Verdis schwärzeste Oper

Von Bernhard Doppler |
Vor allem durch seine Bühnenpräsenz überzeugt der mittlerweile 68-jährige Placido Domingo nun in der Rolle des Dogen von Genua. In der Berliner Staatsoper spielt der Tenor in "Simon Boccanegra". Leider nutzt der Regisseur die Möglichkeiten nicht, die Verdis schwärzeste Oper zu bieten hat.
Lange standing ovations am Ende, die Placido Domingo, so schien es, tief bewegt entgegennahm. Sie waren nicht unverdient: der 68-jährige Sänger braucht noch immer keinen Altersbonus, zumal die Partie tiefer, nicht für einen jugendlich-strahlenden Tenor, sondern für einen würdevollen hohen Bariton gesetzt ist. Nicht nur durch Gesang, vielleicht mehr noch durch seine Bühnenpräsenz überzeugt Domingo und die Rolle des regierenden Dogen von Genua, der gleichzeitig auch mit Venedig kooperieren will, scheint in mittelalterlichen Kostümen in gewisser Weise auch die des amtierenden Generalintendanten der Opern sowohl von Los Angeles als auch Washington, der Domingo ja auch ist, weiterzuführen. Domingo, der "König der Oper".

"Simon Boccanegra" ist Verdis schwärzester Oper. Äußeres und hintergründiges Geschehen kontrastieren dabei auf geradezu gespenstische Weise. Während banale politische Machtkämpfe sich auf der Vorderbühne abspielen, finden gleichzeitig äußerst lange Sterbeszenen statt: Im Vorspiel stirbt Simons Geliebte, im letzten Akt wirkt ein dem Dogen verabreichtes tödliches Gift. Psychische Zustände kontrastieren mit vordergründigen Intrigen, die lange gezogenen Strebemomente mit einer Handlung, die sich über ein ganzes Leben erstreckt und sich in drei Generationen schicksalhaft wiederholt.
Doch der Regisseur Frederico Tiezzi nutzt diese Möglichkeiten nicht, er beschränkt sich darauf die Szenen immer wieder zu historischen lebenden Bildern in der Art der Historienmalereien des frühen 19. Jahrhunderts gerinnen zu lassen. Sicherlich illustriert Verdi mit dem mittelalterlichen Simon Boccanegra auch einen Gründungsmythos des italienischen Staates, doch die Bilderbuchästhetik banalisiert die psychologische Tiefe der Handlung. Der Ästhetik der Mailänder Scala, mit der dafür die Berliner Staatsoper koproduziert hat und die auch in ihren Werkstätten die Kostüme hergestellt hat, kommt diese von der Malerei inspirierte Inszenierung durchaus nahe.

Die Staatsoper kann zwar auch neben Placido Domingo mit großen Namen des internationalen Opernbetriebes auftrumpfen, insbesondere Anja Harteros als im Lyrischen überzeugende Maria, aber auch Fabio Sartori als Adorno und Kwangchul Youn als finsterer Fiesco, doch über einzelne Momente, die betörend oder hochdramatisch musiziert wurden, geht der Abend kaum hinaus, ein großer Spannungsbogen voll schwarzer Melancholie entsteht unter Daniel Barenboim und der Berliner Staatskapelle nicht.

So ist der Abend nicht die Entdeckung einer einzigartigen Oper, wie es vor zehn Jahren Claudio Abbado eindrucksvoll mit den Berliner Philharmonikern in der Philharmonie gelang. Das Meer, das den letzten todessüchtigen Akt bestimmt, schien damals unter Abbado musikalisch fast Debussy vorwegzunehmen. In der Staatsoper unter Barenboim ist es nur effektvoll brausende Dramatik vor einer zum historischen Bild erstarrten Brandung voller Gischt.