Sie hören eine Wiederholung der Sendung vom 2. Juni 2016.
Germany's First Topmodel
Sie war Deutschlands erstes Supermodel: In den 60er- und 70er-Jahren galt Vera von Lehndorff als schönste Frau überhaupt und war aus der Modewelt nicht wegzudenken. Doch dann erfand sie sich als Künstlerin neu: "Als Model bist du ein Objekt", sagt sie im Gespräch.
Vera von Lehndorff war die Tochter des von den Nazis ermordeten Heinrich Graf von Lehndorff. Nach ihrer Model-Karriere machte sie sich einen Namen als Künstlerin "Veruschka" − mit ihren Körperbemalungen und Camouflage-Fotos kreierte sie gleich ein neues Kunst-Genre.
Model sei sie eigentlich aus "reiner Verzweiflung" geworden, erzählt Vera von Lehndorff. Fasziniert habe sie außerdem die Möglichkeit der Verwandlung:
"Es war eine andere Welt, eine verrücktere Welt, hatte nichts mit der Realität zu tun, und das hat mich total angezogen sofort. Aber sehr schnell habe ich verstanden, dass es überhaupt nicht sehr kreativ ist. Als Model bist du ein Objekt, das eingesetzt wird und benutzt wird."
Vera von Lehndorff stammt aus einem ostpreußischen Adelsgeschlecht. Ihren Vater, Heinrich Graf von Lehndorff beschreibt sie als "Landmenschen", der politisch eher naiv gewesen sei:
"Aber dann hat er ein Erlebnis gehabt, das ihn sofort hat reagieren lassen, weil er gesehen hat, wie Judenkinder an Laternenpfählen erschlagen wurden. Und dann kam er nach Hause und hat zu meiner Mutter gesagt: 'Wir müssen sofort handeln.' Und dann sind sie sofort in den Widerstand gegangen und meine Mutter auch mit. Sie war eingeweiht und sie hat nicht gesagt 'Nein, mach das bitte nicht'. Sie war einverstanden: 'Wir müssen handeln.'"
Ins Kinderheim der SS geschickt
Lehndorffs Vater gehörte schließlich zum engsten Kreis hoher Offiziere, die am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler verübten und scheiterten. Wie andere auch wurde Heinrich von Lehndorff hingerichtet und die gesamte Familie bestraft. Seine Ehefrau kam ins Arbeitslager, die drei Kinder – alles Mädchen – wurden in ein Kinderheim der SS geschickt. Die schwierige Kindheit und Jugend verfolgt Vera von Lehndorff ihr Leben lang.
Trotz ihrer großen Erfolge als Model bekommt sie Depressionen, muss in psychiatrische Einrichtungen und begeht mehrere Selbstmordversuche:
"Jedenfalls war ich dem Tod des Öfteren sehr nah, weil ich ihn mir so gewünscht habe. Es war einfach so furchtbar: Das, was ich innerlich erlebt habe, nicht um mich, sondern nur in mir. Die Welt in mir, die ich mir konstruiert hatte, die war so grausam, dass der Tod eine Erlösung war."
"We have a very interesting girl"
Als man ihr in der Modewelt vorschreiben will, wie sie auszusehen hat, hört sie auf, als normales Model zu arbeiten. Sie erfindet sich selber neu und macht sich einen Namen als Künstlerin, indem sie die Kunstfigur Veruschka erfindet:
"Da habe ich die Idee gehabt. So jetzt weiß ich, wie ich das machen muss: Ich fahre zurück nach New York und dann bin ich eine völlig andere. Ich bin Veruschka, aus der fernen Grenze zwischen Ost- und Westeuropa und habe die Agentur gewechselt, habe meine ganze Gestalt verwandelt. Ja, und die waren zum Teil so begeistert, dass sie sofort das Telefon in die Hand genommen haben, Vogue angerufen haben und gesagt haben: 'We have a very interesting girl – ein sehr interessantes Mädchen, die hier sitzt, ich möchte sie unbedingt fotografieren."
Mit ihren Körperbemalungen und Camouflage-Fotos kreiert sie später ein neues Kunst-Genre, Fotografen wie Helmut Newton reißen sich um sie. Heutzutage arbeitet die inzwischen 78-Jährige als Malerin.