgeschickt, damit er seine Manuskripte und vor allem die allzu offenherzigen Tagebücher vor feindseligem Zugriff bewahre. Die Schilderung von Karl Heinz Bittel klingt da an Gladius Dei an, jene Erzählung von 1902, die mit dem lapidaren Satz "München leuchtete" begonnen hatte sowie einem ironischen Hymnus auf die Stadt, die Golo Mann nun arg verändert wiedersah:

"Es war ein strahlend schöner Apriltag. Ein seidig blauer Himmel spannte sich über der Stadt. Sie bereitete sich auf den vierundvierzigsten Geburtstag des Führers und Reichskanzlers vor. Hakenkreuzfahnen flatterten vor öffentlichen Gebäuden und schmückten die Fassaden vieler Privathäuser. Grüppchen von SA-Männern in ihren Braunhemden waren in der Innenstadt unterwegs."

Sich nun loszusagen vom stattlichen Haus in der Poschingerstraße, von Köchin und Personal, von den drei Autos und dem Chauffeur, der nun leider mit den Nazis sympathisierte - und nicht zuletzt von den beträchtlichen Honoraren, die sich auf zwei Münchner Bankkonten angesammelt hatten - das fiel Katja und Thomas Mann schwer, sehr schwer. Es galt, den Auslandsaufenthalt als nur vorübergehend auszugeben, einen offenen Bruch mit dem Regime zu vermeiden. Und vor allem war dem Autor darum zu tun, seinem Verleger nicht zu schaden, dessen Star-Autor er nun einmal war: dem S. Fischer Verlag in Berlin. Selbst als sein Münchner Besitz von den Nazis beschlagnahmt wurde, legte Thomas Mann - wie übrigens auch jüdische Autoren - weiterhin Wert darauf, in Nazi-Deutschland gedruckt und gelesen zu werden und von dort Honorare zu beziehen.

Das war für politisch oder rassisch Verfolgte anstößig, ja skandalös. Vor allem für Klaus Mann, den begabten Sohn und kämpferischen Antifaschisten, der in Amsterdam eine Zeitschrift zur Rettung der europäischen Kultur herausgeben wollte. Klaus bat darum, den Namen Thomas Mann auf die Liste der Autoren setzen zu dürfen, und der Vater konnte ihm das nicht verwehren. Doch Thomas mahnte zur Vorsicht: eine literarische Zeitschrift müsse das werden, kein politisches Kampfblatt. Von einer Attacke auf Hitler, wie sie der große Joseph Roth gerade in einer Prager Zeitung veröffentlicht hatte, hielt Thomas Mann nichts: Roth, meinte er wegwerfend, sei "alkoholisches Emigrantentum".

Klaus war also gewarnt. Dennoch erschien die erste Ausgabe seiner Zeitschrift mit einem Text, der die Nazis herausforderte. Der Aufsatz stammte von Heinrich Mann, dem linken "Zivilisationsliteraten", mit dem der jüngere Bruder Thomas seit Jahrzehnten zerstritten war. Manns Berliner Verleger war entsetzt, fürchtete Repressalien, gar eine Enteignung oder "Arisierung".

"'Was habe ich damit zu tun?', erwiderte ihm Thomas Mann. 'Mein Sohn Klaus ist erwachsen, wenn man das so nennen will, und was Heinrich angeht, so sind dessen politische Anschauungen hinlänglich bekannt. Dass bei den Nazis die Sippenhaft mächtig Konjunktur hat, wen wundert’s. Aber dass ich mich für politische Aktivitäten von Heinrich und Klaus rechtfertigen soll, kommt nun doch einigermaßen überraschend. Verlangen Sie jetzt etwa noch, dass ich meinen eigenen Sohn desavouiere?'"

Trotzdem meinte Mann schließlich, sich der Bitte seines Verlegers nicht entziehen zu können: Zumindest eine Distanzierung von der Emigrations-Zeitschrift sei unerlässlich, um Schlimmeres zu verhindern. Was Klaus insgeheim befürchtet hatte, trat nun ein - der Vater fiel ihm in den Rücken. Mochte der Sohn mit seinen Plänen scheitern, was kümmerte es ihn in der Tiefe seines Herzens? Er redete von Absatzzahlen: "Der Verkauf meiner Bücher in Deutschland geht besser als seit langem." Ja, Thomas Mann redete davon, dass ein Erfolg seines jüngsten Romans für die Nazis unangenehmer wäre als "ein ganzer Stoß Emigrantenpolemik ..."

Das Prinzip der Sippenhaftung, mit dem Hitler seine Gegner terrorisierte, war also in die Familie Mann eingedrungen. Und der labile, schwule, Halt suchende Klaus hatte lernen müssen, dass seine Träume und Überzeugungen dem genialen und egoistischen Vater nicht viel bedeuteten. Daran änderte sich auch nichts, als die Umstände Thomas Mann zwangen, öffentlich mit den Nazis zu brechen und sich zur Exil-Existenz zu bekennen.

Karl Heinz Bittel arbeitet in diesem Schlüsselroman den tragischen, im Keim tödlichen Vater-Sohn-Konflikt spannend und souverän heraus, vor allem aber widmet er dem Meister, seiner Familie und ihren Freunden einen reizvollen stilistischen Drahtseilakt: eine Anverwandlung der Sprache Thomas Manns, bis an den Rand der Parodie, die sensationell gelungen ist.

Karl Heinz Bittel: Eine Art Verrat - Sippenhaftung im Exil
Osbourg Verlag, Berlin
Karl-Heinz Bittel: Eine Art von Verrat
Karl-Heinz Bittel: Eine Art von Verrat© Osburg Verlag