Verantwortung nicht nur für Erfolge, auch für Misserfolge übernehmen

Markus Väth im Gespräch mit Christopher Ricke |
Immer sind es die anderen, die Schuld haben. Was für das Privatleben gilt, das gilt auch im Beruf oder in der Politik. Die Verantwortung selbst übernehmen, nicht abwälzen, rät der Psychologe und Business Coach Markus Väth. Denn nur wer auch Fehler und Versäumnisse eingestehe, könne daraus lernen.
Christopher Ricke: Es gibt Fragen, die sind eindeutig zu beantworten, zum Beispiel: Wer ist schuld? Die Antwort: Die anderen sind schuld. Schuld sind zum Beispiel die Banken, die Politiker, die Griechen, die Vorgängerregierung oder vielleicht auch die Ehefrau. Das ist schon immer so: Man sucht einen Schuldigen, man sucht einen Sündenbock, dem man die Schuld aufladen kann. Der Begriff ist biblisch. Der Hohe Priester machte die Sünden des Volkes Israel öffentlich, übertrug sie auf den Ziegenbock, der wurde dann in die Wüste geschickt. – Ich sprach mit dem Psychologen und Business Coach Markus Väth und ich frug ihn: Ist denn es heilsam, die Schuld immer anderen zu geben?

Markus Väth: Also heilsam ist es ganz sicher nicht, denn indem ich die Schuld von mir wegdrücke, also die Verantwortung von mir wegdrücke, kann ich ja auch nicht in den Heilungsprozess einsteigen. Ich muss ja eigentlich erst die Verantwortung auch auf meiner Seite sehen, bevor ich sagen kann, Moment, das ist dein Teil an der Sache, das ist mein Teil an der Sache und jetzt schauen wir mal, was wir zusammen daraus machen.

Ricke: Aber wir neigen doch dazu, die Schuld lieber den anderen zu geben. Woran liegt das?

Väth: Na ja, es ist schon so ein Mechanismus, dass man sagt, Mensch, wenn es gut läuft, dann war es ich, und wenn es schlecht läuft, dann warst es du. Es gibt das Phänomen des Downward Comparison, so nennen das die Psychologen. Man sagt, na ja, mir geht's vielleicht nicht toll, aber dem anderen geht es ja noch schlechter, und man sucht immer eigentlich so krampfhaft oder verzweifelt teilweise Erklärungsmodelle, wenn etwas schlecht läuft, und man ist wirklich immer dabei zu sagen, mein Gott, die Umstände sind es, oder eben jetzt ganz aktuell die Griechen oder wer auch immer, und man kommt eigentlich als allerletztes auf sich selbst, wobei das deswegen tragisch ist, weil ich kann ja andere Menschen ganz schlecht verändern. Am besten könnte ich mich selbst verändern, aber da braucht es einen gewissen Einsichtsprozess.

Ricke: Das alles passiert ja nicht nur auf der zwischenmenschlichen Ebene, sondern durchaus auch in Politik und Wirtschaft. Was beobachten Sie da?

Väth: Gerade in der Politik ist es ja gerade ein Teil des Definitionsprozesses zu sagen, ich bin gut und der andere ist schlecht, also was die anderen machen, das kann ja nichts werden, der Plan ist schlecht und so weiter. Deswegen haben wir ja auch gerade diese Politikverdrossenheit, weil die Leute sagen, also wenn die sich da gegenseitig schlecht machen, da habe ich doch keine Lust drauf, da sagt mir doch schon der gesunde Menschenverstand, dass das nichts wird. Eigentlich müsste man auch in der Politik oder in der Wirtschaft hergehen und sagen, ich habe die Vorteile oder ich habe das Selbstbewusstsein, nicht nur jetzt Verantwortung zu übernehmen für meine Erfolge, sondern auch für meine Misserfolge. Weil wenn ich das nicht tue, dann kann ich ja auch nicht lernen und dann zeige ich auch nicht, dass ich reife. Dieser Reifeprozess wäre in der Politik das Eingeständnis, dass egal in welcher Partei man sitzt, man nicht alle Antworten auf alle Fragen hat, sondern dass man bestimmte gute Ansätze hat, aber auch bestimmte schlechte Ansätze, und die muss man auch so benennen, zu sagen, hier habe ich einen Fehler gemacht, jawohl, es tut mir leid, ihr seht das so, ich sehe das jetzt auch so, und jetzt können wir weiterreden.

Ricke: Eine solche Reife, eine solche Einsicht setzt ja auch ein gewisses intellektuelles Niveau voraus, das möglicherweise zwar vorhanden ist, sich aber schlechter kommunizieren lässt als einfache Zuweisungen. Ist das vielleicht auch der Grund?

Väth: Es braucht natürlich eine gewisse intellektuelle Einsicht, aber was vielen Leuten in Politik und Wirtschaft oder auch im Privatleben das Genick bricht, ist der eigene Stolz, der im Wege steht. Viele Menschen können einfach ganz schlecht zugeben, dass sie mal Unrecht hatten, oder dass sie einen Fehler gemacht hatten. Es ist eine ganz seltsame Sache. Es erfordert vielleicht nicht nur intellektuelle Einsicht, sondern auch eine gewisse Größe zu sagen, jawohl, ich habe einen Fehler gemacht, ich habe etwas falsch gemacht, jetzt müssen wir sehen, was wir daraus machen.

Das kommt auch deswegen, weil unsere Gesellschaft die Fehlereinsicht ja nicht belohnt. Sie belohnt ja denjenigen, der Erfolg hat, der keine Fehler macht, der perfekt ist, der perfekt im Job ist, der perfekt in der Selbstdarstellung ist. Und in so einem gesellschaftlichen Klima herzugehen zu sagen, ich habe einen Fehler gemacht, das trauen sich natürlich immer weniger Leute.

Ricke: Wird eine solche Auflösung des Konflikts schwieriger, wenn er länger andauert? Ich nehme mal ein ganz langwieriges Beispiel mit viel Schuldzuweisungen, zum Beispiel den Nahost-Konflikt. Dort steht man sich ja seit Jahrzehnten verfeindet gegenüber, erklärt aber dennoch, man will sich aufeinander zubewegen. Ist das aus psychologischer Sicht nach so langer Zeit schwieriger?

Väth: Der Nahost-Konflikt ist natürlich ein ganz, ganz extremes Beispiel, und grundsätzlich ja, es ist schwieriger, je länger dieser Konflikt andauert. Wenn wir es mal eine Nummer kleiner nehmen: In einem Unternehmen, wo sich zwei Mitarbeiter bekriegen oder zwei Abteilungen bekriegen, je länger das andauert, desto mehr gibt es an Verletzungen, desto mehr gibt es an Rechthaberei, desto mehr gibt es vielleicht auch an Mobbing und Beleidigungen. Das bedeutet, die beladen sich gegenseitig wie so ein Konto, wie so ein Bankkonto. Die beladen sich gegenseitig ihr Konto mit schlechten Erlebnissen, mit Beleidigungen und so weiter. Und es ist ein Irrglaube zu sagen, ja, das ist jetzt so, aber jetzt wollen wir alle wieder Freunde sein. Das funktioniert nicht. Man muss erst mal Stopp sagen, man muss diesen Leuten Gelegenheit geben, sich zu besinnen, und dann muss tatsächlich eine Art Heilungsprozess in Gang kommen.

Ricke: Ist es vorstellbar, dass in diesem Prozess alle einen Schritt zurückgehen und sagen, wir suchen jetzt nicht mehr nach Schuldigen, wir suchen jetzt nach Lösungen?

Väth: Letzten Endes muss es so sein, denn wenn sich beide Parteien nicht darüber einig sind zu sagen, wir sind jetzt mal in einer Situation, wo wir zurücktreten müssen, oder es geht gemeinsam in den Abgrund, wenn die beiden Parteien da nicht fähig sind, sich darauf zu einigen, dann gibt es auch keine Konfliktlösung.

Ricke: Der Psychologe und Business Coach Markus Väth. Vielen Dank, Herr Väth.

Väth: Kein Problem. Vielen Dank!

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