Alle Jahre wieder streiken
Seit drei Jahren versucht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, dem Konzern Amazon einen Tarifvertrag abzutrotzen. Ohne Erfolg. Deshalb wird eben jetzt zur Vorweihnachtszeit gestreikt, um den Online-Riesen an den Verhandlungstisch zu bewegen.
30 Streikende verlieren sich an den langen Tischen der Schützenhalle im ländlichen Koblenzer Stadtteil Rübenach. Sie löffeln Erbsensuppe und pinseln Transparente mit Aufschriften wie "Tarifbindung jetzt".
"Ich bin nicht zum ersten Mal dabei, das ist jetzt auch mein vierter Streik", konstatiert ein Bärtiger. "Wir brauchen den Einzelhandelstarif, auch mit Blick auf die Alterssicherung", sagt er und nimmt einen Löffel Suppe.
"Gewerkschaftsfrei, tariflos und mitbestimmungsfrei"
Warum Beschäftigte in Koblenz seit einem Jahr, anderswo schon seit drei Jahren immer wieder die Arbeit niederlegen? Es geht auch ums Grundsätzliche, sagt Hans Kroha, bei Verdi Rheinland-Pfalz zuständig für den Handel.
"Amazon versucht, hier in der Bundesrepublik ein ganz exklusives Geschäftsmodell durchzusetzen, das heißt nämlich, 'wir wollen gewerkschaftsfrei, tariflos und mitbestimmungsfrei sein. Deshalb ist das kein klassischer Tarifkonflikt, es ist auch ein Tarifkonflikt. Aber es geht darum, dieses Geschäftsmodell, das für die Branche insgesamt eine Bedrohung ist, insgesamt zu verhindern. Niemand, auch die Wettbewerber, dürfen kein Interesse daran haben, dass sich das durchsetzt, denn wo ist denn am Ende Schluss dieser Auseinandersetzung? Wir brauchen Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen, von denen Menschen leben können, sonst haben wir künftig Armut in Arbeit und später Armut in Rente - auch darum geht es in dieser Auseinandersetzung."
150 Streikende – im wenig Arbeitskampf-erfahrenen Koblenzer Werk ein tolles Ergebnis, findet Kroha. Pakete hätten nicht befördert werden können, das treffe Amazon.
In den weitläufigen Koblenzer Hallen blickt Standortleiter Nikolai Lisac auf ein Gewusel von Gabelstaplern, Förderbändern und Hunderten von Beschäftigten. Im Prinzip fehlt hier keiner, stellt er fest:
"Wir sind Stand jetzt knapp 2600 Mitarbeiter hier am Standort Koblenz, stellen noch für die nächsten beiden Wochen Mitarbeiter ein, und sind dann komplett für unser Weihnachtsgeschäft."
Am Ende mit fast so vielen Saisonkräften wie Festangestellten.
"Wir haben hier eine sehr, sehr geringe Streikbeteiligung am Standort Koblenz. Operativ passiert dadurch nichts. Wir konnten unser Lieferversprechen wie an allen anderen Tagen einhalten und beliefern den Kunden hier rechtzeitig."
Amazon straft die Ausstände mit Nichtachtung
Seit drei Jahren straft Amazon die Ausstände mit Nichtachtung. So störend wie Glatteis auf der Straße, aber auch ebenso gut wegzustecken für den weltgrößten Online-Versand. Standort-Chef Lisac präsentiert ihn als Vorzeige-Arbeitgeber.
"Wir bieten hier ein sehr attraktives Lohn- und Gehaltspaket für unsere Mitarbeiter. Wir bezahlen hier am Standort in Koblenz als Einstiegsgehalt 10, 33 Euro, und wenn sie zwei Jahre als Mitarbeiter hier beschäftigt sind, sind es 12,36 Euro, zusammen mit den Nebenleistungen wie Mitarbeiter-Aktie, Bonuszahlungen, Jahressonderzahlungen liegen wir hier deutlich am oberen Ende dessen, was in vergleichbaren Branchen gezahlt wird."
Der Logistikbranche wohl gemerkt, im Einzelhandel fiele der Anfangsstundenlohn drei Euro höher aus, rechnet die Gewerkschaft vor.
Pfeifen
Das Amazon-Eigenlob beeindruckt die Streikenden vor dem Werkstor nicht. "Pro Amazon mit Tarifvertrag" steht auf dem Transparent, das Birgit Reich hoch hält.
"Wäre auch schön, Urlaubsgeld zu haben, auch Weihnachtsgeld. Vor allem Urlaubsgeld, ich mag Urlaub."
Noch ein Versuch, diejenigen Mitstreiter zu gewinnen, die zur Spätschicht wollen.
"Hallo, wir streiken, auch ihr könnt draußen bleiben!"
Vergeblich. Birgit Reich lächelt trotzdem.
"Dann schöne Schicht!"
Morgen um halb sieben endet der Ausstand bei Amazon in Koblenz. Vorerst – präzisiert Verdi-Betriebsrat Norbert Faltin:
"Sie können aber davon ausgehen, dass wir vor Weihnachten noch weiter streiken. Wir streiken so lange, bis wir Erfolg haben. Zumindest bis sich Amazon zu einem Minimum bereiterklärt, nämlich erst mal mit uns zu sprechen."
"Wir sind der Meinung, dass man auch ohne Tarifvertrag ein guter und fairer Arbeitgeber sein kann", kontert die aus München angereiste Unternehmenssprecherin Anette Nachbar.
Pfiff
Bleibt Amazon hartleibig, dann muss die Politik ran, meint Betriebsrat Faltin:
"Also, wenn die Bundesregierung, und ich hab da große Hoffnungen auf eine große Koalition gesetzt, den Tarifvertrag Einzelhandel für allgemeinverbindlich erklärt, wo der Versandhandel dazugehört, dann müssten wir hier gar nicht streiken. Bei einer Allgemeinverbindlichkeit müsste nach dem Tarifvertrag Versandhandel bezahlt werden. So einfach ist das."