Filmfestspiele in Venedig
"White Noise" war der Eröffnungsfilm in Venedig © Wilson Webb / Netflix
Viele Hollywood-Stars und eine Rede über den Krieg
09:02 Minuten
Die Eröffnung der Filmfestspiele in Venedig war ein Abend großer Kontraste. Aus dem Kriegsgebiet meldete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video zu Wort, danach lief die Komödie "White Noise" als Eröffnungsfilm.
Die Eröffnung der 79. Filmfestspiele in Venedig begann mit einem überraschenden Auftakt: Per Video war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet. Dieser habe eine eindrucksvolle Rede gehalten, berichtet unser Filmkritiker Patrick Wellinski. Im Publikum waren viele Hollywood-Stars und die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton.
Selenskyj habe, ähnlich wie bei den Filmfestspielen in Cannes, die Geschichte der Ukraine erzählt, die sich gegen den russischen Aggressor wehren müsse, so Wellinski. Als früherer Schauspieler habe der Politiker versucht, an die Tradition des Kinos und des Geschichten-Erzählens anzuknüpfen. "Er hat gesagt, wir alle sprechen doch hier die gleiche Sprache."
Emotionaler "Abspann des Todes"
Nach dem ersten Teil der Rede sei dann eine Einblendung gefolgt, die alle geschockt habe. In einer Art Abspann seien die Namen von ukrainischen Kindern aufgeführt worden, die im letzten halben Jahr im Krieg gestorben seien. "Das war ein Abspann des Todes", so Wellinski. Am Ende stand: "Wird diese Geschichte fortgesetzt?"
Der Kontrast zum Eröffnungsfilm "White Noise" (Weißes Rauschen) hätte dann nicht größer ausfallen können, sagt der Filmkritiker. "Man hat versucht, so schnell wie möglich zum normalen Ablauf zurückzukommen, aber man sah, wenn die Kamera den Saal gezeigt hat, ziemlich betroffene Menschen."
"White Noise" ist eine Komödie, die der New Yorker Regisseur Noah Baumbach nach dem gleichnamigen Roman von Don DeLillo in Szene gesetzt hat. Sie spielt zu Beginn der Achtzigerjahre in einem verschlafenen US-amerikanischen Städtchen.
Trotz der prominenten Besetzung mit US-Schauspieler Adam Driver in der Hauptrolle und anderen Stars ist Wellinski von dem Film enttäuscht. Die College-Satire über einen Professor, der "Hitler-Studien" betreibt, habe ihn etwas ratlos zurückgelassen. Die filmische Umsetzung sei in einer "biederen Komödienhaftigkeit" steckengeblieben.
Sehr viel besser gefallen hat der Film unserer
Filmkritikerin Anke Leweke
. "Es ist ein sehr gegenwärtiger Film geworden, wenn er auch im Outfit der Achtzigerjahre spielt", sagt sie. Der Film sei wunderbar anzusehen. US-Regisseur Baumbach sei ein Spezialist für Familienfilme, auch jetzt gehe es wieder um eine Patchwork-Familie in einer fiktiven Kleinstadt. Wie im Roman werde auch im Film immer wieder der Satz zitiert: "Die Familie ist die Wiege für die Fehlinformationen in der Welt."
Netflix ist mit vier Produktionen präsent
Die Netflix-Produktion ist eine von vier Filmen des Streaming-Dienstes in Venedig. Wellinski sieht diese starke Präsenz kritisch: "Ich glaube, dass hier ein Pakt mit dem Teufel eingegangen worden ist", sagt er. Es könne sein, dass beide Seiten dabei zu hoch gepokert hätten, denn Netflix sei mittlerweile tief in den roten Zahlen und habe angekündigt, teure Prestigeprojekte wie "White Noise" in Zukunft nicht mehr zu produzieren. Damit würden dann in Venedig solche Zugpferde für das Festival fehlen. Vermutlich sei es das letzte Mal, "dass wir eine Netflix-Festspiel-Saison erleben".
Die Filmfestspiele in Venedig werden daneben auch stark von Hollywood-Filmen dominiert. Für die Filmkritiker fehle deshalb oft die Zeit und Aufmerksamkeit, um beispielsweise einen japanischen Film aus einer Nebenreihe oder einen politischen Krimi aus Argentinien zu besprechen. Doch meistens seien es dann gerade diese Filme, die schließlich ausgezeichnet würden, so Wellinski.
Der Science-Fiction-Liebesfilm "Aus meiner Haut" von Regisseur Alex Schaad ist die einzige deutsche Produktion in Venedig und läuft in einer Nebenreihe. Die deutsche Schauspielerin Nina Hoss spielt an der Seite von US-Star Cate Blanchett im Film "Tar". "Das war es auch schon", sagt Wellinski.
Die geringe deutsche Präsenz verwundere, weil prominente Regisseure wie Maria Schrader und Fatih Akin bereits neue Filme fertig hätten. Sie seien aber nicht eingeladen worden. Auch der deutsche Oscar-Kandidat "Im Westen nichts Neues" habe es nicht nach Venedig geschafft - obwohl der Film ebenfalls eine Netflix-Produktion sei.
(gem)