Autor: Michael Reissenberger
Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Ralf Perz:
Sprecherin: Frauke Poolmann
Sprecher: Thomas Holländer und Max-Volkert Martens
Wie Sprachgebrauch in Gesetzen Rechtslücken schafft
32:45 Minuten
Sitzblockaden gehören in den 80ern bei Protesten gegen Atom-Raketen in der BRD mit dazu. Demonstrierende werden damals wegen Gewaltanwendung verurteilt, basierend auf einem Urteil von 1969. Ein Beispiel über die sprachlichen Feinheiten der Strafvorschriften.
"Die Unverständlichkeit der Rechtssprache, sie ist beabsichtigt, das gehört zum Nimbus des Gesetzes. Diese ist kein Fehler, ist sie doch ihrem Wesen nach Herrschaftssprache. Wo kämen die Ministerialbeamten, Richter und Hundertausende Anwälte anderenfalls hin?"
So formulierte vor einem Jahrzehnt mit sicherer Aussicht auf Beifall der unbestritten geistreiche Essayist und einstige Revolutionstourist Hans Magnus Enzensberger.
So formulierte vor einem Jahrzehnt mit sicherer Aussicht auf Beifall der unbestritten geistreiche Essayist und einstige Revolutionstourist Hans Magnus Enzensberger.
Ein literarischer Tiefschlag in die Magengrube der bürgerlichen Juristenkaste, ob ernst gemeint oder vielleicht doch ein bisschen ironisch, ist nicht ganz klar.
Uwe Wesel, Starprofessor der Rechtsgeschichte, propagierte den Grundsatz: "Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus". Er betätigt sich in ausgesprochen lesbaren Büchern als Aufklärer über das Recht und die Juristen. In "Jura für Nichtjuristen", wie eines seiner Werke heißt, beklagt er: Die Juristen deuteten das Recht ideologisch, in "objektiv falschem Bewusstsein", ihre komplizierte Rechtsprache diene der Verhinderung öffentlicher Diskussion und damit demokratischer Kontrolle. Für ihn ist – mal salopp verkürzt – die Sprache der Juristen ein Verbrechen.
Diese Klischeevorstellungen verfangen immer noch in Feuilleton und Theater. Die Sprachwissenschaftler haben eine verständnisvollere Perspektive. So auch die Linguistin Dr. Antje Baumann. Ihre Arbeit im Bundesjustizministerium ist die Sprachprüfung von Gesetzesnovellen aus allen Ressorts, damit diese Texte möglichst verständlich in den Bundestag gehen.
"Das ist auch bekannt, dass Rechtssprache – übrigens auch Amtssprache, dass sie unnötig umständlich ist. Verquast, veraltet, auch ein bisschen gespreizt und hoheitlich, all das kommt mit hinein. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie alt die wirklichen großen Rechtsbücher sind, die Kodifikationen Strafgesetzbuch und Bürgerliches Gesetzbuch sind sehr alt – über 100 Jahre. Wir können es nicht im Ganzen ändern, wir können es immer nur in Teilen ändern. Wir ändern ja nicht bestehende Gesetze, wir bearbeiten ja immer nur Gesetze, manchmal nur eine kleine Regelung, ein Halbsatz, der Austausch von ein, zwei Wörtern im Strafgesetzbuch."
Ein Gesetz kann nicht mit einem Federstrich besser werden
Es bleiben allerdings manche veralteten Begriffe zurück, die sozusagen Perücke tragen:
"Gegen den Sound hätte ich gar nichts, wir müssen nicht über alles in der kurztextartigen Weise der heutigen Zeit uns verständigen. Und an Wörtern wie etwa ‚Leibesfrucht‘ oder ‚Beischlaf‘ hängen eben besondere Bedeutungseinheiten. Sie können nicht zum Beispiel wenn 'Mann' und 'Frau' als Kategorien im Schwanken sind – und das sind sie durch die heutige Entwicklung in jeglicher Hinsicht – dann können sie nicht im Recht so etwas wie, ich sag jetzt mal: 'die eine Person und die andere Person" – ohne jetzt das Geschlecht zu nennen – 'wohnt der anderen bei'. Das können Sie jetzt nicht einfach ersetzen mit durch 'haben Sex miteinander'. Denn es hat andere Folgen, Mitbedeutungen und Voraussetzungen. Und da merken Sie, dass eine einfache Modernisierung nicht greift."
Nur mit einem Federstrich kann man also ein Gesetz nicht leicht oder verständlich oder viel besser als vorher machen, darauf weist Antje Baumann entschieden hin, Eine Steuererklärung auf dem Bierdeckel funktioniere ja auch nicht.
"Und die andere Sache ist, zu wissen, dass der Jurist sagt: Keine Norm ist je allein, das klingt so ein bisschen romantisch. Also keine Norm, keine gesetzliche Regelung hängt allein in der Luft und kann allein verändert werden. Die gesamte Rechtsnorm bildet einen riesengroßen Teppich oder ein riesengroßes Geflecht. Übrigens die Wortbedeutung von Text ´textus` das Gewebe, das Geflecht. Ich kann nicht an einer Stelle ziehen und denken, dass ich nichts bewirkt habe, es wird Folgen haben. Und so müssen wir mit sehr viel Vorsicht und mit sehr vielen Partnern an jede Norm herangehen."
"Gegen den Sound hätte ich gar nichts, wir müssen nicht über alles in der kurztextartigen Weise der heutigen Zeit uns verständigen. Und an Wörtern wie etwa ‚Leibesfrucht‘ oder ‚Beischlaf‘ hängen eben besondere Bedeutungseinheiten. Sie können nicht zum Beispiel wenn 'Mann' und 'Frau' als Kategorien im Schwanken sind – und das sind sie durch die heutige Entwicklung in jeglicher Hinsicht – dann können sie nicht im Recht so etwas wie, ich sag jetzt mal: 'die eine Person und die andere Person" – ohne jetzt das Geschlecht zu nennen – 'wohnt der anderen bei'. Das können Sie jetzt nicht einfach ersetzen mit durch 'haben Sex miteinander'. Denn es hat andere Folgen, Mitbedeutungen und Voraussetzungen. Und da merken Sie, dass eine einfache Modernisierung nicht greift."
Nur mit einem Federstrich kann man also ein Gesetz nicht leicht oder verständlich oder viel besser als vorher machen, darauf weist Antje Baumann entschieden hin, Eine Steuererklärung auf dem Bierdeckel funktioniere ja auch nicht.
"Und die andere Sache ist, zu wissen, dass der Jurist sagt: Keine Norm ist je allein, das klingt so ein bisschen romantisch. Also keine Norm, keine gesetzliche Regelung hängt allein in der Luft und kann allein verändert werden. Die gesamte Rechtsnorm bildet einen riesengroßen Teppich oder ein riesengroßes Geflecht. Übrigens die Wortbedeutung von Text ´textus` das Gewebe, das Geflecht. Ich kann nicht an einer Stelle ziehen und denken, dass ich nichts bewirkt habe, es wird Folgen haben. Und so müssen wir mit sehr viel Vorsicht und mit sehr vielen Partnern an jede Norm herangehen."
Verbrechen und Sprache
Komplexe Wissensgebiete sind nur mit Fachsprachen halbwegs zu durchdringen, gleich, ob es sich um Atomphysik, Zoonosen oder eben die Rechtswissenschaft handelt.
Uwe Wesels Kritik, dass die deutsche Rechtssprache von der Standard- und Schriftsprache der oberen Mittelklasse herkomme und eine Barriere für den weniger privilegierten Bürger sei, trifft ähnlich auf die ebenfalls von der oberen Mittelschicht bestimmte Literatur und Wissenschaft zu, es ist eine Eigenschaft der Hochdeutschen Sprache insgesamt, die kann man nicht einfach auf den Müllhaufen der Sprachgeschichte werfen.
Heutzutage liegt im Übrigen das ganze Rechtsgeschehen für die Bürger näher. Nur noch einen Klick weit entfernt dank der Dolmetscherdienste auf Serviceseiten von Medien, Behörden, Berufsverbänden, Mieter- und Verbrauchervereinen.
Und der Vorwurf an das Juristenkartell, öffentliche Diskussionen über ihre Definitionsmacht zu verhindern? An dieser Stelle lohnt jetzt der genaue Blick auf das Strafrecht. Verbrechen und Sprache, das ist nämlich ein eigenes Kapitel. Wobei im strengen Sinne des Gesetzes nicht nur Verbrechen, sondern alle Delikte, auch die weniger schweren Vergehen und Ordnungswidrigkeiten, dazugezählt werden müssen.
Uwe Wesels Kritik, dass die deutsche Rechtssprache von der Standard- und Schriftsprache der oberen Mittelklasse herkomme und eine Barriere für den weniger privilegierten Bürger sei, trifft ähnlich auf die ebenfalls von der oberen Mittelschicht bestimmte Literatur und Wissenschaft zu, es ist eine Eigenschaft der Hochdeutschen Sprache insgesamt, die kann man nicht einfach auf den Müllhaufen der Sprachgeschichte werfen.
Heutzutage liegt im Übrigen das ganze Rechtsgeschehen für die Bürger näher. Nur noch einen Klick weit entfernt dank der Dolmetscherdienste auf Serviceseiten von Medien, Behörden, Berufsverbänden, Mieter- und Verbrauchervereinen.
Und der Vorwurf an das Juristenkartell, öffentliche Diskussionen über ihre Definitionsmacht zu verhindern? An dieser Stelle lohnt jetzt der genaue Blick auf das Strafrecht. Verbrechen und Sprache, das ist nämlich ein eigenes Kapitel. Wobei im strengen Sinne des Gesetzes nicht nur Verbrechen, sondern alle Delikte, auch die weniger schweren Vergehen und Ordnungswidrigkeiten, dazugezählt werden müssen.
Ohne passenden Straftatbestand auch keine Strafe
Hier gibt es die selten gewürdigte Selbstverpflichtung des Rechtsstaats, die er sich schon vor mehr als 100 Jahren ins Strafgesetzbuch schrieb. Ein sehr spezielles Versprechen an alle Bürger, die vorm Strafrichter stehen. Dessen Gesetzesauslegung im Zweifelsfall für den Angeklagten Haft oder Freiheit bedeutet.
"Die Gerichte dürfen einen Straftatbestand nicht zum Nachteil des Bürgers analog anwenden, das heißt auf Sachverhalte anwenden, die der Wortlaut nicht mehr erfassen kann. Und diese Wortlautgrenze ist etwas, das nicht zugunsten des Gesetzgebers zu ziehen ist, sondern zugunsten des Bürgers. Da hat tatsächlich das Interesse des Bürgers Vorrang vor dem Interesse des Gesetzgebers."
Der Regensburger Professor Tonio Walter beschreibt hier das sogenannte Gesetzlichkeitsprinzip.
Das deutsche Strafgesetzbuch schreibt es in seinem Paragrafen Nr. 1 allen Richtern ins Gewissen:
"Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."
Und das hilft auch schon mal Beschuldigten, die sich auf unsaubere Weise Vorteile verschafft haben. Wie einst dem allzu findigen Mann zu Beginn der Zeit der Elektrifizierung von Privatwohnungen. Er hatte für seine Wohnung am Stromzähler vorbei elektrische Energie kostenfrei abgezapft. Prompt setzte es eine Anklage wegen Diebstahls, die Strafrichter der unteren Instanzen bestraften den Mann. Doch in letzter Instanz, beim damaligen Reichsgericht, sah man näher hin. Professor Tonio Walter zitiert dieses Musterurteil aus der Feder des Reichsgerichts noch aus Kaiserzeiten, bei dem es einen überraschenden Freispruch gab.
"Weil das Reichsgericht, das in letzter Sache zu entscheiden hatte, sagte: Nein, Strom ist keine bewegliche Sache. Und der damalige Diebstahlstatbestand konnte nur die Wegnahme beweglicher Sachen erfassen. Und das Gesetzlichkeitsprinzip verlangt, dass nur ein Verhalten bestraft wird, das der Gesetzeswortlaut noch erfassen kann. Und das hat das Reichsgericht damals für diese Entziehung elektrischer Energie verneint. Und das führte dazu, dass der Gesetzgeber einen neuen Straftatbestand geschaffen hat, Entziehung elektrischer Energie, § 248c."
Die Richter haben damals sehr gewissenhaft nach allgemeinem Sprachverständnis entschieden: Eine bewegliche Sache ist nur ein Gegenstand, den man körperlich greifen kann, doch elektrische Energie fließt durch ein Kabel, ist etwas unsichtbar Körperloses. Das Gesetzlichkeitsprinzip wurde hier in einem öffentlichkeitswirksamen Fall verdeutlicht, ein tragender Grundsatz des Rechtsstaats, der ja im Klassenstaat des Kaiserreichs nur lückenhaft installiert war. Und gegen dieses gradlinige Urteil spricht nicht, dass später auch die Justiz im verbrecherischen NS-Reich so schwere Schuld auf sich lud.
"Die Gerichte dürfen einen Straftatbestand nicht zum Nachteil des Bürgers analog anwenden, das heißt auf Sachverhalte anwenden, die der Wortlaut nicht mehr erfassen kann. Und diese Wortlautgrenze ist etwas, das nicht zugunsten des Gesetzgebers zu ziehen ist, sondern zugunsten des Bürgers. Da hat tatsächlich das Interesse des Bürgers Vorrang vor dem Interesse des Gesetzgebers."
Der Regensburger Professor Tonio Walter beschreibt hier das sogenannte Gesetzlichkeitsprinzip.
Das deutsche Strafgesetzbuch schreibt es in seinem Paragrafen Nr. 1 allen Richtern ins Gewissen:
"Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."
Und das hilft auch schon mal Beschuldigten, die sich auf unsaubere Weise Vorteile verschafft haben. Wie einst dem allzu findigen Mann zu Beginn der Zeit der Elektrifizierung von Privatwohnungen. Er hatte für seine Wohnung am Stromzähler vorbei elektrische Energie kostenfrei abgezapft. Prompt setzte es eine Anklage wegen Diebstahls, die Strafrichter der unteren Instanzen bestraften den Mann. Doch in letzter Instanz, beim damaligen Reichsgericht, sah man näher hin. Professor Tonio Walter zitiert dieses Musterurteil aus der Feder des Reichsgerichts noch aus Kaiserzeiten, bei dem es einen überraschenden Freispruch gab.
"Weil das Reichsgericht, das in letzter Sache zu entscheiden hatte, sagte: Nein, Strom ist keine bewegliche Sache. Und der damalige Diebstahlstatbestand konnte nur die Wegnahme beweglicher Sachen erfassen. Und das Gesetzlichkeitsprinzip verlangt, dass nur ein Verhalten bestraft wird, das der Gesetzeswortlaut noch erfassen kann. Und das hat das Reichsgericht damals für diese Entziehung elektrischer Energie verneint. Und das führte dazu, dass der Gesetzgeber einen neuen Straftatbestand geschaffen hat, Entziehung elektrischer Energie, § 248c."
Die Richter haben damals sehr gewissenhaft nach allgemeinem Sprachverständnis entschieden: Eine bewegliche Sache ist nur ein Gegenstand, den man körperlich greifen kann, doch elektrische Energie fließt durch ein Kabel, ist etwas unsichtbar Körperloses. Das Gesetzlichkeitsprinzip wurde hier in einem öffentlichkeitswirksamen Fall verdeutlicht, ein tragender Grundsatz des Rechtsstaats, der ja im Klassenstaat des Kaiserreichs nur lückenhaft installiert war. Und gegen dieses gradlinige Urteil spricht nicht, dass später auch die Justiz im verbrecherischen NS-Reich so schwere Schuld auf sich lud.
Vor 70 Jahren hat der Parlamentarische Rat auf dieses Juristenversagen im Grundgesetz bewusst reagiert. Dasselbe Gesetzlichkeitsgebot wie im Strafgesetzbuch wurde nunmehr den Gerichten der neuen Demokratie wortwörtlich als unabänderlicher Grundsatz zur Berufspflicht gemacht: Nur sprachlich exakt und inhaltsgewiss zu urteilen heißt auch, rechtlich korrekt zu urteilen.
Der ganz wichtige, oft unterschätzte Nebeneffekt des Gesetzlichkeitsprinzips wird hier sichtbar. Es stärkt die Kommunikation von Gesellschaft, Gerichten und Gesetzgeber über Strafbestimmungen, Rechtssprache und Urteilspraxis. Und es gibt sehr viele Fälle, die zeigen, wie in den vergangenen Jahrzehnten eine sprachkritische Haltung im Dialog der Juristen inzwischen eingeübt wurde, auch dann, wenn das Ergebnis einem Angeklagten mal nicht gefällt.
Der ganz wichtige, oft unterschätzte Nebeneffekt des Gesetzlichkeitsprinzips wird hier sichtbar. Es stärkt die Kommunikation von Gesellschaft, Gerichten und Gesetzgeber über Strafbestimmungen, Rechtssprache und Urteilspraxis. Und es gibt sehr viele Fälle, die zeigen, wie in den vergangenen Jahrzehnten eine sprachkritische Haltung im Dialog der Juristen inzwischen eingeübt wurde, auch dann, wenn das Ergebnis einem Angeklagten mal nicht gefällt.
Kriminelles Verhalten, das rechtens ist
Asche bringt Asche. In vielen deutschen Städten und Gemeinden flog in den vergangenen Jahrzehnten eine üble Praxis auf, als die Krankenkassen kein Sterbegeld mehr zahlten. Daraufhin wurden immer Feuerbestattungen durchgeführt, die weniger kosten als Erdbestattungen. Sie brachte in den vergangenen beiden Jahrzehnten etliche Mitarbeiter von Krematorien vor die Schranken von Strafgerichten, ihr allzu luxuriöser Lebenswandel hatte sie verraten.
So etwa auch den Hamburger Krematoriumsmitarbeiter, der irgendwann auffiel, weil er mit einer Luxuskarosse vorfuhr, um dort seinem Dienst an der Einäscherungsanlage nachzugehen. Er und seine Kollegen harkten regelmäßig die Metallreste aus der Brennkammer und nahmen sie an sich. Störung der Totenruhe in Tateinheit mit Verwahrungsbruch war der Strafvorwurf. Bei Hausdurchsuchungen wurden Zahngold aus Kremierungsrückständen und erhebliche Geldbeträge gefunden, sowie Unterlagen über Verkäufe von Edelmetall. Wenigstens eine Viertelmillion Euro hatte der Mann so nebenbei auf die Seite gebracht. Sein Anwalt berief sich darauf, sein Mandant sei sich keiner Schuld bewusst
"Sogar in der Kantine des Krematoriums hingen Visitenkarten des Goldaufkäufers, und es hingen dort auch die Urteile der Oberlandesgerichte Bamberg und Nürnberg, aus denen sich ergab, dass die Entnahme des Restgoldes kein Diebstahl ist und dass das Zahngold herrenlos ist."
Den juristischen Wendepunkt brachte das Urteil des Bundesgerichtshofs:
"Die strafgesetzlich geschützte Totenruhe werde durch eine unbefugte Wegnahme von Körperteilen oder Totenasche gestört. Auch das Zahngold zähle als Teil der Totenasche als Menschenrest. Auch wenn die Wertgegenstände in der Asche mit dem Tod des Eigentümers herrenlos geworden seien, dürfe ein Angestellter des Krematoriums nicht einfach zugreifen."
Damit widersprach der BGH anderslautenden Urteilen der unteren Gerichte, die nur "pulvrige Rückstände aus pflanzlichem und organischem Material" als "Asche" hatten einordnen wollen. So gebe es der Wortsinn seit hunderten Jahren vor. Doch der Bundesgerichtshof meinte, das sei sprachlich zu eng gefasst:
"Als Asche sei schlicht ein Verbrennungsrückstand gemeint, zu dem auch festere Bestandteile wie Goldzähne oder künstliche Hüftgelenke gehörten. Diese könnten nicht ohne Verletzung der Körperintegrität entfernt werde, gleich ob Erd- oder Feuerbestattung, für die das gleiche gelten müsse."
Man kommt schon ins Grübeln: Metallklumpen als Asche? Ob der BGH wirklich damit das allgemeine Sprachgefühl traf? Der BGH formuliert selbst, dass er sich hier an die "äußerste Wortlautgrenze" herangetastet hat.
So etwa auch den Hamburger Krematoriumsmitarbeiter, der irgendwann auffiel, weil er mit einer Luxuskarosse vorfuhr, um dort seinem Dienst an der Einäscherungsanlage nachzugehen. Er und seine Kollegen harkten regelmäßig die Metallreste aus der Brennkammer und nahmen sie an sich. Störung der Totenruhe in Tateinheit mit Verwahrungsbruch war der Strafvorwurf. Bei Hausdurchsuchungen wurden Zahngold aus Kremierungsrückständen und erhebliche Geldbeträge gefunden, sowie Unterlagen über Verkäufe von Edelmetall. Wenigstens eine Viertelmillion Euro hatte der Mann so nebenbei auf die Seite gebracht. Sein Anwalt berief sich darauf, sein Mandant sei sich keiner Schuld bewusst
"Sogar in der Kantine des Krematoriums hingen Visitenkarten des Goldaufkäufers, und es hingen dort auch die Urteile der Oberlandesgerichte Bamberg und Nürnberg, aus denen sich ergab, dass die Entnahme des Restgoldes kein Diebstahl ist und dass das Zahngold herrenlos ist."
Den juristischen Wendepunkt brachte das Urteil des Bundesgerichtshofs:
"Die strafgesetzlich geschützte Totenruhe werde durch eine unbefugte Wegnahme von Körperteilen oder Totenasche gestört. Auch das Zahngold zähle als Teil der Totenasche als Menschenrest. Auch wenn die Wertgegenstände in der Asche mit dem Tod des Eigentümers herrenlos geworden seien, dürfe ein Angestellter des Krematoriums nicht einfach zugreifen."
Damit widersprach der BGH anderslautenden Urteilen der unteren Gerichte, die nur "pulvrige Rückstände aus pflanzlichem und organischem Material" als "Asche" hatten einordnen wollen. So gebe es der Wortsinn seit hunderten Jahren vor. Doch der Bundesgerichtshof meinte, das sei sprachlich zu eng gefasst:
"Als Asche sei schlicht ein Verbrennungsrückstand gemeint, zu dem auch festere Bestandteile wie Goldzähne oder künstliche Hüftgelenke gehörten. Diese könnten nicht ohne Verletzung der Körperintegrität entfernt werde, gleich ob Erd- oder Feuerbestattung, für die das gleiche gelten müsse."
Man kommt schon ins Grübeln: Metallklumpen als Asche? Ob der BGH wirklich damit das allgemeine Sprachgefühl traf? Der BGH formuliert selbst, dass er sich hier an die "äußerste Wortlautgrenze" herangetastet hat.
Immerhin ist dieses Urteil unter dem Druck des Gesetzlichkeitsgebots auch ein wichtiger Denkanstoß an den Gesetzgeber. Was ist denn zur augenblicklichen Praxis zu sagen, dass die Krematorien heute im eigenen Interesse ihre Angestellten ausdrücklich damit beauftragen, die Verbrennungsrückstände angeblich nach Wertgegenständen "durchzuharken", ehe sie zur Knochenmühle gebracht werden? Ob im privaten Interesse oder im Interesse des Krematoriums geharkt wird: Ist das nicht in beiden Fällen ein Eingriff in die Totenruhe? Und die Krematorien bestimmen heute selbst, welchen karitativen Zwecken die Erträge aus Zahngold und Schmuck zugeführt werden. Wer davon profitiert, wird aber oftmals nicht offengelegt. Der Gesetzgeber sollte sich um diese heiklen Themen kümmern.
Das Geschäft mit dem Straßenverkehrsrecht
Auch wenn Gesetze nicht bis ins Detail gehen, sondern eher wie eine Landkarte nur ungefähr den Weg der Gesetzesauslegung zeigen: Das Straßenverkehrsrecht ist ein gutes Testfeld, um die Wirksamkeit des Gesetzlichkeitsgebots zu studieren. Es ist ein juristisches Massengeschäft, hier sind Millionen Bürger oft auch gut rechtlich orientiert, Verkehrsverbände und Rechtsschutzversicherungen stärken ihnen den Rücken. Also man guckt den Richtern hier genau auf die Finger.
"Stichwort: Trunkenheit im Verkehr
Nach § 316 Strafgesetzbuch wird bestraft, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, wenn er im Alkoholrausch und damit fahruntüchtig ist."
Vielen Autofahrern wurde deshalb auch die Fahrerlaubnis schon dann entzogen, wenn sie sich betrunken vors Steuer gesetzt, den Motor angelassen, aber das Fahrzeug noch nicht in Bewegung gesetzt hatten. Für die Polizeiarbeit war das bequem. Man konnte sich unauffällig auf einem Parkplatz vor der Kneipe postieren und hatte schnell für die Kriminalstatistik ein paar Führerscheininhaber als Gesetzesbrecher eingefangen. Die sahen das wiederum als unliebsame Wegelagerei an.
Diese weit verbreitete Polizei- und Gerichtspraxis stellte dann der Bundesgerichtshof ab. In dem Musterfall hatte sich der fahruntüchtige Mann erst mal ans Steuer gesetzt und den Motor gestartet, war aber nicht losgefahren, sondern hatte sich von seiner Frau dann wohl überreden lassen, das Auto doch stehen zu lassen. Der Motor war dann schon wieder aus, noch ehe die Polizei an die Scheibe klopfte.
Trunkenheit im Verkehr? Die Bundesrichter sahen genauer hin:
"Wenn im Gesetz von 'Fahrzeug führen' die Rede sei, dann habe das in der Umgangssprache laut Duden und anderen Wörterbüchern den Sinn, dass hier ein Auto schon in Bewegung gesetzt wurde. Erst damit trete eine Gefährdung des Straßenverkehrs ein. Hier waren aber die Räder erst gar nicht ins Rollen gebracht worden. Und auch wenn das Drehen des Zündschlüssels als sogenanntes unmittelbares Ansetzen zur Abfahrt angesehen werden könnte, sei das noch nicht strafbar. Das sei bestenfalls eine Art Versuch, kein vollendetes Delikt."
Dazu muss man wissen, dass der Versuch einer Straftat nur dann geahndet werden darf, wenn das ausdrücklich im Strafgesetzbuch so geschrieben steht. Die Bundesrichter wiesen in diesem Fall darauf hin, dass der Gesetzgeber sehr bewusst seine Worte vom "Fahrzeug führen", also bereits Fahren des Fahrzeugs gewählt hatte. Bei der Gesetzesberatung hatte man sich auch ganz ausdrücklich gegen die Strafbarkeit einer nur versuchten Trunkenheitsfahrt entschieden. Damit war der Freispruch klar. Und die Polizei konnte nicht mehr ganz so mühelos Fahrverbote in die Kriminalstatistik schreiben. Das Urteil endete mit der süffisanten Bemerkung:
"Die Polizei erhalte 'nunmehr die Möglichkeit, durch rechtzeitiges Eingreifen Straftaten zu verhindern'."
"Stichwort: Trunkenheit im Verkehr
Nach § 316 Strafgesetzbuch wird bestraft, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, wenn er im Alkoholrausch und damit fahruntüchtig ist."
Vielen Autofahrern wurde deshalb auch die Fahrerlaubnis schon dann entzogen, wenn sie sich betrunken vors Steuer gesetzt, den Motor angelassen, aber das Fahrzeug noch nicht in Bewegung gesetzt hatten. Für die Polizeiarbeit war das bequem. Man konnte sich unauffällig auf einem Parkplatz vor der Kneipe postieren und hatte schnell für die Kriminalstatistik ein paar Führerscheininhaber als Gesetzesbrecher eingefangen. Die sahen das wiederum als unliebsame Wegelagerei an.
Diese weit verbreitete Polizei- und Gerichtspraxis stellte dann der Bundesgerichtshof ab. In dem Musterfall hatte sich der fahruntüchtige Mann erst mal ans Steuer gesetzt und den Motor gestartet, war aber nicht losgefahren, sondern hatte sich von seiner Frau dann wohl überreden lassen, das Auto doch stehen zu lassen. Der Motor war dann schon wieder aus, noch ehe die Polizei an die Scheibe klopfte.
Trunkenheit im Verkehr? Die Bundesrichter sahen genauer hin:
"Wenn im Gesetz von 'Fahrzeug führen' die Rede sei, dann habe das in der Umgangssprache laut Duden und anderen Wörterbüchern den Sinn, dass hier ein Auto schon in Bewegung gesetzt wurde. Erst damit trete eine Gefährdung des Straßenverkehrs ein. Hier waren aber die Räder erst gar nicht ins Rollen gebracht worden. Und auch wenn das Drehen des Zündschlüssels als sogenanntes unmittelbares Ansetzen zur Abfahrt angesehen werden könnte, sei das noch nicht strafbar. Das sei bestenfalls eine Art Versuch, kein vollendetes Delikt."
Dazu muss man wissen, dass der Versuch einer Straftat nur dann geahndet werden darf, wenn das ausdrücklich im Strafgesetzbuch so geschrieben steht. Die Bundesrichter wiesen in diesem Fall darauf hin, dass der Gesetzgeber sehr bewusst seine Worte vom "Fahrzeug führen", also bereits Fahren des Fahrzeugs gewählt hatte. Bei der Gesetzesberatung hatte man sich auch ganz ausdrücklich gegen die Strafbarkeit einer nur versuchten Trunkenheitsfahrt entschieden. Damit war der Freispruch klar. Und die Polizei konnte nicht mehr ganz so mühelos Fahrverbote in die Kriminalstatistik schreiben. Das Urteil endete mit der süffisanten Bemerkung:
"Die Polizei erhalte 'nunmehr die Möglichkeit, durch rechtzeitiges Eingreifen Straftaten zu verhindern'."
Manchmal fällt eine Gesetzlichkeitsüberprüfung auch aus. Aber sie wäre der richtige Hebel, um mal endlich zu klären, wann denn ein Autofahrer "Schrittgeschwindigkeit" eingehalten oder überschritten hat. Je nach Gerichtsbezirken werden mal fünf bis sieben Stundenkilometer, mal 15 oder "deutlich unter 20 km/h" genannt, das schaffen kaum Profis im Gehersport. Diese Unterschiede sind mehr als ärgerlich, da je nach Differenz zwischen gefahrener und erlaubter Geschwindigkeit höchst unterschiedliche Sanktionen drohen. Wie viele unberechtigte Fahrverbote werden aber wohl bis zu einer verbindlichen Klarstellung ausgesprochen? Wie viel überhöhte Bußgelder werden bis dahin kassiert? Entschädigt der Staat den Bürger später für unrechtmäßig angeordnete Fahrverbote, und dürfte der Bürger Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen?
Die Feinheiten der Strafvorschriften
Ein weiteres Beispiel. Wann wird das Entfernen eines Autofahrers vom Unfallort als Unfallflucht gewertet. Durch diese Strafvorschrift soll ja sichergestellt werden, dass ein Unfallgeschädigter den Unfallverursacher benennen und den Hergang des Unfalls nachweisen kann, um später seinen Schadensersatz zu bekommen.
Sogar das Bundesverfassungsgericht sah sich vor zwölf Jahren durch das Gesetzlichkeitsgebot gezwungen, die kleinen Brüder am Bundesgerichtshof in einer speziellen Fallkonstellation zu korrigieren. Im Mittelpunkt stand da ein Autofahrer, der wohl nicht gemerkt hatte, dass seine rasante Fahrt über eine Splitpiste Steinchen aufwirbelte und damit die Karosserie eines überholten Fahrzeugs sozusagen punktierte. Der Fahrer des beschädigten Autos hat den Überholer später bei einer Tankstelle wiedergesehen und angesprochen, doch der stieg in sein Auto und verschwand gleich wieder.
Die Frage war hier: Hatte der Fahrer, der vom Unfall nichts bemerkt hatte, eine nachträgliche Pflicht, die erforderlichen Feststellungen zur Person und zum Hergang der splitterreichen Überholungsfahrt zu ermöglichen. Eine solche gesetzliche Pflicht besteht nämlich für alle, die sich in besonderen Fällen zunächst 'berechtigt' oder 'erlaubt' von einem Unfallort entfernt haben, etwa weil sie einen verletzten Radfahrer schnell ins Krankenhaus bringen oder auch weil sie bei einem Bagatellschaden allzu lange auf die Polizei warten müssen.
Sogar das Bundesverfassungsgericht sah sich vor zwölf Jahren durch das Gesetzlichkeitsgebot gezwungen, die kleinen Brüder am Bundesgerichtshof in einer speziellen Fallkonstellation zu korrigieren. Im Mittelpunkt stand da ein Autofahrer, der wohl nicht gemerkt hatte, dass seine rasante Fahrt über eine Splitpiste Steinchen aufwirbelte und damit die Karosserie eines überholten Fahrzeugs sozusagen punktierte. Der Fahrer des beschädigten Autos hat den Überholer später bei einer Tankstelle wiedergesehen und angesprochen, doch der stieg in sein Auto und verschwand gleich wieder.
Die Frage war hier: Hatte der Fahrer, der vom Unfall nichts bemerkt hatte, eine nachträgliche Pflicht, die erforderlichen Feststellungen zur Person und zum Hergang der splitterreichen Überholungsfahrt zu ermöglichen. Eine solche gesetzliche Pflicht besteht nämlich für alle, die sich in besonderen Fällen zunächst 'berechtigt' oder 'erlaubt' von einem Unfallort entfernt haben, etwa weil sie einen verletzten Radfahrer schnell ins Krankenhaus bringen oder auch weil sie bei einem Bagatellschaden allzu lange auf die Polizei warten müssen.
Dann muss ein Fahrer allerdings, sozusagen zum Ausgleich für diese gesetzliche Ausnahmegenehmigung, nachträglich die nötigen Feststellungen ermöglichen. Aber muss das auch für einen gelten, der vom Unfall gar nichts bemerkt hatte, und der sich deshalb auch nicht in der Pflicht sah, wenn ihn – wie im erwähnten Fall – ein anderer später bei einer Tankstelle anspricht.
Die Verfassungsrichter sagen nein und werfen damit eine jahrzehntealte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um. Man könne schon sprachlich nicht ein 'berechtigtes Entfernen' nach einem Unfall mit 'vorsatzlosem Entfernen', also ohne Kenntnis des Unfallgeschehens gleichsetzen. Wer vom Unfall nichts bemerkt habe, könne dann auch gar nicht erkennen, mit welcher Antwort man sich vielleicht schadet.
Die Verfassungsrichter sagen nein und werfen damit eine jahrzehntealte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um. Man könne schon sprachlich nicht ein 'berechtigtes Entfernen' nach einem Unfall mit 'vorsatzlosem Entfernen', also ohne Kenntnis des Unfallgeschehens gleichsetzen. Wer vom Unfall nichts bemerkt habe, könne dann auch gar nicht erkennen, mit welcher Antwort man sich vielleicht schadet.
Sitzblockade und das Verbot der Nötigung
Im Jahr 1986 gab es vor vielen Kasernen mit Raketenstützpunkten das gleiche Bild: Sitzblockaden in Mutlangen, Heilbronn und Großengstingen.
"Ich darf Sie, bereits wie schon zum wiederholten Male, auffordern, hier die Fahrbahn zu räumen. Ihr Verhalten stellt jetzt eine Nötigung dar im Sinne des Strafgesetzbuches. Und ich fordere Sie jetzt ultimativ zum letzten Mal auf, diese Fahrbahn freizumachen und die Durchfahrt dieser Fahrzeuge zu ermöglichen."
"Wir werden hier weiterhin sitzen bleiben. Sie wissen, wir bleiben gewaltfrei. Wir werden uns nicht wehren, wenn sie uns wegtragen. Und ich hoffe, sie wissen auch, warum wir hier sitzen und respektieren das."
Bürger und Polizisten im harten, doch auch respektvollen Dialog. Verstößt die Sitzblockade gegen das Verbot der Nötigung. Paragraf 240 Strafgesetzbuch?
"Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist."
"Ich darf Sie, bereits wie schon zum wiederholten Male, auffordern, hier die Fahrbahn zu räumen. Ihr Verhalten stellt jetzt eine Nötigung dar im Sinne des Strafgesetzbuches. Und ich fordere Sie jetzt ultimativ zum letzten Mal auf, diese Fahrbahn freizumachen und die Durchfahrt dieser Fahrzeuge zu ermöglichen."
"Wir werden hier weiterhin sitzen bleiben. Sie wissen, wir bleiben gewaltfrei. Wir werden uns nicht wehren, wenn sie uns wegtragen. Und ich hoffe, sie wissen auch, warum wir hier sitzen und respektieren das."
Bürger und Polizisten im harten, doch auch respektvollen Dialog. Verstößt die Sitzblockade gegen das Verbot der Nötigung. Paragraf 240 Strafgesetzbuch?
"Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist."
Für einen Passanten, der die Blockade besichtigt, steht das Urteil schon fest. Kenntnis der Paragrafen kann man ihm nicht absprechen. Er ist Richter von Beruf, aber auch persönlich sah er sich provoziert.
"Sie nehmen das Demonstrationsrecht für sich in Anspruch und damit gleichzeitig eine Straftat zu begehen. Das nehmen Sie in Kauf."
"Wir meinen, dass es kein Verbrechen ist, was wir hier machen."
"Wenn jeder Mensch nur das machen würde, was er jetzt gerade für richtig hält, dann hätten wir überhaupt keine Ordnung mehr."
"Wir machen doch nicht irgendwas, wie setzen uns doch nicht irgendwo hin. Wir wollen doch keine Leute hier belästigen, die harmlose Bürger sind. Hier geht es darum, dass hier Soldaten Atomwaffen bedienen. Hier sind sechs Lance-Raketen, das ist zwölfmal Hiroshima. Ich kann mir nicht einmal Hiroshima vorstellen, geschweige denn zwölfmal."
"Ja, aber schauen Sie her, wenn das jeder Mensch machen würde …"
Weitreichendes Urteil zu Sitzblockaden
Dieser Richter hatte später in seinem Gerichtssaal das Sagen – wie andere seiner Kollegen auch. Tausende Demonstranten, junge und alte, Prominente und Unbekannte wurden wegen Beteiligung an den Sitzblockaden als Nötiger, wegen Gewaltanwendung verurteilt. Meist zu Geldstrafen, mal zehnmal 30 Tagessätze war das Maß. Je nach Einkommen kamen dabei mal 100, mal mehrere tausend Mark heraus.
Man stützte sich hier auf Kernsätze eines Urteils, mit dem der Bundesgerichtshof im Jahre 1969 erstmals den Stab über eine Sitzblockade von Kölner Studenten brach. Das 'Läpple-Urteil' – benannt nach dem damaligen Studentenführer Klaus Läpple, später als erfolgreicher Reiseveranstalter ein wohlbestallter Bürger. Als Vorsitzender des AStA, des Allgemeinen Studentenausschusses der Kölner Universität, und Vorsitzender des Rings christdemokratischer Studenten RCDS hatte er zu einer Sitzdemonstration gegen eine drastische Preiserhöhung der Kölner Verkehrsbetriebe aufgerufen. Die Studenten blockierten den Straßenbahnverkehr an zwei Kreuzungspunkten sitzend und stehend, bis sie von Wasserwerfern und berittener Polizei vertrieben wurden.
Kernsätze des Läpple Urteils:
"Mit Gewalt nötigt, wer psychischen Zwang ausübt, indem er auf den Gleiskörper einer Schienenbahn tritt und dadurch den Wagenführer zum Anhalten veranlasst."
"Dem Grundgesetz lässt sich nicht die Befugnis entnehmen, die Wirkung von Demonstrationen durch Gewaltakte zu erhöhen."
"Die Anerkennung eines solchen Demonstrationsrechts liefe auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinaus, welche mit der auf dem Mehrheitsprinzip fußenden demokratischen Verfassung und mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlechthin unverträglich ist."
Kernsätze, verfasst vom Bundesgerichtshof 1969. Starke, stärkste Worte, die vermuten lassen, hier wehrten sich nicht Studenten gegen höhere Straßenbahnpreise, sondern hier wäre mindestens eine Bürgerkriegsarmee im Anmarsch. Es handelte sich aber um eine Sitzblockade. Weil tausenden Studenten die Fahrpreiserhöhung ein Loch in den Geldbeutel schnitt. Der Straßenbahnfahrer musste anhalten, um die Mitbürger nicht totzufahren. Und eben diese Einwirkung auf das Nervenkostüm des Straßenbahnfahrers wird als gewaltsam gedeutet. Man nannte das unter Strafrechtlern: Vergeistigung oder Entmaterialisierung des Gewaltbegriffs.
Im Klartext: Der Begriff verlor jede feste Substanz. Die Strafjustiz hat im Läpple-Urteil beim Kölner Straßenbahnstreik – und später auch bei den Sitzblockaden vor den Raketenstandorten – das Gesetzlichkeitsgebot missachtet. Das stellte schließlich 25 Jahre später das Bundesverfassungsgericht fest. Es schrieb der Strafjustiz ins Stammbuch:
"Der Begriff der Gewalt werde bei dieser Auslegung nach Art des Läpple-Urteils geradezu entgrenzt. Bei dieser konturlosen Auslegung ließe sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht."
Obrigkeitsstaatliche Richterallüren waren damit spätestens passé. Ein Epochenwandel.
Man stützte sich hier auf Kernsätze eines Urteils, mit dem der Bundesgerichtshof im Jahre 1969 erstmals den Stab über eine Sitzblockade von Kölner Studenten brach. Das 'Läpple-Urteil' – benannt nach dem damaligen Studentenführer Klaus Läpple, später als erfolgreicher Reiseveranstalter ein wohlbestallter Bürger. Als Vorsitzender des AStA, des Allgemeinen Studentenausschusses der Kölner Universität, und Vorsitzender des Rings christdemokratischer Studenten RCDS hatte er zu einer Sitzdemonstration gegen eine drastische Preiserhöhung der Kölner Verkehrsbetriebe aufgerufen. Die Studenten blockierten den Straßenbahnverkehr an zwei Kreuzungspunkten sitzend und stehend, bis sie von Wasserwerfern und berittener Polizei vertrieben wurden.
Kernsätze des Läpple Urteils:
"Mit Gewalt nötigt, wer psychischen Zwang ausübt, indem er auf den Gleiskörper einer Schienenbahn tritt und dadurch den Wagenführer zum Anhalten veranlasst."
"Dem Grundgesetz lässt sich nicht die Befugnis entnehmen, die Wirkung von Demonstrationen durch Gewaltakte zu erhöhen."
"Die Anerkennung eines solchen Demonstrationsrechts liefe auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinaus, welche mit der auf dem Mehrheitsprinzip fußenden demokratischen Verfassung und mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlechthin unverträglich ist."
Kernsätze, verfasst vom Bundesgerichtshof 1969. Starke, stärkste Worte, die vermuten lassen, hier wehrten sich nicht Studenten gegen höhere Straßenbahnpreise, sondern hier wäre mindestens eine Bürgerkriegsarmee im Anmarsch. Es handelte sich aber um eine Sitzblockade. Weil tausenden Studenten die Fahrpreiserhöhung ein Loch in den Geldbeutel schnitt. Der Straßenbahnfahrer musste anhalten, um die Mitbürger nicht totzufahren. Und eben diese Einwirkung auf das Nervenkostüm des Straßenbahnfahrers wird als gewaltsam gedeutet. Man nannte das unter Strafrechtlern: Vergeistigung oder Entmaterialisierung des Gewaltbegriffs.
Im Klartext: Der Begriff verlor jede feste Substanz. Die Strafjustiz hat im Läpple-Urteil beim Kölner Straßenbahnstreik – und später auch bei den Sitzblockaden vor den Raketenstandorten – das Gesetzlichkeitsgebot missachtet. Das stellte schließlich 25 Jahre später das Bundesverfassungsgericht fest. Es schrieb der Strafjustiz ins Stammbuch:
"Der Begriff der Gewalt werde bei dieser Auslegung nach Art des Läpple-Urteils geradezu entgrenzt. Bei dieser konturlosen Auslegung ließe sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht."
Obrigkeitsstaatliche Richterallüren waren damit spätestens passé. Ein Epochenwandel.
In der Strafjustiz wird freimütig und oft öffentlich um richtiges Sprachverständnis und die korrekte Anwendung des Rechts gefochten, von diesen Auseinandersetzungen profitieren der Rechtsstaat und die Bürgerfreiheit. Sprache im Strafrecht ist jedenfalls heutzutage entgegen allen Klischees also nicht mehr das Waffenarsenal einer abgehobenen Juristenelite, die sich einigelt.
Nur beim Mordparagrafen kaum Reformen
Ausgerechnet beim schwersten Delikt, dem Mordparagrafen ist bislang fast jeder Reformimpuls verpufft. Das Mordmerkmal der Heimtücke etwa wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Es hält die drakonische lebenslange Freiheitsstrafe eigentlich auch für die körperlich unterlegene Ehefrau bereit, selbst wenn die nach langem Martyrium keine andere Möglichkeit sah, als ihren gewalttätigen Ehemann zu vergiften, hinterrücks zu erstechen oder sonstwie quasi aus dem Hinterhalt ums Leben zu bringen.
Der Bundesgerichtshof hat vor mehr als 40 Jahren diese sogenannten "Haustyrannen-Fälle" mit einem juristischen Kunstgriff zu einer Tat mit erheblich reduzierter Strafandrohung herabgestuft. Die Politik traut sich aber bis heute nicht an eine Reform dieses in vielfacher Hinsicht problematischsten Strafparagrafen. Zuletzt hatte im Jahr 2015 Justizminister Maas eine Neuordnung der Paragrafen zu den Tötungsverbrechen vorgeschlagen. Der Vorstoß versandete erwartungsgemäß. Wenn der Gesetzgeber ausfällt, kann auch eine problem- und sprachbewusste Richterschaft nichts ausrichten.
Der Bundesgerichtshof hat vor mehr als 40 Jahren diese sogenannten "Haustyrannen-Fälle" mit einem juristischen Kunstgriff zu einer Tat mit erheblich reduzierter Strafandrohung herabgestuft. Die Politik traut sich aber bis heute nicht an eine Reform dieses in vielfacher Hinsicht problematischsten Strafparagrafen. Zuletzt hatte im Jahr 2015 Justizminister Maas eine Neuordnung der Paragrafen zu den Tötungsverbrechen vorgeschlagen. Der Vorstoß versandete erwartungsgemäß. Wenn der Gesetzgeber ausfällt, kann auch eine problem- und sprachbewusste Richterschaft nichts ausrichten.