Kritik an Razzia in Berliner Moschee
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In Berlin-Neukölln durchsuchte die Polizei eine Moschee und Vereinsräume. Es sollen zu Unrecht Corona-Hilfen geflossen sein. Der Imam, aber auch der Pfarrer der Gedächtniskirche erheben scharfe Vorwürfe gegen die Behörden.
Der Gebetsraum der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin Neukölln ist an diesem Vormittag noch menschenleer. Tahar Sabri ist die Ruhe recht. Sichtlich mitgenommen sitzt der Imam in seinem Stuhl.
"Ich war im Bett, als die mich angerufen haben, die Polizei. Ich sollte zur Moschee kommen."
Der Morgen, von dem Sabri spricht, ist der 26. November. Mit acht Mannschaftswagen rückt die Berliner Polizei an, um die Dar-as-Salam-Moschee und die Vereinsräume der Neuköllner Begegnungsstätte zu durchsuchen. Schwer bewaffnete Uniformierte bewachen den Eingang, als der Imam eintrifft und von Beamten abgetastet wird.
"Das war für mich in dem Moment irgendwie erniedrigend, dass ich stehen muss und dann meine Hände; diese körperliche Durchsuchung und alles, was ich in meinen Taschen hatte, musste ich abgeben, mein Telefon. Also so etwas habe ich nie erlebt in meinem Leben. Ich habe es in Tunesien in einer Zeit erlebt, wo Diktatoren herrschten."
14.000 Euro Soforthilfe unberechtigt?
Der Verdacht: Sabri und die Neuköllner Begegnungsstätte sollen im März unberechtigter Weise 14.000 Euro Corona-Soforthilfe beantragt und bezogen haben. Weil Gebete und Veranstaltungen in der Moschee ausfielen, fehlte dem Verein wie vielen anderen seine Haupteinnahmequelle: Spenden. Kosten wie Miete, Heizung und Gehälter aber liefen weiter.
Auch, wenn es sich bei einer Moschee nicht um ein Unternehmen handelt und Spenden in dem Sinne keine Gewinnausfälle darstellen, schien der Förderantrag berechtigt, glaubt der renommierte Berliner Anwalt Johannes Eisenberg, der die Neuköllner Begegnungsstätte juristisch vertritt. Selbst, wenn sich das Gegenteil herausstellen sollte, hält er die Reaktion für unangemessen.
"Es geht nicht um 14 Millionen oder 14 Milliarden, sondern um 14.000 Euro. Das ist aus meiner Sicht ein überschaubarer Betrag. Wenn wir früher Strafanzeigen erstattet haben, mit einem Schaden von 50-, 60-, 70-, 80-, 100.000 Euro, dann haben uns die Staatsanwälte müde angeguckt und gesagt, dafür haben wir keine Kapazitäten, da können wir nicht ermitteln, da kommen sie ganz hinten in die Reihe."
Anders im vorliegenden Fall. Obwohl Sabris Verein nach Untersuchungen in anderen Moscheen von sich aus Kontakt zur Investitionsbank Berlin aufnahm, um eine Überprüfung seines Antrages zu erbitten – und obwohl alle Unterlagen dafür fristgerecht eingereicht worden wurden, erhielt er nicht etwa einen Brief oder eine Vorladung zur Klärung des Sachverhalts, sondern Besuch von einem Großaufgebot der Berliner Polizei. Deren Sprecher, Thilo Cablitz, rechtfertigt den Einsatz mit vorliegendem Zitat, "allgemeinen Erkenntnissen" und Erfahrungen bei vergleichbaren Einsätzen.
"Allgemein hatten wir es in Nord-Neukölln, dass es bei polizeilichen Maßnahmen zu Ansammlungen kam, gelegentlich zu Solidarisierungseffekten und auch zu Angriffen auf Einsatzkräfte. Unter den Gesichtspunkten muss ich ganz klar sagen, dass es ein Einsatz war, der verhältnismäßig war, der an den Gegebenheiten orientiert war und der mitnichten dazu dienen sollte, irgendjemanden zu stigmatisieren."
Pfarrer sieht Verstoß gegen Grundgesetz
Genau das allerdings vermuten nicht nur Angehörige des Moscheevereins, sondern auch andere Religionsvertreter in Berlin. Pfarrer Martin Germer von der Berliner Gedächtniskirche steht seit Jahren in engem Austausch mit Imam Sabri, schätzt dessen Verein nach eigener Aussage "wegen seines starken Einsatzes für die Integration von Muslimen und den interreligiösen Dialog".
"Ich bin mir sehr sicher, dass mit einer solchen nur auf Mutmaßungen und Unkenntnis beruhenden Begründung kein deutsches Gericht eine derartige Durchsuchung bei einer christlichen Gemeinde, einem Förderverein oder gar einer jüdischen Gemeinde freigegeben hätte."
In einem Brief an mehrere Berliner Politiker unterstellt der Pfarrer den Justizbehörden wegen dieser Ungleichbehandlung einen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes. Weder das Büro von Justizsenator Dirk Behrendt noch die Staatsanwaltschaft wollen sich bisher zu den Vorgängen äußern. Ein Staatsanwaltschaftssprecher gab gegenüber dem "Tagesspiegel" lediglich an, Strafverfolgung sei "keine Verhandlungssache".
Furcht um positive Sicht auf Sabri
Anwalt Eisenberg betont: "Es geht nicht darum, dass hier irgendeiner eine Straftat verhandeln will oder eine Strafverfolgung verhandeln will." Zu verhandeln sei doch, wie eine Strafverfolgung stattfindet. "Wenn eine ganze Straße – und die Flughafenstraße ist eine wichtige Durchgangsstraße – wenn die über Stunden gesperrt wird, um ein Gotteshaus zu durchsuchen, da kann ich nur sagen, dann trägt das doch das Kainsmal des Rechtsmissbrauchs und der Unverhältnismäßigkeit so offen auf die Stirn geschrieben."
Oder ging es bei der groß angelegten Durchsuchung der Dar-as-Salam-Moschee womöglich gar nicht allein um Coronahilfen? Imam Sabri ist kein Unbekannter. Bis heute wird sein Name stets mit dem Zusatz versehen, dass sein Verein wegen angeblicher Kontakte zu Islamisten vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Und das, obwohl Sabri bereits 2018 erfolgreich gegen diese Beobachtung geklagt hatte. Das Gericht sah keine ausreichende Beweislage für tatsächliche Verbindungen zu Islamisten. Viele, die den Imam persönlich kennen, schätzen derweil sein Engagement für Integration und interreligiösen Dialog in Berlin.
All das dürfte durch die Vorgänge nun erheblichen Schaden genommen haben, warnt Pfarrer Martin Germer: "Ich erwarte, dass die jetzige juristische Klärung der aus meiner Einschätzung unhaltbaren Vorwürfe und Unterstellungen gegenüber der Neuköllner Begegnungsstätte so rasch wie möglich zum Ergebnis gebracht werden; und wenn – was ich fest erwarte – sich herausstellt, dass sie völlig unhaltbar sind, dass es dann eine deutliche Entschuldigung und Rehabilitierung der Dar-as-Salam-Moschee gibt." Damit zumindest "der große Schaden, der jetzt innerhalb der muslimischen Community entstanden ist", begrenzt und das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat wieder ermöglicht werde.