Venezuela

Hoffen auf Vermittler aus der Nachbarschaft

In der venezuelanischen Stadt Altamira ist am 24.02.2014 ein vermummter Demonstrant zu sehen, der einen Schild aus Wellblech trägt und von Qualm umgeben ist.
Bei den Demonstrationen kamen bislang mindestens 13 Personen ums Leben. © picture alliance / dpa / Miguel Gutierrez
Stefan Rinke im Gespräch mit Christopher Ricke |
Seit der ehemalige Präsident Venezuelas Hugo Chavez tot ist, hat sich die Gesellschaft weiter gespalten, sagt Professor Stefan Rinke. Appelle des Papstes seien bisher verhallt, vielleicht könnten andere lateinamerikanische Staaten helfen.
Christopher Ricke: Monatelang hat es gebrodelt, der politische Vulkan ist inzwischen ausgebrochen. In Venezuela, da werden Auseinandersetzungen zwischen Opposition und sozialistischer Regierung immer heftiger. In den vergangenen Tagen hat es zahlreiche Tote und viele Verletzte gegeben. Das Land Venezuela ist politisch gespalten. Die beiden Lager sind annähernd gleich groß, die Sozialisten haben aber die Mehrheit. Ich spreche mit Professor Stefan Rinke vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin – guten Morgen, Herr Rinke!
Stefan Rinke: Guten Morgen!
Ricke: Diese beiden politischen Lager, dieser Graben zwischen diesen beiden Lagern, wie breit ist der?
Rinke: Oh, der ist sicherlich sehr breit. Er hat sich ja auch in den letzten zehn Jahren immer weiter vertieft. Dieser Graben hat zu einer Polarisierung des Landes geführt, die sicherlich nur sehr schwer zu überbrücken ist. Wobei man sich auch vor Augen führen muss, dass die Wahrnehmung von außen, die immer hier schwarz und weiß sieht, auch nicht ganz korrekt ist, denn die beiden Lager sind auch in sich wiederum gespalten und auch dort gibt es unterschiedliche Strömungen, sodass es hier eine sehr heterogene Lage ist, die sich nicht auf einen einheitlichen Nenner bringen lässt. Aber Ihre Ausgangsfrage, um die zu beantworten: Man kann sagen, es ist eine enorme Polarisierung in Venezuela zu verzeichnen.
Chavez' Nachfolger Maduro verfügt scheinbar über weniger Autorität
Ricke: Jetzt hat es ja in den letzten Tagen die Eskalation gegeben mit Toten und Verletzten – was war da der Auslöser?
Rinke: Der Auslöser, das wird man sicherlich dann in Zukunft genauer untersuchen müssen. Man kann sagen, dass eine Radikalisierung und Zuspitzung der Verhältnisse sich abgezeichnet hat seit Hugo Chavez' Tod. Sein Nachfolger Maduro verfügt scheinbar nicht über die Souveränität, die Chaves bei all seiner Umstrittenheit ausgezeichnet hat im Umgang mit der Opposition und im Einsatz der Sicherheitskräfte, des Militärs und so weiter, das hat Chavez ja auch schon gemacht.
Aber er hat das geschickter getan, um eben solche Eskalationen von Gewalt zu verhindern. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, dass sich die wirtschaftliche Notlage, die Krise in Venezuela ja immer weiter zugespitzt hat, sodass der Leidensdruck noch weiter gewachsen ist und die Menschen scheinbar noch stärker bereit sind als zuvor, sich Gefahrensituationen auszusetzen, um auf ihre problematische Lage aufmerksam zu machen und diese zu ändern.
Ricke: Jetzt sucht man nach der Person, der Organisation, der Institution, die es schaffen könnte, die Venezolaner wieder zu einen, damit sie politisch friedlich miteinander umgehen. Der Papst, selbst ein Lateinamerikaner, hat ja Venezuela aufgerufen, sich auf den Weg der nationalen Versöhnung und des Dialogs zu begeben. Venezuela ist ja durch und durch katholisch. Das Wort des Papstes müsste also Gewicht haben. Kann denn die Kirche hier in diesem Konflikt eine konstruktive Rolle übernehmen?
Rinke: Man sollte es hoffen. Aber ich hege daran große Zweifel, und zwar deswegen, weil diese problematische Lage, diese Polarisierung innerhalb Venezuelas ja eine lange Geschichte hat. Das ist nicht erst seit gestern so, das ist auch nicht erst seit Chavez' Tod so, sondern das ist etwas, was sich mittlerweile über Jahrzehnte herauskristallisiert hat. Wenn wir uns die Frage stellen, die Sie gerade gestellt haben, wer, welche Kräfte in der Lage wären, diesen Abgrund zu überbrücken, dann bleibt da eigentlich nur ein großes Fragezeichen. Denn die alten politischen Eliten, die das Land über viele Jahrzehnte im 20. Jahrhundert geführt haben, die waren in den 90er-Jahren so stark desavouiert, dass hier keine vernünftige Politik mehr möglich war.
Das hat es ja auch einem Populisten wie Chavez ja überhaupt erst ermöglicht, an die Macht zu kommen mit seinen grandiosen Versprechungen von Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit. Diese Entwicklung ist nur sehr, sehr schwer, denke ich, auf einen neuen Weg zu bringen. Natürlich wäre die Kirche eine Institution, die, sagen wir mal, in gewisser Hinsicht als über den Dingen stehend auch in Venezuela wahrgenommen wird, aber der Einfluss der katholischen Kirche ist natürlich auch in einem Land wie Venezuela längst nicht mehr so stark, wie das einmal der Fall war, auch wenn der lateinamerikanische Papst natürlich enorme Sympathien auch in Venezuela genießt. Aber man hat ja gesehen, dass der Besuch von Maduro und dem Oppositionsführer letztes Jahr beim Papst kaum irgendwelche Wirkungen gezeitigt haben. Die päpstlichen Ermahnungen, sich zusammenzuraufen und gemeinsam einen Weg des Friedens zu beschreiten, die haben wenig gefruchtet.
Hilfe aus Lateinamerika selbst?
Ricke: Da müssen wir mal auf die politisch relevanten Gruppen drum rum schauen: Das sind einmal die direkten Nachbarn, Brasilien, Kolumbien; da ist natürlich der indirekte, mächtige Nachbar und Venezuela-Gegner USA. Können die was tun?
Rinke: Tja – auch das ist schwierig. Denn wie wir wissen, hat sich ja nun die chavistische Regierung bemüht, eine eigene Stellung innerhalb Amerikas in außenpolitischer Hinsicht zu erreichen, eine Stellung, geradezu eine Führungsrolle der Linken, derjenigen Regierungen, die sich einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts verschrieben haben und sich sehr eng mit Kuba verbandelt. Wir wissen, dass die kubanische Außenpolitik weiterhin auf Konfrontationskurs gerade gegenüber den USA steht, sodass da aus meiner Sicht wenig Hoffnung besteht. Was man vielleicht hoffen kann, ist, dass innerhalb der lateinamerikanischen Staaten Vermittlungsbemühungen Erfolg bringen könnten. Und da glaube ich auch, dass es Anstrengungen in diese Richtung bereits gibt. Das wissen wir ja auch, aber diese könnten noch verstärkt werden. Das ist eigentlich ein Weg, den ich im Moment erkennen kann.
Ricke: Professor Stefan Rinke vom Lateinamerikainstitut der Freien Universität Berlin. Vielen Dank, Herr Rinke!
Rinke: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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