Verbände und Politik

Muss Sport politisch sein?

Der brasilianische Hürdenläufer Hugo de Sousa trainiert im Vorfeld der Leichtathletik-WM im chinesischen Nationalstadion in Peking.
Training im Vorfeld der Leichtathletik-WM im chinesischen Nationalstadion in Peking © picture alliance / dpa / Lavandeira Jr
Von Nils Zurawski |
Noch bis Sonntag läuft die Leichtathletik-WM in Peking. Es geht hier um Höchstleistungen und vielleicht auch um Doping, Politik allerdings spielt keine Rolle. Doch um wirklich glaubwürdig zu sein, müsste der Sport sich einmischen, meint der Hamburger Sozialforscher Nils Zurawski.
Passen Sport und Politik zusammen? Die Antwort hängt davon ab, wem man sie stellt und aus welchem Anlass. Häufig heißt es, Sport sei nicht Politik, könne aber durchaus als Botschafter fungieren.
Diese vornehme, gar diplomatische Bescheidenheit will meist unangenehme Aufrufe abwiegeln, die Verbände oder einzelne Sportler mögen sich doch politisch einmischen, aktiv oder symbolisch, sich positionieren, gar einen Wettkampf, ein Land oder eine Organisation boykottieren, beispielsweise um ein Zeichen für Menschenrechte oder gegen Korruption zu setzen.
Sport möchte gern politisch neutral erscheinen. Schließlich will er Menschen und Völker zusammenbringen, lebt aber auch von Aufmerksamkeit und Unterstützung aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Deswegen ist Sport eben immer auch politisch, gern auch als verbandspolitisch verbrämt.
Neutrale Sportpolitik ist oft opportunistisch
Er hat dabei jede Menge Spielraum, den er eifrig zu nutzen versteht und auch gern im Trüben lässt. Häufig ist unklar, welche Rolle Sportler und Funktionäre in bestimmten Diskussionen spielen, welche Interessen sie haben. Irritierend ist es vor allem, dass sich Verbandsvertreter widersprüchlich äußern, je nach Bedarf und Situation ihre Meinung um 180 Grad drehen, am Ende vielleicht weder den Sport noch die Politik im Blick haben, sondern nur noch sich selbst.
Sie agieren opportunistisch – und hätten doch allen Grund für einen aufgeklärten Umgang mit den Politikern und der Politik.
Es ist durchaus sinnvoll, dass Leistungssport wie Breitensport aus öffentlichen Kassen alimentiert werden. Und darum ist es notwendig, dass Verbände zwar rechtfertigen, was sie mit den Geldern anstellen, aber sich darüber hinaus nicht politisch instrumentieren lassen, für sich also Staatsferne reklamieren.
Funktionäre spannen Politiker vor den Karren
Nur gelingt es ihnen nicht. Und sie gehen damit nicht ehrlich und offen um. Denn internationale Turniere, Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele auszutragen, ist überall auf der Welt ein Politikum. Und in diesem Event- und Veranstaltungszirkus spannen sich Politiker und Funktionäre wechselseitig vor den nationalen Karren. Die Distanz verschwimmt, erst recht wenn Sport zum Geschäft wird.
Nicht nur bei den Finanzen, sondern auch beim Regelwerk zeigt sich, ob Verbände wirklich autonom und unabhängig sind. Eigentlich, so meine ich, sollten sie das Problem "Doping" selbst in den Griff bekommen. Es ist fraglich, ob es letztlich sinnvoll ist, einen Sonderstraftatbestand "Doping im Sport" zu schaffen, es also dem Staatswalt zu übertragen, einen fairen Wettbewerb im Leistungssport durchzusetzen, nur weil dieser staatlich gefördert wird.
Einen ganz anderen dunklen Schatten werfen die Korruptionsvorwürfe im Rahmen der vielen Skandale, die mit dem Weltfußballverband FIFA verbunden sind. Sie berühren ohne Zweifel das Strafrecht. Umgekehrt liegt es aber auch an den Verbänden, den Sumpf an Vorteilsnahme und Geschäftemacherei auszutrocknen und ein zweifelsfreies Vergabeverfahren zu garantieren.
Ein emanzipierter Sport handelt ethisch
Und politisch könnten sie sich durchaus positionieren, wenn sie "Menschenrechte", "Umweltschutz" und "Arbeitsbedingungen" zu nachprüfbaren Kriterien machten, Austragungsorte auszuwählen. Die Art, wie sich Funktionäre um Skrupel herumdrücken, ist schon lange zum ethischen Offenbarungseid geworden.
Ein emanzipierter Sport darf sich dagegen wehren, politisch und ideologisch vereinnahmt zu werden. Er muss aber auch seine Staats- und Politikferne unter Beweis stellen, indem er eine Haltung entwickelt, den Sport und seine Ethik in den Mittelpunkt zu stellen, nicht aber das globale Business oder nationalen Größenwahn.
"Unpolitische" Wettkämpfe dürfen nicht länger als eine interessengeleitete Show daherkommen. Nur in diesem Bewusstsein passen Sport und Politik zusammen. Das Umzusetzen ist Aufgabe des Sportes!
Nils Zurawski, geboren 1968, arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Fragen von Überwachung und Sicherheit. 2013 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu Raumwahrnehmung, Überwachung und Weltbildern. Er bloggt unter www.surveillance-studies.org.
Der Sozialforscher Nils Zurawski
Der Sozialforscher Nils Zurawski© Saskia Blatakes
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