Vatikan-Experte: Die Kirche braucht einen Reform-Papst

Moderation: Liane von Billerbeck |
Auch im 21. Jahrhundert funktioniere der Vatikan noch immer wie ein Hofstaat, der Papst benehme sich wie ein absoluter Monarch: Der Jesuit und Politologe Thomas Reese fordert vom künftigen Oberhaupt der katholischen Kirche grundlegende Reformen - und eine stärkere Teilung der Macht.
Liane von Billerbeck: Heute ist der letzte Tag im Amt für Benedikt XVI., den Papst, der ein einfacher Arbeiter sein wollte im Weinberg des Herrn, aber das Abnehmen seiner geistigen und körperlichen Kräfte gespürt und deshalb konsequent von dem Amt zurückgetreten ist, dem er sich nicht mehr gewachsen sah. Der Jesuitenpater Thomas J. Reese kennt den Papst und den Vatikan, er ist Politologe, Theologe und Senior Fellow an der Georgetown University in Washington D.C., und er hat schon ins einem 1998 erschienenen Buch "Inside the Vatican" die Ergebnisse einer einjährigen Evaluierung der Abläufe in der Kurie präsentiert und Reformvorschläge unterbreitet. Mit ihm habe ich vor unserer Sendung gesprochen.

Pater Reese, ist der Reformbedarf der Kurie 15 Jahre nach Ihrem Buch "Inside the Vatican" noch drängender?

Thomas J. Reese: Ich glaube, diese Notwendigkeit besteht sogar sehr stark. Der Vatikan muss sich reformieren, denn wir haben ja in den letzten Jahren doch erlebt, dass es innerhalb des Vatikans auch starke Widersprüche gab, dass es zu Divisionen gekommen ist, dass Dinge einfach nicht mehr funktioniert haben. Und wir brauchen einen neuen Papst, der wirklich Reformen durchführt. Die letzten drei Päpste, die wir hatten, unter anderem Johannes Paul II. und jetzt auch Benedikt, die hatten auch eigentlich vor, die Kirche zu reformieren, waren aber Intellektuelle, und Intellektuelle sind dazu meistens eben nicht in der Lage, weil sie es hier ja auch mit einer Bürokratie zu tun haben, und die Kurie ist eben auch eine Bürokratie. Und der nächste Papst, der muss diese Probleme wirklich angehen, der muss auch einen ganz neuen Blick auf das ganze Papsttum werfen und der braucht auch wirklich Leute, die sich im Management auskennen, Experten, damit der Papst seine Rolle auch für die Kirche sinnvoller ausfüllen kann.

von Billerbeck: Die Römische Kurie, die existiert seit knapp 1000 Jahren. Ihre Organisationsstrukturen, die sind seit Jahrhunderten gleich. Passen die noch zu unserer Zeit?

Reese: Nein, also diese Strukturen sind wirklich nicht mehr zeitgemäß, weil der Vatikan eigentlich eher wie eine Art Hofstaat funktioniert, und wir brauchen wirklich einen Papst, der auch Ahnung hat. Also es hat in der Geschichte des Papsttums zum Beispiel einen Papst gegeben, der sich mit Finanzen auskannte. Auch so was brauchen wir heute. Wir brauchen wieder wirklich Experten, die diese Strukturen reformieren können und der Gesellschaft anpassen. Beispielsweise ist es ja heute auch klar, dass der Adel nicht mehr benötigt wird in Regierungen. Aber im Vatikan ist es immer noch so, dass einige Bischöfe immer noch hofiert werden, wie Prinzen, als seien sie adlig. Das ist alles nicht mehr zeitgemäß. Und wir müssen uns auch einfach den Legislaturperioden, wie sie in der Gesellschaft normalerweise stattfinden, annähern. Also es kann nicht sein, dass die Exekutive und die Legislative immer noch keine Machtteilung erfahren, und das ist immer noch der Fall. Die einfachen Bischöfe oder auch einfache Mitglieder der Kirche haben viel zu wenig Macht, und im Vatikan ist es nach wie vor so, dass der Papst eben alle drei Gewalten praktisch gleichzeitig ausübt – und das sind alles Dinge, die müssen reformiert werden. Es muss zu einer Machtteilung kommen.

von Billerbeck: Pater Reese, das klingt fast nach einer Revolution, was Sie da vorschlagen – Machtteilung im Vatikan. Nur ist der Papst ja Bischof von Rom, Chef des Stadtstaates Vatikanstadt und Oberhaupt des Bischofskollegiums, dem alle Bischöfe angehören. Ist es auch diese Machtkonzentration auf eine Person gewesen, vor der der Papst, ein alter Mann, in die Knie gegangen ist?

Reese: Nun, ich finde einfach, dass der Papst bei all dieser Macht, die er ausübt, diese Macht im Vatikan auch nicht ideal umsetzen kann. Da gibt es beispielsweise die Glaubenskongregation, die dafür sorgt, dass der Glaube nach wie vor überall befolgt wird, und sie stellen fest, wer vom Glauben abgewichen ist. Und das Problem ist: Das ist wie eine Polizei, die Andersdenkende verfolgt, die sie aber auch gleichzeitig bestrafen kann, die also auch viel zu viel Macht hat, und hier gibt es zum Beispiel überhaupt keine Gewaltenteilung. Also das kann nicht sein, dass ein Theologe gleichzeitig auch Richter ist beispielsweise. Und da müssten wir einfach von den Zivilgesellschaften noch lernen. Der Vatikan muss da viel mehr Dinge übernehmen aus der Zivilgesellschaft, und der Papst soll auch nicht jemand sein, wie Sie richtig erwähnt haben, der nur das Oberhaupt des Bischofskollegiums ist, sondern der mit den Bischöfen zusammen nach Lösungen sucht und nicht nur über ihnen steht. Und er benimmt sich nach wie vor, der Papst, wie ein absoluter Monarch des 17. oder 18. Jahrhunderts, und das ist heute einfach nicht mehr zeitgemäß. Und das war nicht immer so in den vergangenen Jahrhunderten: Da hat das Papsttum nicht immer diese wahnsinnige Macht ausgeübt, zum Beispiel, dass der Papst immer jeden einzelnen Bischof selber ernennt. Das ist erst seit dem 19. Jahrhundert so. Das war früher nicht so.

von Billerbeck: Sie sind Fellow an der Georgetown University in Washington, und die katholische Kirche in den USA hat ja nach dem Bekanntwerden von zehntausendfachen Fällen sexueller Gewalt durch Priester ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. Als der Papst Benedikt in den USA war, hat er sich tief beschämt gezeigt und hat zur Erneuerung aufgerufen. Hat denn diese Erneuerung in der katholischen Kirche Amerikas stattgefunden?

Reese: Nun, dieser sexuelle Missbrauch, der stattgefunden hat, das war natürlich das Schlimmste, was in der US-amerikanischen Kirche jemals passiert ist. Das ist einfach schrecklich, dass Kinder dort missbraucht worden sind, und das ist einfach nur ganz entsetzlich, das kann ich gar nicht oft genug wiederholen, eben für jedes einzelne missbrauchte Kind. Und Papst Benedikt hat sich da, glaube ich, auch sehr pastoral verhalten, denn er hat sich ja mit Opfern getroffen und das war das erste Mal, dass er so was überhaupt getan hat und das war wirklich sehr wichtig, er hat gesagt, dass es ihm leid tut. Aber natürlich muss die Kirche eben noch sehr viel weiter gehen. Es müssen wirklich Mechanismen gefunden werden für einen Opferschutz, auch um Kinder vor zukünftigen Übergriffen zu schützen, und da hat die amerikanische Kirche noch einen sehr weiten Weg vor sich. Zum Beispiel muss jetzt jeder Missbrauch auch bei der Polizei angezeigt werden. Gerade letzte Nacht war ich zusammen mit 25 Jesuiten, und man hat uns noch einmal ganz genau beigebracht, was wir zu tun haben, wenn es zu solchen Übergriffen kommt, wie wir das der Polizei und den legalen Behörden … wie wir da vorzugehen haben, also wie wir bei den Behörden vorzugehen haben. Und das ist auch unglaublich wichtig, dass das jetzt vermittelt wird. Und es ist schon so, dass es einen gewissen Fortschritt in der US-Kirche gegeben hat, sie hat sich da durchaus bewegt, aber es ist wirklich auch noch nicht alles getan worden. Beispielsweise hätte ich es schon gut gefunden, wenn 30 bis 40 Bischöfe öffentlich zugegeben hätten, dass sie versagt haben und dass sie daraus auch die Konsequenz ziehen und zurücktreten, und das hat eben noch nicht stattgefunden.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, Pater Thomas Reese ist mein Gesprächspartner, Vatikanexperte, Jesuit und Politologe. Pater Reese, immer weniger Menschen im Westen fühlen sich zum Priester berufen, in Afrika und Asien sind das umso mehr. Man kann also davon ausgehen, dass die Kirche sich verändern wird. In welcher Form wird das Kurie und Kirche verändern?

Reese: Nun, das ist natürlich eine ganz interessante Frage, die Sie mir da gestellt haben, aber schauen Sie sich an, was jetzt heutzutage in der Welt passiert, also bei den Nuntii ist es ja oft so, also den Botschaftern des Papstes außerhalb von Vatikanstadt, das sind meistens noch Europäer, aber ihre Sekretäre, die stammen dann schon meistens aus der Dritten Welt. Und das wird auch die nächste Generation der Nuntii werden, und sie werden damit natürlich auch das Antlitz und das Gesicht des Katholizismus stark verändern. Man sieht heute schon in Rom, in Vatikanstadt sehr viele dieser Vertreter aus der Dritten Welt. Und es ist einfach so, dass man davon ausgehen kann, dass noch in diesem Jahrhundert irgendwann auch mal ein Papst aus der Dritten Welt stammen wird. Aber auch da gibt es eben zwei verschiedene Dinge: Dieser Reformationsbedarf, den die Europäer sehen, der wird da nicht immer so verstanden, weil sie auch aus ärmeren Ländern stammen und zum Beispiel auch eine ganz andere Einstellung zum Kapitalismus haben. Sie sehen im Kapitalismus doch in erster Linie auch eine Ausbeutergesellschaft, und US-Firmen und europäische Firmen werden ganz stark als Ausbeuterfirmen wahrgenommen. Und das sind eben auch Vertreter, die eine ganz andere wirtschaftliche Gerechtigkeit einfordern werden und die sehr viel radikalere Ansichten vertreten. Allerdings muss ich sagen, dass ich schon der Meinung bin, dass Papst Benedikt, gerade was seine Ansichten über Wirtschaft betraf, relativ radikal war. Also in den USA würde man ihn phasenweise wirklich als einen Kommunisten bezeichnen.

von Billerbeck: Wenn Sie gefragt werden würden, Pater Reese, wie soll er sein, der neue Papst, heute am letzten Tag von Papst Benedikt XVI. – was für einen Papst würden Sie sich als nächsten wünschen?

Reese: Nun, die wichtigste Herausforderung ist, wie in Zukunft auch die Lehre weitergetragen werden soll, dass sie auch im 21. Jahrhundert noch verständlich ist und auch attraktiv ist. Und es war wohl so, dass die letzten beiden Päpste, die ausgewählt waren – das waren dann jeweils die intelligentesten, die sich in diesem Raum befunden haben, weil Johannes Paul II. war ein großartiger Theologe, und das gilt natürlich auch für Benedikt. Aber vielleicht wäre es mehr an der Zeit, dass man heutzutage jemanden wählt, der auf all die anderen Intelligenten im Raum und überhaupt in der Kirche hören kann und der Leute eben wieder zusammenbringt, der über ein gewisses Verhandlungsgeschick verfügt, der es schafft, eben alle zusammenzubringen. Und bisher war es so, dass alle immer zum Papst aufgeschaut haben und von ihm sich Antworten auf Fragen erhofft haben. Jetzt würde ich mir einen Papst wünschen, der dazu in der Lage ist, Menschen zusammenzubringen und gemeinsam diese Fragen zu lösen, denn einer allein kann sich diesen riesigen Fragen nicht stellen. Das wäre ein Papst, den ich mir wünschen würde.

von Billerbeck: Der Vatikanexperte Pater Thomas J. Reese am letzten Amtstag des scheidenden Papstes Benedikt. Das Gespräch mit ihm hat Jörg Taszman übersetzt.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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