Veddel - Die vergessene Insel
Vor 100 Jahren war der Stadtteil Veddel Gartenkolonie mit Auswandererhallen, in denen zeitweise 5000 Menschen auf ihre Abfahrt warteten, dann Arbeitersiedlung und heute Einwandererviertel. Ein Problemviertel mit Armut, Arbeitslosigkeit und fehlender Infrastruktur. Ein Museum mit "Erlebnisausstellung" zur Geschichte der Auswanderung soll nun den Ort attraktiv für Einwohner und Besucher machen.
Bis vor kurzem zog es selbst Hamburger nicht in diesen Elbvorort. Geschweige denn Touristen. Seit dem 4. Juli 2007 ist das anders. Jetzt gehen allein am Müggenburger Zollhafen fünfmal am Tag ganze Besucher-Scharen an Land. Menschen aus der ganzen Welt. Mit 150.000 pro Jahr wird insgesamt gerechnet. Die meisten kommen mit einer Barkasse der neu installierten "Maritimen Circle Line". Die legt alle zwei Stunden bei den St. Pauli - Landungsbrücken ab, fährt quer durch den Hamburger Hafen auf die andere Seite der Elbe, und nimmt dann Kurs auf den ebenfalls neuen Anleger im Stadtteil Veddel. Ziel: Ein lange fast vergessener Schauplatz hanseatischer Geschichte.
"Im Hafen gibt es eine Stadt für sich."
Berichtet ein Journalist von seiner Hamburg-Reise im Jahr 1906:
"… In der Hauptstraße streiften slawische Männer in Stiefeln und bunten Mützen, kleine eckig gerundete Frauen in Röcken, die vor Farbenfreude schrieen, in Scharen umher ... 5000 Menschen an einem Tag ... eine Masse von Völkerwanderung, Rastlosigkeit, Enttäuschung, Hoffnung ... Man könnte dieses Städtchen, in welchem baumbebordete Straßen, Plätze, Kirchen liegen, eine Stadt der Sehnsucht nennen. Denn es sind die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika-Linie."
Eine Erfindung von Albert Ballin, dem Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie. Mit dem Bau dieser Massenquartiere für Menschen in Not hat er sich und seine Reederei steinreich gemacht. Ab 1901 erhielten in den wie Kasernen angeordneten Unterkünften zunächst 1000, ein paar Jahre später 5000 Menschen täglich Kost - auch koschere - und Logis. Außerdem: medizinische, kulturelle und geistliche Versorgung. Natürlich nur derjenige, der seine Schiffspassage für die Atlantik-Überquerung bei der Hamburger Reederei gebucht hatte.
Für neun Millionen Euro, Geld vom Hamburger Senat und Sponsoren wie der Norddeutschen Affinerie, wurden drei der damals über 30 sogenannten Pavillons von einem Marketing-Unternehmen, der Leisure-Work-Group, nun originalgetreu rekonstruiert und - dem Erfinder zu Ehren - "BallinStadt" getauft. Am 4. Juli 2007 war die Eröffnung. Ein Museum soll der Neubau nicht sein. Den Betreiber geht es um "Edutainement". Eine "Maritime Erlebniswelt" sollte hier entstehen. Ein "Ort, der Geschichten erzählt".
Es waren vor allem Polen, Russen, Rumänen, darunter viele Juden, die es vor gut 100 Jahren auf die Veddel verschlagen hatte. Für kurze Zeit jedenfalls. Denn sie wollten weiter, nach Übersee, ins gelobte Land "Amerika". Weg aus dem Elend in ihrer Heimat. Endlich Arbeit und genug zu essen. Vor allem keine Angst mehr vor religiöser und politischer Verfolgung. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges machten fast zwei Millionen Menschen auf der Veddel Zwischenstation. In den Auswandererhallen warteten sie auf ihre Überfahrt – tagelang einkaserniert und abgeschottet von der Bevölkerung. Eine Schutzmaßnahme: Um ansteckende Krankheiten von den Hamburgern fernzuhalten, aber auch - aufrührerische Ideen aus dem revolutionären Russland. Außerdem wollte man ihnen den Anblick dieser Ärmsten der Armen ersparen. Vor allem den des "jüdischen Pöbels" - woran besonders den reichen und assimilierten Hamburger Juden gelegen war. Viele gute Gründe also für Albert Ballin, seine Auswandererhallen vor den Toren der Stadt zu bauen. Damals – weitab vom Zentrum. Heute – mit der S-Bahn – nur ein Katzensprung.
Ab Hamburg Hauptbahnhof geht es erst quer durch ein tristes Büro- und Gewerbeviertel, dann über Industrie-Kanäle, die Mündung eines kleinen Flusses, zwei Hafenbecken, und gleich danach - auf die andere Seite der Norder- Elbe. Durch die Eisenkonstruktion der Freihafenbrücke: Rechts – der Blick auf die gerade entstehende Hafen-City, auf Kaianlagen. Schuppen und Schiffe. Dahinter: Die Skyline von Hamburg.
Gerade mal sieben Minuten dauert die Fahrt und - man ist im Stadtteil Veddel. Der Name - vermutlich abgeleitet von dem alten Wort für "Weideland". Heute ist hier der größte Teil - Industriegebiet: Hafenbetriebe, Speditionen, Sitz vor allem von Europas größter Kupferhütte, der Norddeutschen Affinerie, der NA. Gleich daneben: Das schmale, dicht bebaute Wohnquartier aus den 20er Jahren. Damals - Siedlung für Hafen- und Werftarbeiter. Heute – Einwandererviertel. Knapp 5000 Menschen – über die Hälfte Türken, Albaner, Ex-Jugoslawen und West-Afrikaner – leben in den inzwischen denkmalgeschützten roten Backsteinbauten: Abgeschottet nach allen Seiten. Links die Fern- und S-Bahn-Trassen, rechts die Nord-Süd- Autobahn, im Norden die Elbe, im Süden ein alter Bahndamm und noch eine Autobahn.
"Also, als ich das erste Mal zur NA kam, als Praktikant, ... da war ich ziemlich entsetzt, muss ich ganz ehrlich sagen."
Erinnert sich Werner Marnette, Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie. Anfangs hat er auf der Veddel auch gewohnt:
"Das heißt, ich war hautnah mit den Problemen dieses Stadtteils verbunden. Und musste damals auch erkennen, dass es gar nicht so einfach war, akzeptiert zu werden, wenn man sagte, man wohnt auf der Veddel."
Auch Francine Lammar, Leiterin des Vereins "Veddel aktiv", war zunächst geradezu geschockt:
"Ich hatte vorher in Altona und Eimsbüttel gearbeitet und bin jeden Tag an diesem Stadtteil vorbeigefahren in der S-Bahn und hatte den Eindruck: Das ist das Ende der Welt."
... jetzt ist hier der Mittelpunkt ihrer Arbeit. Im Auftrag vom Bezirksamt Hamburg-Mitte kümmert sie sich um die Entwicklung dieses Stadtteils. Seit acht Jahren inzwischen. Und in dieser Zeit – so Francine Lammar – sind es hier immer mehr geworden, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind.
"Das ist einer der ärmsten, ich glaub sogar der ärmste Stadtteil Hamburgs, der Stadtteil mit den meisten Arbeitslosengeld-II-Beziehern.
Je stärker dieser Stadtteil mit Migranten sich bevölkerte, ... um so mehr sind Deutsche weggezogen, und die Deutschen, die blieben, sind häufig Unterschicht-Familien, auch sehr stark verarmte Unterschicht-Familien.
Und das ist so ein Thema, das mir ein bisschen quer im Magen liegt ... Wir haben sehr viel mehr Kulturangebote, wir haben eine neue Stadtteil-Kantine, an allen Orten und Enden sind Projekte entstanden, aber das hat nicht wirklich etwas an der Armut der Menschen verändert."
Die Veddel - ein Problemviertel ganz besonderer Art. Man ist hier auf einer Insel, ans Wasser kommt man aber nicht heran. Und nirgendwo in Hamburg gibt es ein so buntes Völkergemisch. Außerdem: So wenig Kriminalität, so wenige Rentner und so viele Kinder und Jugendliche. Für die hiesige Grund- und Hauptschule eine tägliche Herausforderung, denn 90 Prozent der Schüler stammen aus Ausländer-Familien. Viele mit deutschem Pass, aber – wenig Deutsch-Kenntnissen. Das will Werner Marnette, von der NA, der Norddeutschen Affinerie – unbedingt ändern.
"... deshalb macht die NA ja auch sehr intensiv mit beim Migrationsbeirat der Senatorin, wir müssen die Eltern dieser Kinder davon überzeugen, wie wichtig es ist, das die Kinder integriert werden, dass sie Deutsch lernen usw. Ja, der Stadtteil muss ein anderes Gesicht bekommen."
Darum bemühen sich – neben dem Verein "Veddel aktiv" - eine ganze Reihe privater Initiativen sowie verschiedene Unternehmen vor Ort. Vor allem die Norddeutsche Affinerie. Ihr Vorstandsvorsitzender, Werner Marnette, ist in einem ähnlich schwierigen Stadtteil aufgewachsen wie der Veddel, in Köln-Nippes, und fühlt sich deshalb, aber auch wegen seiner bald 30-jährigen Tätigkeit bei der NA, mit diesem Viertel eng verbunden. Und bei den Bewohner herrscht inzwischen weniger Feindseligkeit gegenüber dem Unternehmen. Marnette erklärt, warum:
"... weil wir uns in den letzten 20 Jahren eine ganz andere Vision als Unternehmen auch gegeben haben. Wir haben gesagt, derjenige, der in unserem Umfeld lebt, der muss auch wissen, was wir tun. Das war ein Umdenken des alten industriellen Denkschemas. ... wir haben die Bevölkerung hier rein geholt, und wir haben vor allen Dingen unseren Beitrag geleistet zum Beispiel in der Ausbildung ... dass wir Schüler hier in unser Unternehmen rein holen wie wir es zum Beispiel mit dem Praxis-Lerntag machen, die auch erkennen, dass es Spaß macht, in einem Industrieunternehmen, was hier am Standort ansässig ist, zu arbeiten. Wir kooperieren sehr intensiv mit der Schule, mit dem Lehrkörper der Schule. Wissen Sie, die Verzahnung wird es letzten Endes bringen."
Tatsächlich hat auch der Senat inzwischen ein Auge auf die Veddel geworfen. Denn Hamburg soll wachsen, noch über die HafenCity hinaus, und dann Weltstadt am Wasser werden. Die Losung dazu heißt: "Sprung über die Elbe". Und so erlebten die lange vernachlässigten Gebiete am südlichen Elbufer plötzlich ein Comeback. Auf der Veddel werden jetzt subventionierte, preiswerte Wohnungen für Studenten angeboten. Der Zuzug von akademischem Nachwuchs, möglichst deutschem, soll helfen, die Elb-Insel von ihrem schlechten Image zu befreien. 350 Studenten haben inzwischen den "Sprung" gewagt. Aber auch Gewerbetreibende werden gefördert. So kam eines Tages auch Arno Walter über die Elbe und eröffnete hier seine "Tapitas-Bar".
"Ich hab ja ein Jahr gebraucht, um mich vorzubereiten. Um überhaupt zu sagen, ich fass mal den Mut, weil Freunde und Bekannte haben alle gesagt, Du spinnst, Du bist ein Verrückter. Aber ich hab hier natürlich ein paar Leute kennengelernt, die hier einiges bewegen, einiges anschieben. Auch das ist so ein Faktor, wo ich gesagt habe, okay, da springst Du mal mit rein."
...und seit zweieinhalb Jahren gibt es bei Arno Walter ab 17.00 Uhr nun Getränke aller Art und gelegentlich auch eine Ausstellung. Nicht viele seiner Kollegen waren so risikofreudig.
"Leider nicht. Das war in der Vorbereitung ein bisschen anders. Es gab ja viele Bewerber, Interessenten, weil Veddel war im Fokus, und ich kann nur sagen, von denen sind nicht so viele hängen geblieben."
Kein Wunder, denn das Geld ist hier knapp und richtig guter Umsatz nur schwer zu machen. Schon so mancher musste aufgeben. Es fehlt an Kaufkraft und an Kundschaft – ein Problem. Udo Springborn, bis 2003 als Ortsamtsleiter vom Bezirksamt Hamburg-Mitte, auch für die Veddel zuständig, erinnert sich:
"Also, einmal in der Woche ist da immer noch mal ein Fischhändler gewesen ... und ein Blumenhändler ist da mal gewesen, aber die haben gesagt, also für die Gebühr, die wir im Prinzip als Platzgebühr zahlen müssen, haben wir keine Lust, uns für 50 Euro den ganzen Tag da hinzustellen. Die Veddel hatte ja auch mal einen der besten Wochenmärkte. Heute findet da überhaupt kein Markt mehr statt. Die Sparkasse ist weg, also der Anlaufpunkt ist auch nicht mehr da. Die Post ist ja inzwischen weg. Das sind alles Dinge, die nicht gerade dazu beigetragen haben, den Stadtteil zu beleben."
Geschweige denn, das Leben der Bewohner zu erleichtern. Das betrifft auch die Deutsche Bahn. Obwohl in diesem Bezirk - laut Statistik - außergewöhnlich viele Familien mit kleinen Kindern leben, gibt es am S-Bahnhof, jedenfalls am nördlichen Ausgang, der direkt ins Wohnviertel führt, immer noch keine Rolltreppe eingebaut, geschweige denn einen Fahrstuhl. Trotz vieler Proteste und Eingaben, auch von Francine Lammar.
"Seit ich auf der Veddel bin, bemühen sich unzählige Leute eine Rolltreppe auf die Veddel zu bekommen. Und das bis zum heutigen Tag nicht geklappt, weil das eine Bundesbahn- oder Deutsche Bahn-Angelegenheit ist ... Also, es werden auch in einem Jahr noch Kinderwagen rauf und runter getragen werden müssen, und Behinderte werden auf dem Hosenboden runter rutschen, Bilder die ich schier unerträglich finde."
Doch die Deutsche Bahn kann auch anders. Anfang Juli 2007 – pünktlich zur Museumseröffnung – hat sie dem Stadtteil ein neues Namensschild spendiert. Jetzt heißt die S-Bahn-Station nicht mehr VEDDEL, sondern VEDDEL-BALLINSTADT. Damit jeder Tourist gleich weiß: Hier geht es zu den ehemaligen Auswandererhallen,
Die als multi-mediales Event - unter der Bezeichnung "Auswandererwelt Hamburg"- jetzt wiederauferstanden sind. Direkt gegenüber dem Wohnbezirk, der Welt der Einwanderer. Um sie für die Geschichte ihren Schicksalsgenossen vor 100 Jahren zu interessieren, hat der Verein "Veddel aktiv" für das diesjährige Stadtteilfest unter anderem eine historische Barkassenfahrt rund um das Eiland organisiert und kostenlos dazu eingeladen. Auch - die wissenschaftliche Leiterin der "BallinStadt, Ursula Wöst.
Die Historikerin will informieren über Ballin und die Auswanderer damals, aber auch Reklame machen. Denn die "BallinStadt" bekommt vom Staat keine finanzielle Unterstützung. Sie ist ein privates Wirtschaftsunternehmen, das selbst dafür sorgen muss, dass die Kasse stimmt.
Gesorgt hat der Neubau immerhin dafür, dass all der Schutt und das Gerümpel auf dem Areal beim Müggenburger Zollhafen endlich verschwunden sind. Jetzt gibt es am Wasser eine Promenade und eine Grünanlage, die sich zu einem Park entwickeln soll. Ein Fortschritt, findet Francine Lammar.
"Also, es wird schon als Aufwertung erfahren. Aber man kann nicht sagen, dass das ein Projekt ist, das so als Veddeler Projekt wahrgenommen wird. Es ist einfach auch ein Tourismus-Projekt der Stadt Hamburg und als solches wird es, glaub ich, gesehen."
Von vielen hier wird es überhaupt nicht gesehen. Oder - mit Absicht übersehen. Einige zucken nur mit den Schultern. Andere sind enttäuscht. Aber auch so etwas wie Resignation ist spürbar, zum Beispiel bei Özden Kaya. Er ist Türke, seit 18 Jahren auf der Veddel, zurzeit arbeitslos.
"Was ändert sich dadurch für uns, dass wir dort, vielleicht eine Auswandererhalle oder Auswanderermuseum haben? Auch wenn es einmalige Museum sein soll, was haben wir davon? Aber Sie können gerne ja durch die Veddel durchlaufen und eine Umfrage machen, dann werden Sie auch enttäuscht, was die Leute, dass die Leute überhaupt kein Interesse daran haben, dass überhaupt viele nicht wissen, was dort geschieht. Sie werden auch erfahren, dass das nicht wahrgenommen wird, weil – es gab keine Informationen."
Und so treffen auf der Veddel inzwischen zwei Welten aufeinander. Da sind einmal die Besucher der "BallinStadt", einige von ihnen extra aus dem Ausland, vor allem aus Amerika angereist, anscheinend also gut betucht. Und dann die teils arbeitslosen, teils schlecht verdienenden Bewohner. Sie kommen nur zu einem abendlichen Spaziergang in die Grünanlagen vor dem Museum. Die Ausstellung gesehen hat bisher kaum einer von ihnen, berichtet Francine Lammar.
"Gut, es gibt auch keine freien Eintritte, was ich mir so ein bisschen gewünscht hatte für Bewohner der Veddel. Es gibt reduzierte Eintritte, die, glaube ich, zwei, drei Euro billiger sind. Für viele ist auch das immer noch teuer statt neun Euro sechs Euro fünfzig zu bezahlen. Und für Kinder auch ein paar Euro. Da hätte sicher ein Stück mehr Großzügigkeit auch gut getan."
Inzwischen sind die Betreiber aber ernsthaft darum bemüht, die Welt der Einwanderer und die "Auswandererwelt" der "BallinStadt" enger zueinander zubringen. Erster Schritt: Die Verschönerung des Weges von der einen auf die andere Seite. Vielleicht lockt das ja Touristen zu einem Spaziergang durch die Siedlung. Arno Walter, Chef der Tapitas-Bar, hat einige hier bereits gesehen.
"Man merkt es einfach an dieser Fußgängerzeile hier: Hotel – da oben die BallinStadt. Dieses Hotel hat ne gute Auslastung und die Menschen oder die Touristen wandern dann hier durch und genau von denen bleiben natürlich auch welche hängen. Was es insgesamt für die Veddel bisher gebracht hat, würde ich auch mal sagen: Noch nicht so viel."
Vor allem kaum Arbeitsplätze, in dem Museum zum Beispiel gerade mal eine Handvoll. Und ob sich durch die "BallinStadt" hier mit der Zeit so etwas wie Tourismus entwickelt, der dann das ganze Viertel belebt und spürbar verändert - Werner Marnette glaubt nicht daran. Er meint, dafür müsse viel mehr getan werden.
"Wir müssen vor allen Dingen an die sozialen Wurzeln ran. Ich glaube, nur durch ein Leuchtturmprojekt wie Bstadt oder da mal ne Baumaßnahme wird sich nichts Wesentliches ändern. Hier muss ne Bereitschaft stattfinden, wirklich die Menschen, die hier leben, auch viel stärker zu integrieren. Wir müssen aus dem vergessenen Zeitalter der Veddel endlich raus."
Wo sonst Autos parken, zwischen Schule und Sportanlage, hatte auch in diesem Jahr der Verein "Veddel aktiv" zu seiner traditionellen Sommerfeier eingeladen. Diesmal allerdings war das Stadtteilfest auch Teil des sogenannten "IBA Kunst & Kultur Sommers", Auftakt zur Internationalen Bau-Ausstellung, die 2013, zugleich mit der Internationalen Gartenschau, auf den Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel stattfinden sollen. Für Hamburgs südliche Randgebiete eine einmalige Chance. Die Vorbereitungsphase läuft bereits auf vollen Touren und mancherlei kühne Pläne und Visionen liegen auf dem Tisch. Projekte auch für den Tag, an dem die Freihafen-Begrenzung wegfällt und man auf der Elbinsel Veddel auch ans Wasser kommt. Aber der Bestand an Sozialwohnungen wird erhalten bleiben, versichert der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte. Für ihn gibt es jedoch überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Veddel gute Zeiten bevorstehen. Wenn die HafenCity fertig ist – so Markus Schreiber – geht es los.
"... und dann wird es einfach in Randlage zur HafenCity und am Wasser, als Stadtteil am Wasser, kaum zu verhindern sein, dass es ne positive Zukunft hat."
Und die sieht seiner Meinung nach so aus:
"Von der Innenstadt wächst die HafenCity an die Veddel ran. Dann gibt’s ne Randlage zur HafenCity und wenn man dann eine Verknüpfung hat, dann wächst sozusagen die Innenstadt bis dahin, und ist dann die HafenCity für die Normal-Verdiener. In der HafenCity eher die Betuchteren und Wohlhabenderen und eben in Randlage der HafenCity die – in Anführungszeichen – Normalverdiener."
Der ehemalige Ortsamtsvorsitzende der Veddel, Udo Springborn, hat jedoch gewisse Bedenken.
"Das sind alles so Dinge, wo man sich fragt, na ja ... Zumindest, was die Realisierungszeiträume betrifft, werde ich die wahrscheinlich nicht mehr erleben. Und ich will 100 werden."
"Im Hafen gibt es eine Stadt für sich."
Berichtet ein Journalist von seiner Hamburg-Reise im Jahr 1906:
"… In der Hauptstraße streiften slawische Männer in Stiefeln und bunten Mützen, kleine eckig gerundete Frauen in Röcken, die vor Farbenfreude schrieen, in Scharen umher ... 5000 Menschen an einem Tag ... eine Masse von Völkerwanderung, Rastlosigkeit, Enttäuschung, Hoffnung ... Man könnte dieses Städtchen, in welchem baumbebordete Straßen, Plätze, Kirchen liegen, eine Stadt der Sehnsucht nennen. Denn es sind die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika-Linie."
Eine Erfindung von Albert Ballin, dem Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie. Mit dem Bau dieser Massenquartiere für Menschen in Not hat er sich und seine Reederei steinreich gemacht. Ab 1901 erhielten in den wie Kasernen angeordneten Unterkünften zunächst 1000, ein paar Jahre später 5000 Menschen täglich Kost - auch koschere - und Logis. Außerdem: medizinische, kulturelle und geistliche Versorgung. Natürlich nur derjenige, der seine Schiffspassage für die Atlantik-Überquerung bei der Hamburger Reederei gebucht hatte.
Für neun Millionen Euro, Geld vom Hamburger Senat und Sponsoren wie der Norddeutschen Affinerie, wurden drei der damals über 30 sogenannten Pavillons von einem Marketing-Unternehmen, der Leisure-Work-Group, nun originalgetreu rekonstruiert und - dem Erfinder zu Ehren - "BallinStadt" getauft. Am 4. Juli 2007 war die Eröffnung. Ein Museum soll der Neubau nicht sein. Den Betreiber geht es um "Edutainement". Eine "Maritime Erlebniswelt" sollte hier entstehen. Ein "Ort, der Geschichten erzählt".
Es waren vor allem Polen, Russen, Rumänen, darunter viele Juden, die es vor gut 100 Jahren auf die Veddel verschlagen hatte. Für kurze Zeit jedenfalls. Denn sie wollten weiter, nach Übersee, ins gelobte Land "Amerika". Weg aus dem Elend in ihrer Heimat. Endlich Arbeit und genug zu essen. Vor allem keine Angst mehr vor religiöser und politischer Verfolgung. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges machten fast zwei Millionen Menschen auf der Veddel Zwischenstation. In den Auswandererhallen warteten sie auf ihre Überfahrt – tagelang einkaserniert und abgeschottet von der Bevölkerung. Eine Schutzmaßnahme: Um ansteckende Krankheiten von den Hamburgern fernzuhalten, aber auch - aufrührerische Ideen aus dem revolutionären Russland. Außerdem wollte man ihnen den Anblick dieser Ärmsten der Armen ersparen. Vor allem den des "jüdischen Pöbels" - woran besonders den reichen und assimilierten Hamburger Juden gelegen war. Viele gute Gründe also für Albert Ballin, seine Auswandererhallen vor den Toren der Stadt zu bauen. Damals – weitab vom Zentrum. Heute – mit der S-Bahn – nur ein Katzensprung.
Ab Hamburg Hauptbahnhof geht es erst quer durch ein tristes Büro- und Gewerbeviertel, dann über Industrie-Kanäle, die Mündung eines kleinen Flusses, zwei Hafenbecken, und gleich danach - auf die andere Seite der Norder- Elbe. Durch die Eisenkonstruktion der Freihafenbrücke: Rechts – der Blick auf die gerade entstehende Hafen-City, auf Kaianlagen. Schuppen und Schiffe. Dahinter: Die Skyline von Hamburg.
Gerade mal sieben Minuten dauert die Fahrt und - man ist im Stadtteil Veddel. Der Name - vermutlich abgeleitet von dem alten Wort für "Weideland". Heute ist hier der größte Teil - Industriegebiet: Hafenbetriebe, Speditionen, Sitz vor allem von Europas größter Kupferhütte, der Norddeutschen Affinerie, der NA. Gleich daneben: Das schmale, dicht bebaute Wohnquartier aus den 20er Jahren. Damals - Siedlung für Hafen- und Werftarbeiter. Heute – Einwandererviertel. Knapp 5000 Menschen – über die Hälfte Türken, Albaner, Ex-Jugoslawen und West-Afrikaner – leben in den inzwischen denkmalgeschützten roten Backsteinbauten: Abgeschottet nach allen Seiten. Links die Fern- und S-Bahn-Trassen, rechts die Nord-Süd- Autobahn, im Norden die Elbe, im Süden ein alter Bahndamm und noch eine Autobahn.
"Also, als ich das erste Mal zur NA kam, als Praktikant, ... da war ich ziemlich entsetzt, muss ich ganz ehrlich sagen."
Erinnert sich Werner Marnette, Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie. Anfangs hat er auf der Veddel auch gewohnt:
"Das heißt, ich war hautnah mit den Problemen dieses Stadtteils verbunden. Und musste damals auch erkennen, dass es gar nicht so einfach war, akzeptiert zu werden, wenn man sagte, man wohnt auf der Veddel."
Auch Francine Lammar, Leiterin des Vereins "Veddel aktiv", war zunächst geradezu geschockt:
"Ich hatte vorher in Altona und Eimsbüttel gearbeitet und bin jeden Tag an diesem Stadtteil vorbeigefahren in der S-Bahn und hatte den Eindruck: Das ist das Ende der Welt."
... jetzt ist hier der Mittelpunkt ihrer Arbeit. Im Auftrag vom Bezirksamt Hamburg-Mitte kümmert sie sich um die Entwicklung dieses Stadtteils. Seit acht Jahren inzwischen. Und in dieser Zeit – so Francine Lammar – sind es hier immer mehr geworden, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind.
"Das ist einer der ärmsten, ich glaub sogar der ärmste Stadtteil Hamburgs, der Stadtteil mit den meisten Arbeitslosengeld-II-Beziehern.
Je stärker dieser Stadtteil mit Migranten sich bevölkerte, ... um so mehr sind Deutsche weggezogen, und die Deutschen, die blieben, sind häufig Unterschicht-Familien, auch sehr stark verarmte Unterschicht-Familien.
Und das ist so ein Thema, das mir ein bisschen quer im Magen liegt ... Wir haben sehr viel mehr Kulturangebote, wir haben eine neue Stadtteil-Kantine, an allen Orten und Enden sind Projekte entstanden, aber das hat nicht wirklich etwas an der Armut der Menschen verändert."
Die Veddel - ein Problemviertel ganz besonderer Art. Man ist hier auf einer Insel, ans Wasser kommt man aber nicht heran. Und nirgendwo in Hamburg gibt es ein so buntes Völkergemisch. Außerdem: So wenig Kriminalität, so wenige Rentner und so viele Kinder und Jugendliche. Für die hiesige Grund- und Hauptschule eine tägliche Herausforderung, denn 90 Prozent der Schüler stammen aus Ausländer-Familien. Viele mit deutschem Pass, aber – wenig Deutsch-Kenntnissen. Das will Werner Marnette, von der NA, der Norddeutschen Affinerie – unbedingt ändern.
"... deshalb macht die NA ja auch sehr intensiv mit beim Migrationsbeirat der Senatorin, wir müssen die Eltern dieser Kinder davon überzeugen, wie wichtig es ist, das die Kinder integriert werden, dass sie Deutsch lernen usw. Ja, der Stadtteil muss ein anderes Gesicht bekommen."
Darum bemühen sich – neben dem Verein "Veddel aktiv" - eine ganze Reihe privater Initiativen sowie verschiedene Unternehmen vor Ort. Vor allem die Norddeutsche Affinerie. Ihr Vorstandsvorsitzender, Werner Marnette, ist in einem ähnlich schwierigen Stadtteil aufgewachsen wie der Veddel, in Köln-Nippes, und fühlt sich deshalb, aber auch wegen seiner bald 30-jährigen Tätigkeit bei der NA, mit diesem Viertel eng verbunden. Und bei den Bewohner herrscht inzwischen weniger Feindseligkeit gegenüber dem Unternehmen. Marnette erklärt, warum:
"... weil wir uns in den letzten 20 Jahren eine ganz andere Vision als Unternehmen auch gegeben haben. Wir haben gesagt, derjenige, der in unserem Umfeld lebt, der muss auch wissen, was wir tun. Das war ein Umdenken des alten industriellen Denkschemas. ... wir haben die Bevölkerung hier rein geholt, und wir haben vor allen Dingen unseren Beitrag geleistet zum Beispiel in der Ausbildung ... dass wir Schüler hier in unser Unternehmen rein holen wie wir es zum Beispiel mit dem Praxis-Lerntag machen, die auch erkennen, dass es Spaß macht, in einem Industrieunternehmen, was hier am Standort ansässig ist, zu arbeiten. Wir kooperieren sehr intensiv mit der Schule, mit dem Lehrkörper der Schule. Wissen Sie, die Verzahnung wird es letzten Endes bringen."
Tatsächlich hat auch der Senat inzwischen ein Auge auf die Veddel geworfen. Denn Hamburg soll wachsen, noch über die HafenCity hinaus, und dann Weltstadt am Wasser werden. Die Losung dazu heißt: "Sprung über die Elbe". Und so erlebten die lange vernachlässigten Gebiete am südlichen Elbufer plötzlich ein Comeback. Auf der Veddel werden jetzt subventionierte, preiswerte Wohnungen für Studenten angeboten. Der Zuzug von akademischem Nachwuchs, möglichst deutschem, soll helfen, die Elb-Insel von ihrem schlechten Image zu befreien. 350 Studenten haben inzwischen den "Sprung" gewagt. Aber auch Gewerbetreibende werden gefördert. So kam eines Tages auch Arno Walter über die Elbe und eröffnete hier seine "Tapitas-Bar".
"Ich hab ja ein Jahr gebraucht, um mich vorzubereiten. Um überhaupt zu sagen, ich fass mal den Mut, weil Freunde und Bekannte haben alle gesagt, Du spinnst, Du bist ein Verrückter. Aber ich hab hier natürlich ein paar Leute kennengelernt, die hier einiges bewegen, einiges anschieben. Auch das ist so ein Faktor, wo ich gesagt habe, okay, da springst Du mal mit rein."
...und seit zweieinhalb Jahren gibt es bei Arno Walter ab 17.00 Uhr nun Getränke aller Art und gelegentlich auch eine Ausstellung. Nicht viele seiner Kollegen waren so risikofreudig.
"Leider nicht. Das war in der Vorbereitung ein bisschen anders. Es gab ja viele Bewerber, Interessenten, weil Veddel war im Fokus, und ich kann nur sagen, von denen sind nicht so viele hängen geblieben."
Kein Wunder, denn das Geld ist hier knapp und richtig guter Umsatz nur schwer zu machen. Schon so mancher musste aufgeben. Es fehlt an Kaufkraft und an Kundschaft – ein Problem. Udo Springborn, bis 2003 als Ortsamtsleiter vom Bezirksamt Hamburg-Mitte, auch für die Veddel zuständig, erinnert sich:
"Also, einmal in der Woche ist da immer noch mal ein Fischhändler gewesen ... und ein Blumenhändler ist da mal gewesen, aber die haben gesagt, also für die Gebühr, die wir im Prinzip als Platzgebühr zahlen müssen, haben wir keine Lust, uns für 50 Euro den ganzen Tag da hinzustellen. Die Veddel hatte ja auch mal einen der besten Wochenmärkte. Heute findet da überhaupt kein Markt mehr statt. Die Sparkasse ist weg, also der Anlaufpunkt ist auch nicht mehr da. Die Post ist ja inzwischen weg. Das sind alles Dinge, die nicht gerade dazu beigetragen haben, den Stadtteil zu beleben."
Geschweige denn, das Leben der Bewohner zu erleichtern. Das betrifft auch die Deutsche Bahn. Obwohl in diesem Bezirk - laut Statistik - außergewöhnlich viele Familien mit kleinen Kindern leben, gibt es am S-Bahnhof, jedenfalls am nördlichen Ausgang, der direkt ins Wohnviertel führt, immer noch keine Rolltreppe eingebaut, geschweige denn einen Fahrstuhl. Trotz vieler Proteste und Eingaben, auch von Francine Lammar.
"Seit ich auf der Veddel bin, bemühen sich unzählige Leute eine Rolltreppe auf die Veddel zu bekommen. Und das bis zum heutigen Tag nicht geklappt, weil das eine Bundesbahn- oder Deutsche Bahn-Angelegenheit ist ... Also, es werden auch in einem Jahr noch Kinderwagen rauf und runter getragen werden müssen, und Behinderte werden auf dem Hosenboden runter rutschen, Bilder die ich schier unerträglich finde."
Doch die Deutsche Bahn kann auch anders. Anfang Juli 2007 – pünktlich zur Museumseröffnung – hat sie dem Stadtteil ein neues Namensschild spendiert. Jetzt heißt die S-Bahn-Station nicht mehr VEDDEL, sondern VEDDEL-BALLINSTADT. Damit jeder Tourist gleich weiß: Hier geht es zu den ehemaligen Auswandererhallen,
Die als multi-mediales Event - unter der Bezeichnung "Auswandererwelt Hamburg"- jetzt wiederauferstanden sind. Direkt gegenüber dem Wohnbezirk, der Welt der Einwanderer. Um sie für die Geschichte ihren Schicksalsgenossen vor 100 Jahren zu interessieren, hat der Verein "Veddel aktiv" für das diesjährige Stadtteilfest unter anderem eine historische Barkassenfahrt rund um das Eiland organisiert und kostenlos dazu eingeladen. Auch - die wissenschaftliche Leiterin der "BallinStadt, Ursula Wöst.
Die Historikerin will informieren über Ballin und die Auswanderer damals, aber auch Reklame machen. Denn die "BallinStadt" bekommt vom Staat keine finanzielle Unterstützung. Sie ist ein privates Wirtschaftsunternehmen, das selbst dafür sorgen muss, dass die Kasse stimmt.
Gesorgt hat der Neubau immerhin dafür, dass all der Schutt und das Gerümpel auf dem Areal beim Müggenburger Zollhafen endlich verschwunden sind. Jetzt gibt es am Wasser eine Promenade und eine Grünanlage, die sich zu einem Park entwickeln soll. Ein Fortschritt, findet Francine Lammar.
"Also, es wird schon als Aufwertung erfahren. Aber man kann nicht sagen, dass das ein Projekt ist, das so als Veddeler Projekt wahrgenommen wird. Es ist einfach auch ein Tourismus-Projekt der Stadt Hamburg und als solches wird es, glaub ich, gesehen."
Von vielen hier wird es überhaupt nicht gesehen. Oder - mit Absicht übersehen. Einige zucken nur mit den Schultern. Andere sind enttäuscht. Aber auch so etwas wie Resignation ist spürbar, zum Beispiel bei Özden Kaya. Er ist Türke, seit 18 Jahren auf der Veddel, zurzeit arbeitslos.
"Was ändert sich dadurch für uns, dass wir dort, vielleicht eine Auswandererhalle oder Auswanderermuseum haben? Auch wenn es einmalige Museum sein soll, was haben wir davon? Aber Sie können gerne ja durch die Veddel durchlaufen und eine Umfrage machen, dann werden Sie auch enttäuscht, was die Leute, dass die Leute überhaupt kein Interesse daran haben, dass überhaupt viele nicht wissen, was dort geschieht. Sie werden auch erfahren, dass das nicht wahrgenommen wird, weil – es gab keine Informationen."
Und so treffen auf der Veddel inzwischen zwei Welten aufeinander. Da sind einmal die Besucher der "BallinStadt", einige von ihnen extra aus dem Ausland, vor allem aus Amerika angereist, anscheinend also gut betucht. Und dann die teils arbeitslosen, teils schlecht verdienenden Bewohner. Sie kommen nur zu einem abendlichen Spaziergang in die Grünanlagen vor dem Museum. Die Ausstellung gesehen hat bisher kaum einer von ihnen, berichtet Francine Lammar.
"Gut, es gibt auch keine freien Eintritte, was ich mir so ein bisschen gewünscht hatte für Bewohner der Veddel. Es gibt reduzierte Eintritte, die, glaube ich, zwei, drei Euro billiger sind. Für viele ist auch das immer noch teuer statt neun Euro sechs Euro fünfzig zu bezahlen. Und für Kinder auch ein paar Euro. Da hätte sicher ein Stück mehr Großzügigkeit auch gut getan."
Inzwischen sind die Betreiber aber ernsthaft darum bemüht, die Welt der Einwanderer und die "Auswandererwelt" der "BallinStadt" enger zueinander zubringen. Erster Schritt: Die Verschönerung des Weges von der einen auf die andere Seite. Vielleicht lockt das ja Touristen zu einem Spaziergang durch die Siedlung. Arno Walter, Chef der Tapitas-Bar, hat einige hier bereits gesehen.
"Man merkt es einfach an dieser Fußgängerzeile hier: Hotel – da oben die BallinStadt. Dieses Hotel hat ne gute Auslastung und die Menschen oder die Touristen wandern dann hier durch und genau von denen bleiben natürlich auch welche hängen. Was es insgesamt für die Veddel bisher gebracht hat, würde ich auch mal sagen: Noch nicht so viel."
Vor allem kaum Arbeitsplätze, in dem Museum zum Beispiel gerade mal eine Handvoll. Und ob sich durch die "BallinStadt" hier mit der Zeit so etwas wie Tourismus entwickelt, der dann das ganze Viertel belebt und spürbar verändert - Werner Marnette glaubt nicht daran. Er meint, dafür müsse viel mehr getan werden.
"Wir müssen vor allen Dingen an die sozialen Wurzeln ran. Ich glaube, nur durch ein Leuchtturmprojekt wie Bstadt oder da mal ne Baumaßnahme wird sich nichts Wesentliches ändern. Hier muss ne Bereitschaft stattfinden, wirklich die Menschen, die hier leben, auch viel stärker zu integrieren. Wir müssen aus dem vergessenen Zeitalter der Veddel endlich raus."
Wo sonst Autos parken, zwischen Schule und Sportanlage, hatte auch in diesem Jahr der Verein "Veddel aktiv" zu seiner traditionellen Sommerfeier eingeladen. Diesmal allerdings war das Stadtteilfest auch Teil des sogenannten "IBA Kunst & Kultur Sommers", Auftakt zur Internationalen Bau-Ausstellung, die 2013, zugleich mit der Internationalen Gartenschau, auf den Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel stattfinden sollen. Für Hamburgs südliche Randgebiete eine einmalige Chance. Die Vorbereitungsphase läuft bereits auf vollen Touren und mancherlei kühne Pläne und Visionen liegen auf dem Tisch. Projekte auch für den Tag, an dem die Freihafen-Begrenzung wegfällt und man auf der Elbinsel Veddel auch ans Wasser kommt. Aber der Bestand an Sozialwohnungen wird erhalten bleiben, versichert der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte. Für ihn gibt es jedoch überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Veddel gute Zeiten bevorstehen. Wenn die HafenCity fertig ist – so Markus Schreiber – geht es los.
"... und dann wird es einfach in Randlage zur HafenCity und am Wasser, als Stadtteil am Wasser, kaum zu verhindern sein, dass es ne positive Zukunft hat."
Und die sieht seiner Meinung nach so aus:
"Von der Innenstadt wächst die HafenCity an die Veddel ran. Dann gibt’s ne Randlage zur HafenCity und wenn man dann eine Verknüpfung hat, dann wächst sozusagen die Innenstadt bis dahin, und ist dann die HafenCity für die Normal-Verdiener. In der HafenCity eher die Betuchteren und Wohlhabenderen und eben in Randlage der HafenCity die – in Anführungszeichen – Normalverdiener."
Der ehemalige Ortsamtsvorsitzende der Veddel, Udo Springborn, hat jedoch gewisse Bedenken.
"Das sind alles so Dinge, wo man sich fragt, na ja ... Zumindest, was die Realisierungszeiträume betrifft, werde ich die wahrscheinlich nicht mehr erleben. Und ich will 100 werden."