Marco Politi: Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche
Herder-Verlag, Freiburg 2020
298 Seiten, 24 Euro
"Ein Papst ist allmächtig, wenn er konservativ ist"
15:05 Minuten
Der Journalist Marco Politi ist sich sicher: Franziskus würde gern einen klareren Reformkurs fahren, erfährt aber starken Widerstand. Der Papst sei eingekesselt durch klerikale Nationalisten und Ultrakonservative.
"Ernüchterung und Enttäuschung", "Verpasste Chance", "Regenwald-Lyrik statt Lösung handfester Probleme": So lauteten manche Stellungnahmen nach der Veröffentlichung des Schreibens von Papst Franziskus zur Amazonassynode vor einigen Tagen. Wer von dem Kirchenoberhaupt große Reformschritte in Richtung Abschaffung des Zölibats oder Weiheämter für Frauen erwartet hatte, der wurde herb enttäuscht. Aber vielleicht waren die Erwartungen auch falsch? Will Franziskus die katholische Kirche überhaut so grundlegend verändern, wie es sich manche erhoffen?
Der deutsch-italienische Journalist Marco Politi sieht den Papst durchaus als Reformer. In dieser Woche ist das neue Buch des Vatikankenners erschienen, es heißt: "Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche".
Der Papst mit dem Rücken zur Wand
Anne Francoise Weber: Sie schreiben, es sei Franziskus' Traum, die kirchliche Bürokratie wieder in eine "warmherzige Beteiligungskirche" zu verwandeln. Nun ist in diesem Schreiben zum Amazonas die Beteiligung der indigenen Völker ganz zentral. Aber warum gibt es nicht die Offenheit, Frauen über ein Diakonat zu beteiligen, warum nicht die Offenheit dafür, verheirateten Männern die Weihe zu ermöglichen?
Marco Politi: Weil Franziskus in einer Kirche lebt und agiert, in der ein untergründiger Bürgerkrieg los ist. Seit Jahren gibt es Kämpfe von Seiten der Leute, die nicht einverstanden sind mit seinem Reformkurs. Das sind nicht nur Bischöfe in Rom oder Kardinäle. Man muss die Kurie nicht so schwarzmalen. Es ist die ganze Weltkirche, die gespalten ist.
Es gab diesmal eine sehr große Opposition gegen den Papst, damit er nicht billige, dass Diakone, die schon eine Familie haben, auch Priester werden. Der Papst hat das Ganze in Gang gesetzt, hat aber dann im letzten Moment gesehen, dass die Opposition zu stark war.
Weber: Und dann war die Angst um die Einheit der Kirche größer als der Reformwille?
Politi: Ein französischer Kardinal sagte mir einmal, am Anfang werden die ersten Jahre ein Honeymoon sein, aber eines Tages wird der Papst vor der Wand stehen. Und in diesem Moment stand er vor der Wand, mit dem Rücken zur Wand. Die Opposition war so stark, das war nicht nur die lautstarke Opposition, die man kennt von Kardinal Burke aus Amerika oder Kardinal Müller hier in Deutschland.
Es war auch eine untergründige Opposition von Leuten, die fast nie sprechen, aber im letzten Moment - zum Beispiel wie der ehemalige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Kardinal Ruini - gesagt haben: Wir hoffen und beten, dass der Papst diesen neuen Schritt nicht tut. Es gab wahrscheinlich in der Weltkirche nicht eine Zweidrittelmehrheit, um die Priesterweihe der verheirateten Männer zu billigen.
Angst vor einer Protestantisierung
Weber: Man entnimmt Ihrem Buch, dass es viel Opposition gegen Franziskus gibt, aber ist diese eine theologisch begründete? Sind das Leute, die sich einfach eine Kirche nicht vorstellen können, in der Frauen Diakonin sind? Oder geht es da auch um ganz andere Interessen? Geht es darum, gewisse Seilschaften zu behalten und nicht darin gestört zu werden, vielleicht auch – das ist ja die These von Frédéric Martel - Homosexualität weiter zu vertuschen und zu erreichen, dass nicht an Missbrauchsskandalen gerührt wird? Geht es auch um wirtschaftliche Interessen? Was steckt alles dahinter?
Politi: Es steckt viel mehr dahinter als nur theologische Probleme. Es steckt zum Beispiel die Angst einer großen Mitte der Kirchenhierarchie dahinter, die Angst vor einer Protestantisierung der Kirche hat, und davor, dass das Traditionsbild der Kirche verlassen wird.
Papst Franziskus hat sich schon durchgesetzt, als er gesagt hat, die wiederverheirateten Geschiedenen können die Kommunion haben. Damals gab es keine Mehrheit in der Familiensynode, um diesen Schritt zu tun, und der Papst hat sich durchgesetzt - aber er hat gesehen, dass es von diesem Moment an eine Eskalation eines Delegitimierungsprozesses gegen ihn gab.
So etwas gab es in den letzten 100 Jahren nie in der katholischen Kirche - mit solch einer Wucht. Es gab Petitionen, es gab Appelle, es gab Manifeste, es gab Kardinäle, die haben geschrieben und seine Autorität infrage gestellt. Es gab neue Schritte von Intellektuellen, die sagen: Er ist häretisch, er ist ein Götzenanbeter. Also sowas hat es nicht gegeben.
Aber andererseits gibt es auch eine politisch-soziale Opposition, die seine soziale Botschaft überhaupt nicht billigt. Es sind ganz besonders ökonomische Kreise in den Vereinigten Staaten, die nicht einverstanden sind, wenn er von Ungleichheit spricht, wenn er von Raubtierkapitalismus spricht, wenn er von einer neuen Art von Sklaventum spricht - oder wenn er zum Beispiel in seiner grünen Enzyklika eine Verbindung herstellt zwischen dem Naturverfall und den sozialen Effekten, den sozialen Auswirkungen, die auch einen Verfall der Gesellschaft bringen.
Klerikaler Nationalismus in Ungarn und Polen
Weber: Ein Punkt, bei dem er sich viele Feinde gemacht hat, ist die Migrationspolitik. Da ist vor allem der frühere Innenminister in Italien, Matteo Salvini, sein Gegenspieler. Aber auch hier scheint Franziskus doch ein bisschen vorsichtiger geworden zu sein. Er sagt jetzt durchaus, dass man bei der Aufnahme von Geflüchteten schauen muss, dass ein Land seine Identität nicht verliert. Hat er sich da ein wenig zurückgenommen, weil er diese ganzen Proteste abbekommen hat?
Politi: Also, der Papst spricht fast jede Woche über die Migration. Man muss sehen, dass das Weltbild sich geändert hat. Mit Trump gibt es einen Präsidenten, der absolut gegen eine multilaterale Politik ist, einen Präsidenten, der das UNO-Abkommen für die Migranten nicht unterschrieben hat, einen Präsidenten, der sich vom Klimaabkommen zurückgezogen hat.
Gleichzeitig gibt es jetzt in Osteuropa zum Beispiel einen klerikalen Nationalismus, in Ungarn, in Polen. In Polen gab es vor ein paar Jahren einen Rosenkranztag, an dem eine Million Polen an den Grenzen beteten, damit es keine Invasion gegen die polnische Identität vonseiten der Muslime und Atheisten gäbe.
In Italien, mit diesem politischen Leader Salvini von der Lega, ist es das erste Mal in der italienischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, dass es einen politischen Leader gibt, der auf Kollisionskurs mit dem Papst steht und der sich andauernd an die ultrakonservativen Christen wendet, der immer mit dem Rosenkranz oder mit der Krippe zu Massenveranstaltungen kommt oder spricht "Gott beschütze die Madonna, beschütze den Westen".
Die ganze Situation hat sich geändert, und es gibt jetzt eine Situation, in der der Papst eingekesselt ist. Wenn Franziskus seine Reisen macht, trifft er immer seine jesuitischen Mitbrüder, und in Madagaskar im September hat er gesagt: Der Papst ist belagert, betet, dass er befreit wird.
Weber: Aber wer kann ihn befreien? Er sich selbst?
Politi: Was man als Beobachter sieht, ist eigentlich, dass das katholische Volk sehr passiv ist. Die Opposition ist lautstark, die Opposition ist aggressiv, vor allem auf den Websites. Aber die Gläubigen, die mit seiner Reformpolitik einverstanden sind, die geben nur Beifall, aber sie mobilisieren sich nicht.
In der Nachkonzilszeit, nach dem Zweiten Vatikanum gab es eine große Debatte zwischen Konservativen und Reformfreudigen. Da sah man aber: Für die Reformen sprangen Kardinäle, Bischöfe öffentlich ein - Arbeitsgruppen, Zeitschriften, Initiativen von Gläubigen, das alles fehlt heute. Ein italienischer Bischof hat gesagt: Es ist so wie im Stadion - alle sitzen und spenden Beifall, aber unten auf dem grünen Rasen gibt es nur einen Spieler, und der ist ganz allein.
Weber: Liegt das vielleicht auch daran, dass Franziskus doch nicht genug Reformen schafft für die Menschen, die das von ihm erwarten? Wenden sich viele mittlerweile enttäuscht ab?
Politi: Viele haben sich abgewendet in den letzten 30 bis 35 Jahren während der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt. Es ist schon so, dass viele, die heute einverstanden sind mit Franziskus, schon außerhalb des organisierten Kirchenlebens sind, und viele, die geblieben sind, sind gegen die Reformen. Man muss es sich auch so vorstellen: Ein Papst ist allmächtig, wenn er konservativ ist. Wenn er reformfreudig ist, dann muss er mit Kämpfen innerhalb der Kirche rechnen.
Beim Thema Missbrauch hat sich der Papst verrannt
Weber: Sie beschreiben auch sehr deutlich, wie die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale ein ganz schwieriges Thema ist, auch für Franziskus, und wie er sich da zumindest in Chile auch ziemlich verrannt hat, weil er sehr lange an einem des Missbrauchs beschuldigten Bischof festgehalten hat. Hat er das Thema unterschätzt? Hat er sich da einfach vertan und nicht verstanden, wie wichtig es für viele Menschen ist, dass das richtig aufgearbeitet wird?
Politi: Er hat sich total in Chile verrannt, weil man ihn belogen hat, weil die Hierarchie in Chile ihn falsch informiert hat. Auch ein Mitglied des Kardinalsrats, also des Kronrats von neun Kardinälen, hat ihn überhaupt nicht aufgeklärt. Aber das zeigt, wie der Kampf innerhalb der Kirche ist. Franziskus hat sehr streng angefangen mit einer Null-Toleranz-Politik, indem er wenige Monate nach seiner Wahl schon einen Nuntius in Santo Domingo, den Polen Wesolowski, abberufen hat. Er hat ihm einen Prozess gemacht, ihn in den Laienstand versetzt wegen Missbrauch und hat ihm auch einen Strafprozess machen wollen, aber dann ist Monsignore Wesolowski an einem Herzinfarkt gestorben.
Franziskus hat auch andere Bischöfe entfernt, aber zum ersten Mal ist er auf starke Opposition in der Kurie gestoßen, als er eine Kommission eingerichtet hat für den Schutz der Minderjährigen. In dieser Kommission waren auch zwei Opfer dabei, ein Brite und eine irische Dame, und diese Kommission sollte Richtlinien ausarbeiten - die sind dann einfach auf der Website geblieben, und nichts ist passiert.
Nur nach den Skandalen im Jahre 2018, nach dem Chile-Skandal oder nach den großen Affären in den Vereinigten Staaten mit dem Report von der Grand Jury of Pennsylvania, hat Franziskus verstanden, dass er wieder einen starken Schritt nach vorne machen musste.
In der letzten Zeit hat es zwei wichtige Dokumente gegeben, die jetzt Gesetz sind. Erstens hat man das päpstliche Geheimnis abgeschafft. Deswegen können die Opfer jetzt alles wissen - wie ist die Prozedur, was passiert - und vor allem sind die Archive offen. Heute können auch die weltlichen Gerichte in die Archive des Vatikans oder der Diözesen Einlass haben.
Der zweite Punkt: Endlich hat der Papst jetzt vor ein paar Monaten ein Dokument erlassen zur Prozedur, um einem Bischof, der verheimlicht oder der selbst schuldig ist, den Prozess zu machen. Also nach vielen Zickzack-Momenten, nachdem es Sabotage gegen ihn gegeben hat, hat der Papst jetzt einen starken Kurs angefangen.
Keine Geldwäsche mehr in der Vatikanbank
Weber: Und sind das Dinge, diese Dokumente und Richtlinien, die bleiben werden? Denn ansonsten schreiben Sie auch viel von wichtigen Gesten, die Franziskus macht: Er nimmt Flüchtlinge in seinem Flugzeug mit und lässt sie sich im Vatikan niederlassen, er trifft ein homosexuelles Paar und so weiter, aber das sind ja alles Dinge, die er sehr persönlich macht und die diese Kirche nicht unbedingt über sein Pontifikat hinaus prägen werden, oder?
Politi: Ja, das ist das Problem. Seine Gesten können vorübergehend sein. Deswegen haben auch verschiedene katholische Intellektuelle, die pro Reformen sind, gesagt: Franziskus kann ein Frühling sein, und dann kommt der Frost wieder - aber diese Dokumente, das bleibt.
Es gibt gewisse Reformen, die der Papst schon gemacht hat, und die bleiben. Zum Beispiel die ganze Bankreform. Es ist nicht mehr möglich, Mafiagelder in der Vatikanbank zu waschen. Es ist nicht mehr möglich, dass Korruptionsgelder für italienische Parteien durch die Vatikanbank fließen. Es gibt heute eine Zusammenarbeit zwischen der Vatikanbank und den weltlichen Behörden, wenn man einem Finanzdelikt auf die Spur kommen will. Aber all dies ist immer das Produkt eines Kampfes.
Weber: Wenn wir nach Deutschland schauen, da beschäftigt nun viele Katholiken die Frage, wie es eigentlich weitergeht, nachdem Kardinal Marx angekündigt hat, die Bischofskonferenz nicht mehr leiten zu wollen. In Rom wird Marx wichtig bleiben. Er gehört dort zum Kardinalsgremium um Papst Franziskus und ist Koordinator des vatikanischen Wirtschaftsrats, daher auch mit solchen Finanzfragen befasst. Wird trotzdem sein Einfluss als Kardinal auch in Rom geringer sein, wenn er nicht mehr Vorsitzender der deutschen Bischöfe ist?
Politi: Kardinal Marx ist einer der, sagen wir so, energischsten Anhänger von Franziskus und Verfechter der Reformen. Meiner Meinung nach ist er sozusagen jetzt zurückgetreten als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, weil er gemerkt hat, dass nach der Amazonassynode die Kirche in eine Art Stagnationsphase gekommen ist.
Und er möchte nicht die nächsten zwei, drei Jahre verbringen, indem er den Papst verteidigt, wo er nicht einverstanden ist. Denn, wie gesagt, ist Papst Franziskus jetzt in einer sehr schwierigen Situation. Er ist im Inneren und im Äußeren bekämpft, und er wird nun sehen müssen, was für harte Monate vor ihm stehen, um weiterzugehen. Franziskus ist völlig überzeugt, dass er weitermachen muss, aber es wird sehr schwierig sein.
Theologischer und ökonomischer Konservatismus in den USA
Weber: Er spricht auch nicht mehr so deutlich von Rücktritt, wie er das früher schon manchmal getan hat. Er scheint also noch zum Kämpfen bereit zu sein. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass seine Kräfte nicht ewig reichen werden. Kommt denn dann mit dem nächsten Konklave im Grunde die Entscheidung, ob sein Denken weitergeführt wird oder ob da alles zurück in den Frost geht, wie Sie vorhin sagten?
Politi: Ganz klar ist, dass sich schon Kräfte organisieren, um auf das nächste Konklave Einfluss zu üben. Es sind vor allem Kräfte in Nordamerika, wo es einen theologischen und einen ökonomischen Konservatismus gibt. Ganz klar gesagt: Es gibt heute Kräfte in der katholischen Kirche, die einen Franziskus II. nicht haben wollen.
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