Verbrechen an Herero und Nama

Der ignorierte Völkermord

Das Foto wurde von den Herero nach der Ausstellung nach Oganjira mitgenommen. Während des Völkermordes an den Herero und Nama geriet dieses Foto bei Plünderungen in die Hände der Kolonialmacht. Es wurde 1907 in Theodor Leutweins Buch "11 Jahre Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika" veröffentlicht.
Die Gruppe der Herero und Nama auf der Ersten Deutschen Kolonialausstellung 1896 in Berlin. © Bezirksamt Treptow-Köpenick
Von Jürgen Zimmerer |
Zum deutschen Völkermord an den Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts im heutigen Namibia gibt es von der Bundesregierung bis heute keine ernstzunehmende Entschuldigung. Das wäre aber dringend nötig, meint der Historiker Jürgen Zimmerer.
Eigentlich ist die deutsche Gesellschaft mit ihrer Vergangenheitsbewältigung gut gefahren. Die kritische Auseinandersetzung mit den Menschheitsverbrechen des Dritten Reiches ermöglichte ihr den Wiedereintritt in die Staatengemeinschaft. Mittlerweile gehört sie zur Staatsräson der Bundesrepublik.
Warum dann nur tut sich Deutschland so schwer mit der Auseinandersetzung mit dem ersten deutschen Genozid, verübt zwischen 1904 und 1908 im damaligen "Deutsch-Südwestafrika", dem heutigen Namibia? Dort brandschatzten, mordeten und vergewaltigten deutsche Soldaten, ließen Tausende bewusst in der Wüste verdursten, und sperrten Überlebende in Konzentrationslager, so der zeitgenössische Ausdruck, und beuteten sie als Zwangsarbeiter aus. Sie enteigneten das gesamte Land der Herero und Nama und verteilten es an deutsche Siedler.
Bis heute haben Herero und Nama ihr Land nicht zurück. Auch die ersten sogenannten "Rasseverordnungen" der deutschen Geschichte wurden dort erlassen; zum Schutz der "Rassereinheit", wie es hieß.

Der Völkermord ist bis heute nicht offiziell anerkannt

Warum fehlen diese Hinweise auf frühe Extermination und "Rassenpolitik" in allen Festreden – obwohl sie doch zur Vorgeschichte des Dritten Reiches gehören? Warum hat der Bundestag den Völkermord bis heute nicht anerkannt, wie er es im Falle des Völkermordes an den Armeniern durch das Osmanische Reich tat? Warum gibt es kein offizielles Wort der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten dazu?
Sicherlich, es wird seit zwei Jahren mit Namibia verhandelt, aber Chefsache ist das nicht. Viele Handelsdelegationen dürften umfangreicher und hochkarätiger besetzt sein. Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, wie mit Ausgrenzung und Rassismus in der deutschen Geschichte umzugehen ist, wird vermieden.
Dabei wäre gerade das im Moment nötiger denn je, wo völkisch-rassistische Ideen reaktiviert werden, sich Europa abschottet, und dabei ausblendet, dass es seine Bürger waren, die in den letzten 500 Jahren in andere Kontinente einfielen. Dass der sogenannte "Bevölkerungsaustausch", den manche beschwören, in der Vergangenheit von Europäern ausgeführt worden ist, in Amerika, in Australien, aber auch in Afrika. Auch dafür steht der Völkermord an den Herero und Nama.

Keine ernstzunehmende Entschuldigung

Sicherlich, die Frage nach Reparationen, ja der Begriff an sich, ist heikel. Er ist es für die Nachkommen der Opfer wie für die Nachkommen der Täter. Für die Nachkommen der Opfer, da man ausgelöschtes Leben und zerstörte Lebensperspektiven nicht wiedergutmachen kann.
Für die Nachkommen der Täter, weil die deutsche Regierung fürchtet, durch Anerkennung einer Wiedergutmachungspflicht für Morde gerade auch für die während des Zweiten Weltkrieges verübten zahlen zu müssen.
Aber kann es eine ernstzunehmende Entschuldigung geben, ohne dass man versucht, den Nachkommen der Opfer das Leben in Gegenwart und Zukunft zu erleichtern? Eine geschicktere deutsche Verhandlungsführung hätte den Herero und Nama zugleich mit einer präsidialen Entschuldigung ein großes Investitionspaket angeboten.
Stattdessen gab die deutsche Regierung nur scheibchenweise nach, wobei die Erwartungen in Namibia schneller stiegen als die Kompromissbereitschaft Berlins. Diese Erwartungen sind kaum mehr einzufangen. Ein kompletter Neustart ist notwendig, der Umgang mit den Herero und Nama muss Chefsache werden.

Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg und leitet die dortige Forschungsstelle "Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung".




© Michel Dingler//UHH
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